DIE ZEIT: Herr Rürup , Herr Fuest, vor sieben Jahren wurde voller Mitleid auf die deutsche Volkswirtschaft geschaut, der Economist nannte uns den "kranken Mann Europas". Nun gelten wir plötzlich als Vorbild. Wie werden wir nach weiteren sieben Jahren dastehen?
Bert Rürup: Deutschland hat viele gute Jahre vor sich. Wir werden weiter davon profitieren, dass sich die Kraftzentren der Weltwirtschaft verschieben. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus waren die Vereinigten Staaten der Superstar. Vor zwanzig Jahren wurden mehr als dreißig Prozent des weltweiten Wohlstands von Amerikanern erwirtschaftet, und die weltweiten Währungsreserven bestanden zu siebzig Prozent aus US-Dollar. Heute steht das Land vor den Trümmern seines Geschäftsmodells. Gleichzeitig gibt es eine Reihe bevölkerungsreicher Länder, die ihre Wirtschaft industrialisieren und modernisieren wollen, wie Indien , China , Brasilien und Indonesien . Dieser Aufbruch ist wie gemacht für unsere Industrie .
Clemens Fuest: Ich glaube nicht, dass wir Ökonomen guten Gewissens fette Jahre für Deutschland vorhersagen können. Sicher ist eigentlich nur, dass die Wirtschaftsentwicklung bei uns besonders ungewiss und volatil ist. Es gibt Untersuchungen zu der Frage, wann und warum ein Wirtschaftsboom entsteht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Land innerhalb eines Jahrzehnts einen solchen Boom erlebt, lag in der Vergangenheit im Durchschnitt bei 25 Prozent. Auslöser können politische Reformen oder die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch die Abwertung der Währung sein. Die wichtigste Erkenntnis ist allerdings, dass diese Wachstumszyklen sich sehr schwer vorhersagen lassen.
Rürup: Voraussagen sind immer unsicher, aber Fakt ist doch, dass sich der Wirtschaftsstandort Deutschland in den vergangenen zehn Jahren neu erfunden hat.Herr Fuest, halten Sie es denn für wahrscheinlich, dass China , Indien , Brasilien und Indonesien gleichzeitig in ihren Modernisierungsbemühungen nachlassen? Ich sehe kein Ende des Booms, und ich teile diese optimistische Einschätzung unter anderem mit der Weltbank oder der Prognos AG.
Fuest: Lassen Sie uns unterscheiden zwischen dem, was wir glauben, und dem, was wir wissen. Wir Deutschen sind Teil einer Währungsunion, die Wachstumsprobleme hat und in den nächsten Jahren weiter behalten wird. Dass der Euro schwach bleibt, Deutschland daher weiter viel exportieren kann, hat eine gewisse Logik – aber letztlich kann man darüber nur spekulieren. Wir wissen dagegen genau, dass wir durch die Staatsschulden oder auch die Alterung der Bevölkerung vor erheblichen Belastungen stehen.
Rürup: Ich bestreite die Probleme nicht, erlaube mir aber den Hinweis, dass sie längst erkannt und auch lösbar sind. Die Euro-Krise hat jetzt schon für größere finanzpolitische Disziplin in vielen Staaten gesorgt. Und die Folgen der Alterung werden wir in etwa zwanzig Jahren spüren, wenn alle geburtenstarken Jahrgänge in Rente gegangen sein werden.
ZEIT: Ist unser aktueller Wohlstand eine Frucht vergangener Reformen?
Fuest: Ja, aber entscheidend waren am Ende die Kostenvorteile der deutschen Industrie. Dabei hat das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern eine große Rolle gespielt. Die Tarifpartner haben die Sicherung der Beschäftigung ganz konsequent in den Vordergrund gestellt, und das war entscheidend für den deutschen Erfolg und unsere Wettbewerbsfähigkeit. Die Bedeutung von Arbeitsmarktreformen wird oft überzeichnet. Gleichzeitig herrscht in Deutschland im Moment eine Selbstzufriedenheit, die erstens unbegründet und zweitens gefährlich ist, weil sie die Bereitschaft unterminiert, notwendige Reformen anzupacken. Deshalb ist es gefährlich, von fetten Jahren zu sprechen, wie es Herr Rürup tut. Das wird als Signal verstanden, sich auf den errungenen Lorbeeren auszuruhen.
Kommentare
Ist das nicht der Maschmeyer-Rürup?????
Verstehe ich nicht, dass die ZON ihm eine Plattform bietet.
Mit seinen Ratschlägen bei den "Wirtschaftsweisen" hat er doch auch nie ins Schwarze getroffen.
Exakt!
Rürup: "Dieses Risiko besteht, daher müssen wir versuchen, erfolgreich zu altern. Der Rückgang der Personen im erwerbsfähigen Alter ist mehr als doppelt so stark wie der Rückgang der gesamten Bevölkerung. Das kostet uns ohne Gegensteuern ein Drittel unserer Produktivität. Dagegen lässt sich mit Sozialreformen nichts machen, höchstens mit Bildungs-, Technologie- und Gesundheitspolitik."
Und dann muss man sehen, wie man das macht:
http://www.mr-ag.com/de/s...
http://www.berliner-zeitu...
Und abgesichts dieser Aussichten Depressionen bekommt,
für den wird auch schon vorgesorgt:
http://www.hmnc.de/depres...
Soweit zu: "Am deutschen Wesen soll nicht die Welt genesen".
Danke, Herr Rürup, das wollten wir wissen.
Wie sagte doch Helmut Schmidt neulich: "Die USA und China werden noch unseren Sozialstaat kopieren." Er meinte jedoch das alte Modell, bevor die Heuschrecken kamen.
Experten und ihre Expertisen
Die Wirtschaftsexperten prognostizierten uns Heulen und Zähneklappern - und es entwickelte sich eine gut laufende Wirtschaft.
Nun prognostizieren sie uns gute Jahre - vielleicht sollten wir uns dann nun auf Heulen und Zähneklappern einstellen!?
Mal so nebenbei gedacht: vielleicht läuft's ja momentan auch deshalb gut, weil so mancher, der bislang glaubte, einfacher sein Geld in Anlagefonds für sich arbeiten lassen zu können und dieses dabei versenkte, es nun doch wieder lieber und erfolgreicher in sein Unternehmen investiert.
Zum Begriff "Experte"
Ein Experte oder Spezialist ist jemand der seinen gedanklichen Foku auf einen einzigen Teil, ein einziges Wissensgebiet richtet. Ein Mann vom Fach ist oft auch ein Fachidiot - sallop ausgedrückt, d.h. durch das tiefgreifende Expertenwissen bleiben viele Bereiche Menschlicher Errungenschaften aussenvor, das Globalverstehen schrumft - solche Leute fragen wir ständig um Rat!
Und gerade in Sachen Wirtschaft hab ich noch keinen "Experten" gehört der in seine Prognosen die Begrenztheit unserer natürlichen Rohstoffe miteinbezieht.
Wohin wollen wir den wachsen? Ohne Öl? (und es steht ausser Frage DASS es leer geht. Ob in 20 oder 80 Jahren - liegt an uns, MIT noch mehr Wachstum gehts natürlich schneller...)
Nagel -> Kopf
Das mit der Selbstzufriedenheit kann man tagtäglich feststellen, wenn man z.B. mal in Kommentarsparten ausländischer Newsportale (BBC, CNN,...) guckt - lauter deutsche Poster, die zu Deutschland-Themen nicht müde werden, die momentane wirtschaftliche Stärke zu betonen und in einem Anfall von Selbstverliebtheit Deutschland als einzig wahre Nation in Zeiten von wirtschaftlichen Problemen darstellen. Befremdlich.
Es kam so, wie es manche schon 2006 sahen. Der u.a. mit der Fußball-WM im eigenen Lande stattfindende Bewusstseinswandel der Deutschen führt inzwischen dazu, dass viele besserwisserisch und mit einer "die anderen Länder sollten uns dankbar sein für unsere Finanzhilfen etc"-Haltung durch die Weltgeschichte stolzieren.
Ich sage ihnen offen
Ich sage Ihnen offen, ich ziehe diese Haltung der jahrzentelangen Selbstgeiselung der vorhergehenden Dekaden vor.
Wer ist denn bitte
Selbstzufrieden?
Die Leute in meinem Freundeskreis und ich nicht, wohl eher auf unsere Politikerkaste bezogen die sich selbstzufrieden in die Tasche lügen mit gefakten Statistiken, und das Volk nimmt alles brav hin, die nächste Rettungsschirm-Erhöhung klopft schon an der Tür aber das wird auch keinen von abhalten das wie gestern im Saarland die Üblichen gewählt werden.
Wenn man durch Billiglöhne supertoll herstellen und exportieren kann, in die EU wo die Importländer bei uns Kredite aufnehmen müssen um unsere Waren zu bezahlen, die wir beim nächsten Schuldenschnitt wieder erlassen, wo kann man da zufrieden mit sich selbst bzw der Situation sein, ich schäme eher als Deutscher.