Für die Bürger, die sich im Rathaus von Süd-Miami versammelt haben, klingt die Botschaft von Jack Grobe recht überraschend. "In Fukushima ist bisher kein einziger Mensch ernsthaft zu Schaden gekommen", erklärt der stellvertretende Direktor der Genehmigungsbehörde Nuclear Regulatory Commission (NRC). Denn schließlich habe "die letzte Verteidigungslinie" einwandfrei funktioniert: die Bevölkerung sei rechtzeitig evakuiert worden.
Mit diesem Argument überzeugt er allerdings nicht jeden. "Nach dieser Logik könnten wir in den USA jeden Tag ein Fukushima-Unglück erleben, halb Miami evakuieren, und die NRC würde sich noch immer über die Erfüllung ihres Auftrags freuen: Niemand wurde verletzt", kontert der kritische Atomingenieur David Lochbaum, der neben Grobe auf dem Podium sitzt.
Jeder im Publikum weiß: Hier wird nicht nur ein theoretischer Disput ausgefochten, hier geht es um die eigene Zukunft. Denn was in Süd-Miami diskutiert wird, sind die Sicherheitsstandards und die Erweiterungspläne für Turkey Point , den vor den Toren der Stadt gelegenen Kraftwerkskomplex. Dieser versorgt den gesamten Süden Floridas mit Strom, seine beiden Atomreaktoren gehören zu den ältesten des Landes. 2002 hatten Grobe und seine Kollegen die ursprünglich genehmigte Laufzeit von 40 Jahren um weitere 20 verlängert. Noch bevor die um sind, will der Betreiber zwei neue, fast doppelt so leistungsstarke Reaktoren neben die alten stellen. Käme es nach einem Unfall wie in Fukushima zur Evakuierung einer 20-Kilometer-Zone rund um das AKW , müsste selbst das Rathaus geräumt werden.
Nun schaltet sich auch Philip Stoddard ein, der Bürgermeister von Süd-Miami, der mit auf dem Podium sitzt. Auf einer Folie zeigt er die Zunahme all der Sicherheitsverstöße, kleinen Pannen und Warnungen, die ihm aus Turkey Point gemeldet werden. "Bisher war nichts wirklich Schlimmes dabei", stellt er fest. Aber das sei ungefähr ebenso beruhigend, als käme sein Sohn mit dem Geständnis nach Hause: "Hey, Papa, ich bin mit ein paar Bier im Bauch viel zu schnell um die Kurve gebrettert und hab dabei mit meiner Freundin telefoniert; das Auto ist aber heil geblieben." Stoddard will im Februar wiedergewählt werden, die entschiedene Ablehnung des AKWs in unmittelbarer Nachbarschaft ist zentraler Teil seiner Wahlkampagne. Und anders als früher erhält er jetzt viel Zuspruch dafür.
Denn die Nuklearindustrie in den USA ist in die Defensive geraten. Nach Fukushima und deutschem Atomausstieg sehen Meinungsumfragen zum ersten Mal seit 1986 von Kalifornien bis Vermont, von Montana bis Mississippi wieder eine klare Mehrheit für das Ende der Atomkraft. Und das, obwohl Präsident Obama sie weiterhin als "saubere Energie" empfiehlt und – ausnahmsweise mit ausdrücklicher Unterstützung der Opposition – für Laufzeitverlängerungen wirbt und Bürgschaften über mehr als 50 Milliarden Dollar für den Bau neuer Reaktoren bereitgestellt hat.
Dass die Genehmigungsbehörde NRC vergangene Woche zum ersten Mal seit 34 Jahren wieder eine Neubaugenehmigung erteilte – für die Erweiterung des AKWs Vogtle in Georgia um zwei zusätzliche Blöcke –, wurde von deutschen Kommentatoren prompt als "Renaissance der Atomkraft" gewertet. Allerdings haben bereits mehrere Umweltorganisationen juristischen Widerstand angekündigt; und selbst der NRC-Vorsitzende, Gregory Jaczko, hatte mit Verweis auf Sicherheitsbedenken gegen die Genehmigung gestimmt. Eine "Renaissance der Atomkraft" sieht anders aus.
Derzeit sind zwischen Ost- und Westküste 104 Reaktoren an 65 Standorten in Betrieb. Die USA erzeugen mehr Atomstrom als jedes andere Land und decken damit – ähnlich wie Deutschland bis zum vergangenen Jahr – knapp 20 Prozent ihres Gesamtbedarfs an Elektrizität. Doch der nukleare Kraftwerkspark des Landes ist völlig überaltert: 1996 ging zum letzten Mal ein neues Kernkraftwerk ans Netz, das älteste ist bereits seit 1969 in Betrieb. Nur ein einziger Reaktor ist derzeit im Bau – und das schon seit 1972.
Kommentare
"Klare Mehrheit"
Und wenn die "Klare Mehrheit" noch mit einem Link zu den Quellen versehen wäre, wäre sie sogar glaubhaft. Ansonsten warte ich mal die Millionen Demonstranten ab.
Wiederholung
Trotz der vielen Wiederholungen,
Nach einer entsetzlichen Katastrophe, die 20 000 Menschenleben forderte , kam es zu einer Nuklearkatastrophe in Fukushima, die kein Menschelleben forderte .
Wenn demnächst ein Meteor auf Frankfurt stürzt , dann werden wir über Biblis diskutieren und nicht über die Opfer des Meteoreinschlags ( wenn wir das noch können).
Die Alternative für die Bewohner Miamis wäre ein Steinkohlekraftwerk, ob das so wünschenswert ist , darf bezweifelt werden.
Wenn ich mir vorstelle, wie die Everglades mit PV - Tableaus vollgestellt werden... bis dann der Hurrican kommt..., fällt diese Alternative fort und wurde wohl auch garnicht in Betracht gezogen.
Also selbst wenn man es wiederholt
wird es davon auch nicht besser.
Photovoltaik - Anlangen lassen sich im Sonnenreichen Florida auch landeinwärts installieren, also in Gegenden die durch Wirbelstürme (auf See) weitaus weniger gefährdet sind.
Hinzu kommt noch, die USA besitzen weite Wüstengebiete, die ein Maß an Sonneneinstrahlung bieten, welches für solarthermische Kraftwerke geradezu ideal ist. Die Technik, um elektrische Energie über weite Strecken zu übertragen ist längst vorhanden, Stichwort Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ).
Das Problem dabei ist weniger die Verfügbarkeit solcher Technologien, sondern der Zustand des US-Amerikanischen Stromnetzes als Ganzes. Dessen Modernisierungsbedarf ist offensichtlich deutlich größer als Hierzulande.
Wenn ich lese, da wird soll jetzt ein Kernkraftwerk fertig gestellt werden, mit dessen Projektierung bereits 1972 begonnen wurde, dann keimt da eindeutig Skepsis hinsichtlich des erreichbaren Sicherheitsstandards auf. Das hat einfach damit zu tun, dass man heute für den Entwurf komplexer Technik ganz andere Methoden verwendet und auch Erkenntnisse mit einbringen kann, die vor 4 Jahrzehnten noch nicht vorhanden waren.
Die Havarie des Reaktors in Harrisburg 1979 hat auch gezeigt, die Technik hat im Prinzip funktioniert, nur das Versagen eines simplen Überdruckventils ist als solches über einen längeren Zeitraum nicht erkannt worden. Da wird dann auch der Mensch ein limitierender Faktor und es gibt keine Garantie, dass sich derartiges nicht letztlich wiederholt
Erdbebensicherheit
Was der Artikel herausarbeitet ist stark verkürzt, die Zustimmung zur Stromerzeugung in Kernkraftwerken ist in den USA auf dasselbe Niveau gefallen, wie in Deutschland vor dem Atomausstieg.
Nach dem, was wir heute über die Havarie in Fukushima wissen, sind die Reaktoren dort bereits durch das Erdbeben soweit beschädigt worden, dass die Kühlung der Brennstäbe nicht mehr gewährleistet war. Unstrittig ist auch, diese Reaktoren sind eine Variante eines Typs der von General Electric (also in den USA) entwickelt wurde. Der Punkt ist, es gibt auch in den USA einige Standorte von Kernreaktoren, die grundsätzlich durch Erdbeben gefährdet sind. Ein Ablauf ähnlich dem in Fukushima wird sich nie ganz ausschließen lassen, weil die Intensität eines Erdbebens sich nun einmal nur sehr bedingt voraussagen lässt.
Was von der Havarie in Fukushima geblieben ist, manifestiert sich ganz direkt in einer weiträumigen Verstrahlung. Wobei deren Erfassung durch die Japanischen Behörden eher schleppend ablief. Es zeugt durchaus von Bürgersinn, wenn man sich in Florida mal so seine Gedanken macht, was dies denn dort konkret bedeuten würde. Seit dem Wirbelsturm "Katrina" weiß man, was bei der Evakuierung einer derart großen Menschenmenge so alles anders als geplant ablaufen kann.
Die Gründe für einen Ausstieg aus der Kernenergie sind in den USA eigentlich dieselben wie hier - offensichtlich ist sich jetzt eine deutliche Mehrheit der US-Bürger dessen (auch) bewusst.
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"Unstrittig ist auch, diese Reaktoren sind eine Variante eines Typs der von General Electric (also in den USA) entwickelt wurde."
Ja Fukushima war eine solche Variante. Allerdings haben die Japaner bereits beim Bau auf amerikanische Sicherheitsstandards verzichtet. Und auch spätere Veränderungen der Sicherheitsstandards wurden von den Japanern ignoriert, von den Amerikanern so weit ich weiß nicht.
Ist ja toll,
daß angeblich "niemand zuschaden gekommen ist" in Fukushima
und nur viele Menschen ihre Heimat verloren haben, in provisorischen Unterbringungen leben dürfen und ihre ehemaligen Häuser sogar auch einmal wieder in Schutzanzügen besichtigen dürfen! Und daß nur ein paar Leutchen und Tierchen verstrahlt wurden!