Immer schneller, immer billiger – das Internet macht’s möglich. Handys, Kleidung, Laptops, Wein, Büroartikel, Bücher – es gibt nichts, was nicht preiswert und fast wie von selbst nach Hause kommt. Das Schleppen übernehmen andere: die Paketauslieferer. 250.000 bis 300.000 Menschen sind europaweit in der Branche beschäftigt. Kaum ein Wirtschaftszweig ist so rasant gewachsen wie die "KEP", die "Kurier-, Express- und Paketdienste". Die Umsätze sind in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent nach oben geschnellt, heute jagen jährlich mehr als zwei Milliarden Pakete durch die Republik. Einschließlich der Rücksendungen, die wir als "kostenlose" Leistung ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen, wenn uns die zugeschickte Ware nicht gefällt.
Aber "kostenlos" ist auch diese Leistung nicht. Da zahlen andere drauf. Die Paketzusteller bleiben oft mit Stundenlöhnen von fünf und weniger Euro auf der Strecke. Doch ermöglicht hat das Preis- und Lohndumping der Gesetzgeber, der die Branche "zum Nutzen aller" dereguliert und privatisiert hat. Die Post wurde stückweise zerschlagen, die privaten Konzerne raufen sich um die Kundschaft. Wie sieht der Alltag in dieser Dienstleistungsbranche aus? Um das zu erfahren, habe ich als Paketauslieferer bei GLS Germany angeheuert, einer Tochter des europaweiten Konzerns General Logistic Systems mit Sitz in Amsterdam.
GLS ist einer der großen zehn Dienstleister in der Paketauslieferung. Der Konzern wirbt mit dem Spruch: "Egal, was du tust, ein unterstützendes Team trägt dich. Zusammen lassen wir Träume wahr werden. Ein Europa , eine Kraft, ein Erfolg. Lasst uns die Zukunft gestalten. G - L - S". Er soll neben Hermes und trans-o-flex einer der schlimmsten sein, was die Arbeitsbedingungen für die Fahrer angeht. Doch auf das, was ich dann erlebt habe und was mir anhand von Zeugenaussagen und Dokumenten glaubhaft gemacht wurde, war ich nicht gefasst. Um es gleich vorwegzunehmen: Selbst bei GLS gibt es Fahrer und Subunternehmer, die einigermaßen zufrieden sind. Sie haben das Glück, auf der kleinen Zahl lukrativer Auslieferungstouren eingesetzt zu werden. Aber ich habe bei meinen Recherchen keine guten Touren kennengelernt. Keine einzige.
Es ist fünf Uhr früh, als ich in dem riesigen Flachbau aus Beton am Förderband stehe. Hier, im Industriegebiet von Polch nahe Koblenz , beginnt an diesem Morgen meine erste Arbeitsetappe bei GLS. Andy Fischer, ein 28 Jahre alter Paketfahrer, lernt mich an. Es ist kalt und laut. Über das 80 Meter lange Band aus Metallwalzen rattern nicht nur Pakete, sondern auch Autofelgen, die verschickt werden, eine Sackkarre oder mal ein Bierkasten, dann schwillt der Lärm ohrenbetäubend an.
Die Branche arbeitet mit Subunternehmern, so kann sie viele Risiken auslagern
Von Polch aus, einem der 57 GLS-Paketdepots in Deutschland, werden bis zu 35.000 Pakete pro Tag befördert. Schon die ersten Minuten an jenem Morgen sind Hektik pur. Tausende Pakete rauschen an den 60 bis 70 Fahrern vorbei, jedes mit einer vierstelligen Nummer versehen, anhand derer die Fahrer die Pakete für ihre Tour erkennen, vom Band reißen und hinter sich aufstapeln. Suchen, erkennen, zupacken, ablegen, suchen, erkennen, immer so weiter, eine Stunde, zwei Stunden. Irgendwann habe ich mit Andy zusammen Pakete mit einem Gewicht von mehr als einer Tonne vom Band gehoben. Ich drücke mir die Hände ins Kreuz. Keine Pause. Die Rolltore gehen jetzt hoch, dahinter haben die Fahrer ihre Sprinter geparkt, die Ladeklappen stehen offen. Wir nehmen zum zweiten Mal die Pakete hoch, tragen sie raus, wuchten sie in den Laderaum, die richtige Reihenfolge ist wichtig für die Tour. Bei einem der Pakete komme ich ins Stolpern, es hat sicher an die zehn Kilo mehr als das zulässige Gewicht der 40-Kilo-Standardpakete, egal, rein mit dem Monstrum, jedes Zögern kostet Zeit. Es ist jetzt kurz vor acht, und wir müssen los, sofort, ohne auszuruhen, ohne Frühstück nach diesen fast drei Stunden Plackerei.
Als wir endlich im Wagen sitzen und losfahren, atme ich zum ersten Mal tief durch, nehme einen Schluck aus meiner Wasserflasche. Doch Andy, der Fahrer, hält, kaum dass ich die Flasche abgesetzt habe, abrupt an. Unser erster Stopp ist erreicht. Die Straße heißt bedeutungsschwer Am alten Galgen. Andy springt aus dem Auto, rennt nach hinten zum Laderaum, reißt die Türen auf, packt sich ein Paket auf die Schulter, es wiegt mindestens 20 Kilo, nimmt ein kleineres zweites unter den Arm, er zeigt mir ein drittes, das ich mir auf die Schulter packe, ich schätze es auf 30 Kilo. Andy wirft die Türen zu, läuft los, ich renne hinter ihm her.
An meinem ersten Arbeitstag bei GLS werden wir 230 Pakete ausliefern, 130-mal anhalten, an 130 verschiedenen Orten, die wir mit größtmöglichem Tempo anfahren, häufig über der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Um 18 Uhr werden wir zurück im Depot sein, 20 Pakete, die wir von Kunden mitgenommen haben, müssen noch ausgeladen werden, Papierkram muss im Büro erledigt werden, um 19.30 Uhr sind wir zu Hause. 14 Stunden haben wir gearbeitet.
Ich stieg eine Woche vor Weihnachten 2011 ins Paketgeschäft ein, Hochkonjunktur bei den Paketauslieferern. Ich hatte aus gutem Grund in dieser Zeit angefangen, ich wollte das Extrem kennenlernen. Ich dachte, auch wenn das eine Ausnahme ist, hier erfahre ich die Wahrheit über diese Branche. Dass es auch in anderen Zeiten nicht viel besser ist, sollte ich später noch erleben.
Am Tag vor meinem Arbeitsbeginn mache ich mich in einen kleinen Ort in der Voreifel auf, dort wohnt Andy, der sich bereit erklärt hat, mich anzulernen. Man kann nicht einfach aus dem Stand alleine eine Tour übernehmen. Mein neuer Kollege stellt mir die Ausziehcouch in seiner kleinen Mansardenwohnung zur Verfügung, er kennt mich nicht, ich trage falsche Haare. So unterhalten wir uns von Gleich zu Gleich und gehen früh schlafen. Am nächsten Morgen stehen wir um vier Uhr auf. Nicht gerade meine Zeit. Aber wessen Zeit ist das schon.
Andy stellt mich nicht vor, als wir im Depot ankommen. Ein Neuer fällt hier nicht auf, die Fluktuation ist hoch, Andy sagt, er merke sich die Namen der Fahrer erst nach einem halben Jahr, vorher lohne sich das nicht.
GLS stellt die Fahrer nicht selbst ein, sondern schließt Verträge mit Subunternehmern, die wiederum die Fahrer anstellen. Damit kann GLS sämtliche Risiken auslagern – ein Traum für jeden Unternehmer. Die Subunternehmer erhalten einen individuell mit GLS ausgehandelten Preis pro Paket, der in der Regel zwischen 1,20 und 1,40 Euro liegt. Mit dem "Lohnfuhrvertrag" zwischen GLS und dem Subunternehmer werden alle Pflichten, wie etwa Abhol- und Auslieferungszeiten, festgelegt, außerdem das Auslieferungsprozedere, die Überwachungs- und Kontrollmodalitäten, das Outfit von Fahrern und Fahrzeugen und ein spezieller Strafenkatalog. Die Fahrer erhalten von den Subunternehmern einen Monatslohn, der in der Regel zwischen 1.200 und 1.300 Euro brutto liegt. Für dieses Geld müssen sie ihre Touren abfahren, wie lange sie dafür brauchen, ist ihr Problem.
Kommentare
Hab gestern...
...die Reportage gesehen. Da schwillt einem echt der Hals bei solchen Praktiken. Und wie immer seziert er nur die Spitze des Eisberges.
Niedriglöhne und Ausbeutung sind ein- und dasselbe und trotzdem tut schwarz-gelb, nach wie vor, nichts Wirkungsvolles dagegen. Hauptsache wir können noch ein paar Luxuslimousinen zum Schnäppchenpreis mehr exportieren...
Entweder
sie machen es wie ich, einfach beschließen merkbefreit zu sein oder sie nehmen selbst Einfluss durch ihr Konsumverhalten.
Auf die Politik warten geht auch, aber das belastet meist nur den Kreislauf.
das ist nicht schwarz gelb,
sondern jeder einzelne, der diese dienstleistung in anspruch nimmt und dem geizisgeil-lebensstil frönt.
geh doch einfach wieder schön shoppen, statt interneteinkäufe zu machen.
Das...
"sie machen es wie ich, einfach beschließen merkbefreit zu sein oder sie nehmen selbst Einfluss durch ihr Konsumverhalten."
...tue ich längst, allein es hilft nicht. Weder kennt man alle Ausbeuterbranchen (die Praktiken werden idR ja gut versteckt) noch hilft es den Betroffenen.
Nachdem ich nun Jahre lang nicht bei Schlecker eingekauft habe, sitzen die Frauen auf der Straße und sind mal wieder Opfer geworden. Der Markt kann es eben NICHT richten. In einer Rezessionswirtschaft in der Geld an allen Ecken und Enden bewusst extrem knapp gehalten wird, verlangt die Logik, dass es Opfer gibt. Es kann gar nicht anders sein.
Ganz so einfach ist es nicht ..
> sondern jeder einzelne, der diese dienstleistung in anspruch
> nimmt und dem geizisgeil-lebensstil frönt.
Online-Shopping ist nicht automatisch geiz-ist-geil.
> geh doch einfach wieder schön shoppen, statt
> interneteinkäufe zu machen.
Kurzes Beispiel: nicht erst bei einer 60h-Woche hat man oft genau noch an den Wochenenden Zeit, etwas einzukaufen. Außer bei Lebensmitteln oder Kleidung fällt mir spontan allerdings nicht so viel ein, was man sich nicht auch besser nach Hause/ins Büro/zur Packstation schicken lassen kann, anstatt für Pfennigsartikel die dann in der Kaufhof-Galeria von Hama zwanzig Euro kosten in der Kasse schlange zu stehen und anschliessend im Parkhaus nochmal fünf Euro abzudrücken - von der verschenkten Zeit ganz zu schweigen.
Online hat man immer noch die Wahl zwischen mehr oder weniger günstigen, mehr oder weniger seriösen Händlern, und manchmal auch innerhalb eines Shops die Wahl zwischen mehr oder weniger "guten" Paketdienstleistern, um mal auf das Thema zurückzukommen.
Ich habe einige Bekannte, die sich niemals etwas per Hermes schicken lassen. Konsequenterweise meidet man Shops, die mit "bösen Paketdiensten" arbeiten, ganz.
Das traurige ist aber, wie bereits in Kommentaren erwähnt, daß das zugrundelegende Problem nicht auf GLS und nicht auf Paketdienste beschränkt ist. Unser Wirtschaftssystem funktioniert so, und ethischer Konsum wird ebensowenig an der Schule gelehrt wie ethisches Banking.
Ethik gibts wenn überhaupt nur als Ersatz für Religion.
Punkt
Ihr Kommentar bringt es auf den Punkt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
entscheidungen vieler einzelner menschen
"Online-Shopping ist nicht automatisch geiz-ist-geil."
das habe ich auch nicht geschrieben.
"dein beispiel"
es ist auch deine entscheidung, ob du 60 h die woche arbeiten gehst.
es ist auch deine entscheidung, parkhäuser und taschenschleppen unbequem zu finden.
das wirtschaftssystem ist auch die summe aus all diesen entscheidungen vieler einzelner menschen.
in zwei Hinsichten falsch
1. während man vielleicht noch Niedriglohnarbeit in Asien
direkt am Preis merkt, macht der Versand fast nichts aus,
hat mit dem Preis wenig zu tun,
ob etwas 40 oder 10 Euro kostet ist ein Unterschied,
aber die 50 Cent sind kein Kriterium
2. selbst wenn man teurer kauft, bekommt davon dei
betroffenen nicht unbedingt mehr,
die Firmen haben nichts zu verschenken, wenn sie
vornehmlich mir Marketing einen höheren Preis kassieren,
muss das mit den anderen Punkten nicht in Verbindung stehen
man müsste schon speziell auf Händler achten,
die explizit dieses Problem ansprechen (und denen glauben),
das gibt es aber praktisch nicht,
nur aus diesem Punkt den gesamten Internet-Handel zu kappen,
ist auch bisschen drastisch
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alle Einzelbemühungen sind hier obsolet,
das entscheidende sind die politischen Rahmenbedingungen:
niemand darf gezwungen werden, so eine menschenunwürdige
Arbeit anzunehmen (sonst wird Hartz 4 gestrichen),
schon fertig,
nennt sich 'bedingungslose Grundeinkommen', zentraler Punkt
der Piraten, wie quasi immer glasklar die einfache gerechte
Lösung, für jeden erkennbar, aber die Leute wählen immer
noch CDU oder SPD, will sich jemand dazu erklären?
wer das trotz verbesserter Lage immer noch freiwillig
machen sollte, dem ist fast nicht zu helfen,
wenn man Zeit hat kann man aber natürlich versuchen, auch
dann noch vorsichtig nachzuhelfen, illegale Immigranten usw.
Auf diese Weise beseitigt Wallraff gefährliche Post Konkurrenten
Oder er versucht es wenigstens und verdient noch Gut dabei
Denn bei der Post geht es ja bekanntlich nicht so schnell aber dafür Teuer!
Es hatte etwas von einem Theaterstück einige Szenen jedenfalls.
So trägt Herr Wallraff seinen Anteil zur Logistikverteuerung
den anderen möchten ja die Grünen durch hohe Diselsteuern beitragen!
Größter Profit
"Denn bei der Post geht es ja bekanntlich nicht so schnell aber dafür Teuer! So trägt Herr Wallraff seinen Anteil zur Logistikverteuerung..."
Genau dies ist die Einstellung der Wirtschaft, aber auch der Konsumenten(!) die genau zu diesen Misstsänden führt.
Alles soll ökologisch, sozial und fair ablaufen.
Aber dafür auch nur 1 Euro mehr ausgeben tut kaum jemand. Die ethischen Prinzipien haben nur so lange eine Bedeutung, wie es nichts kostet. Aber sich nur darüber aufzuregen ist ja einfach.
Wenn jeder sein Paket nicht mehr mit GLS, Hermes, etc. verschickt, sondern 1-2 Euro mehr ausgibt und dafür fairere Anbieter, wie z.B. DHL beauftragt, dann würde es solche Missstände gar nicht geben.
Vor einigen Monaten habe ich von diesen Geschäftspraktiken erfahren und gebe seit dem kein Paket mehr an Hermes, GLS und CO ab und bestehe bei einer Bestellung im Internet auf Lieferung mit DHL. Wenn dies nicht möglich ist, bestelle ich eben woanders. So einfach funktioniert Marktwirtschaft! Angebot & Nachfrage.
Aber so ein Umdenken findet nicht statt. Diese Skandale sind also hausgemacht.
Zynisch: GLS hat einen Mitarbeiter-Song
Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man drüber lachen, aber GLS lässt seine Mitarbeiter auf seiner Homepage besingen:
http://www.gls-group.eu/276-…
Na, immerhin ist die entsprechende Seite mit:
"Video und Song: Tauchen Sie ein in das Paketlogistikunternehmen GLS"
Gut, dass Wallraff dieser Aufforderung nachgekommen ist :-)
Das ist doch alles bekannt ...
... das Problem ist, dass es einen Wallraff braucht, um es öffentlich zur Kenntnis zu bringen, weil die Presse längst keine Presse mehr ist und der Staatsanwalt vermutlich nur seine Karriere im Kopf hat.
"H & M - Problem"?
Das Gebahren von GLS (Germany) kann auch ein weiteres Beispiel des "H & M-Phänomens", sein.
Sprich ein Unternehmen verhält sich auf seinem Heimatmarkt, im Falle H & M, ist das Schweden, im Falle GLS, Tochter der Royal Mail, das U. K., während es im Ausland die "Sau rausläßt".
Wobei viele Dinge, die in der Reportage von Wallraff vorkommen, ja sehr einfach zu lösen wären:
- Arbeitszeit, Einführung eines Fahrtenschreibers.
- drakonische Strafen, bei Verletzungen der Lenk- und
Ruhezeit-Regelungen.
- Einführung einer Task-Force, aus Zoll- Steuerfahndung und
SV-Profis, die sich um solche "Konstrukte", gezielt,
kümmern.
- "Testierungspflicht" der Subunternehmer-Verträge, bevor
sie unterschriben werden. Problem dürfte hier der § 823
BGB sein.
Andere Firmen arbeiten nach ähnlichen Methoden ( Eismann-Story: WDR "die Story")
Es entsteht ein gewaltiger volkswirtschaftlicher Schaden:
Denn wenn Familien zerbrechen entstehen Unterhaltsforderungen nach, die in siebenstellige Bereiche gehen.
Das extremste Beispiel war wohl der junge Mann, dessen Freundin bei einer Bank angestellt war.
Der Mensch ist für mindestens die nächsten 15 Jahre erledigt, wenn er schnell die Privatinsolvenz einreicht.