In der neunten Klasse der Mittelschule im bayerischen Strasskirchen soll es heute mal um das richtige Leben gehen. Dafür malt Stefanie Scheuer einen Zeitstrahl an die Tafel und schreibt eine 16 an den Anfang. "Manuel ist 16 Jahre alt, spart monatlich 50 Euro und erhält vier Prozent Zinsen", sagt sie. Manuel, der in der vorletzten Reihe sitzt, schaut irritiert nach vorn, als er seinen Namen hört. Ein paar der Mitschüler lachen. "Wie viel Geld hat er, wenn er 18 ist?", fragt Scheuer. Die Schüler tippen eifrig in ihre Taschenrechner und rufen ihre Ergebnisse in die Klasse.
Stefanie Scheuer, schwarzer Blazer, knallgrüner Lidschatten, ist gelernte Versicherungskauffrau und arbeitet als selbstständige Vermögensberaterin. Einmal in der Woche kommt sie in die Schule, um die 15- bis 16-Jährigen im Umgang mit Geld zu unterrichten. Bis zum Ende des Schuljahres wird sie die Themen Inflation, Altersvorsorge, Vermögensaufbau und Bausparen durchnehmen.
"Warum ist Sparen wichtig?", fragt die Vermögensberaterin. "Weil die staatliche Rente weniger wird", ruft ein Mädchen aus der letzten Reihe. Scheuer nickt anerkennend. "Wer von euch spart heute schon?", hakt sie nach. Zwei, drei Hände gehen zögerlich nach oben.
Scheuer gehört zu den "Geldlehrern Deutschland", einem Verein, der Ende 2010 in Düsseldorf gegründet wurde, um die finanzielle Bildung von Schülern zu verbessern. 69 Geldlehrer unterrichten derzeit an Mittel- und Realschulen sowie Gymnasien bundesweit, die meisten von ihnen sind Vermögens- oder Finanzberater. Sie absolvieren eine dreitägige Schulung, das kostet sie 2900 Euro. Auch das Unterrichtsmaterial – Taschenrechner, Buch, Arbeitsheft – zahlen sie größtenteils aus eigener Tasche. Scheuer sagt, das mache ihr nichts aus. Sie möchte ihren Schülern so viel beibringen, dass Banker ihnen keine schlechten Produkte mehr verkaufen können.
Die Schüler sollen sich mehr Gedanken über Kredite und Schulden machen
"Bildungslobbying" nennen die Verbraucherzentralen das, was die Geldlehrer machen – und sie kritisieren es scharf. "Die Darstellungen der Referenten sind oft einseitig", sagt Elke Salzmann vom Bundesverband der Verbraucherzentrale. Themen wie Falschberatung oder Überversicherung würden von den Geldlehrern ausgespart. "Auch wenn in solchen Kursen keine direkte Markenwerbung stattfindet, werden den Schülern Produkte wie Lebensversicherungen oder Bausparverträge nahegelegt."
Seit ein paar Jahren mischen externe Organisationen im Schulunterricht mit. Wirtschaftsverbände sponsern Arbeitsmaterialien, in denen marktwirtschaftliche Grundsätze erklärt werden. Deutsche-Bank-Mitarbeiter referieren über Altersvorsorge. Auch die Initiative My Finance Coach, ein Zusammenschluss von Firmen, darunter Allianz, McKinsey und KPMG, will die ökonomische Bildung von Schülern verbessern.
Die Vermögensberaterin Stefanie Scheuer unterrichtet in Strasskirchen im Fach Arbeit, Technik, Wirtschaft, das sonst Martin Mühlbauer unterrichtet, der Konrektor der Schule. Mühlbauer ist mit seinem Stoff durch und möchte, dass seine Schüler sich noch mehr Gedanken über Kredite und Schulden machen. "Die Schüler werden stark umworben", sagt er. Handyvertrag, das erste Motorrad – da lauerten bereits die ersten Schuldenfallen. Und warum unterrichtet er nicht selbst? "Jemand aus der Praxis macht einen ganz anderen Eindruck auf die Schüler."
Es geht nicht um Kundenaquise
Gerade diesen Punkt hält Reinhold Hedtke, Professor für Wirtschaftsdidaktik an der Universität Bielefeld, für problematisch. "Wenn Finanzberater vor der Klasse als Experten auftreten, entsteht ein völlig falsches Bild bei den Schülern." Er spricht von einem "didaktischen Desaster". Das wichtigste Lernziel sei, dass Schüler eine kritische Grundhaltung entwickeln gegenüber Finanzberatern und anderen Leuten, die ihnen etwas verkaufen wollen. In dieser Hinsicht sei der Geldunterricht absolut kontraproduktiv.
Wollen sie Minderjährige zu Kunden erziehen? Nein, sagen die Geldlehrer
Die Klasse arbeitet sich am Zeitstrahl weiter vor. Manuel ist jetzt 30, er will ein Haus kaufen. Dafür nimmt er einen Kredit auf, den er abbezahlt, bis er 65 ist. "Wie hoch sind derzeit die Finanzierungszinsen?", fragt Scheuer. Zwischen fünf und zwölf Prozent schätzen die Schüler. "2,5 Prozent, ein Haus zu finanzieren ist momentan sehr günstig", sagt Scheuer. Gegen die Kritik, Minderjährige zu Kunden von morgen zu erziehen, wehrt sie sich. "Mein Unterricht ist keine Verkaufsveranstaltung, Werbung ist tabu." Alle Geldlehrer unterschreiben einen Verhaltenskodex, der Werbung verbietet. Professor Hedtke überzeugt das nicht. "Mit offensichtlicher Werbung können Schüler besser umgehen, als wenn Finanzberater als unabhängige Experten auftreten." Hedtke hält es zudem für anmaßend, dass der Verein meint, den Umgang mit Geld besser unterrichten zu können als Pädagogen. Aber warum öffnen die Lehrer ihnen dann die Schultore? "Die Lehrer stehen mächtig unter Druck, sie hören ständig, dass ihre Schüler nicht genug aufs Leben vorbereitet seien", sagt Hedtke. Deswegen würden sie vermutlich auf solche Angebote zurückgreifen.
In der Klasse wird es unruhig, der Unterricht ist fast zu Ende. "Miete zahlen oder Haus abbezahlen – was ist gescheiter?", fragt Scheuer abschließend. Die meisten Schüler tendieren zum Haus. Ein Mädchen bleibt skeptisch: "Man muss allerdings nichts reparieren, wenn man zur Miete wohnt." – "Aber dann zahlst du dein Leben lang Miete, und wenn du in Rente gehst, gehört dir nichts", sagt Scheuer. Das Mädchen stimmt zögerlich zu. Manuel hingegen überzeugt das nicht: "Ich will kein Haus, ich will ein Schiff, und mit 65 wandere ich in die USA aus." Er lässt sich nicht erzählen, was gut für ihn ist und was nicht.
Kommentare
Warum nicht, wenn sie entsprechend qualifiziert sind
Qualifizierte Fachleute in die Klassenzimmer ist zweifellos ein sehr guter Ansatz, nicht nur im Themenfeld Ökonomie. Experten sind als Lehrkräfte mit Sicherheit sehr viel sinnvoller als "pädagogische Generalisten", bei denen die Gefahr besteht, dass sie der klassischen Definition "Generalisten sind Menschen, die von allem nichts verstehen" vollauf gerecht werden.
Experten? - Sie haben da etwas mißverstanden.
Es geht im Artikel um "Geldlehrer" (zumeist Vermögens- und Finanzberater). Diese sollen Schülern etwas über Geld lehren, nicht über Verkaufstalent für Finanzprodukte.
Im Verkaufstalent mögen etliche "Experten" sein, dies gleichzeitig im Bezug auf Wissen über die Finanzwelt zu unterstellen halte ich zumindest für ironisch.
Beschämendes Lobbistentum
Nichts gegen selbstständige Vermögensberater, aber hier macht man doch den Bock zum Gärtner. Leute, die von Finanzdienstleistungen leben, lehren Schüler, warum Finanzdienstleistungen wichtig sind. Na Klasse, die nächste Stunde ist dann der Sicherhietsexperte von Mercedes im Klassenraum.
Aber irgendwie ist das ja schon fast normal, wenn unser Staat sich immer weniger als Freiheitsgarant sondern als Sozialingenieur betätigen will - der in jeder Lebenslage genau weiß, was richtig ist und was falsch - ab er im Zweifelsfall niemals irgendeine Verantwortung übernimmt
So wird Schülern Skepsis gegenüber den sozialen Sicherungs-
systemen eingeimpft, damit sie als Erwachsene überhaupt gar nicht mehr den Anspruch erheben, daß diese in einer sozialen und demokratischen Marktwirtschaft funktionieren und erhalten bleiben.
Nein, bereits die Kinder werden darauf vorbereitet, später klaglos privat Versicherungen abzuschließen für Rente, Erwerbsunfähigkeit, Krankenbehandlung, damit die Abwicklung eines solidarisch finanzierten Versicherungssystems zugunsten einer global agierenden und profitmaximierenden Versicherungsindustrie nicht auf Widerstand stößt.
Und die Schulen unterstützen das in grenzenloser Naivität!
k.
Was heute in Banken und Versicherungen als "Berater" arbeitet...
..würde ich in vielen Fällen nichtmal meinen Einkaufszettel schreiben lassen. Ich habe selbst eine Banklehre gemacht und danach studiert, weil es einfach unerträglich war, mit wie wenig Wissen man welche Produkte verkaufen sollte. Oft wussten die Vertriebsschulungsabteilungen selbst nicht so ganz genau, wie das denn nun eigentlich funktionierte.
Man kann jedem nur den Rat geben, sich betriebswirtschaftlich selbst soweit zu bilden, dass man auf diese Provisionsdrücker nicht angewiesen ist.
Die gute Nachricht: das ist gar nicht so schwer, man braucht 2 Bücher und 2-3 Monate Internet für das Thema, dann weiß man fast alles, was Ottonormalberater auch weiß, in einigen Belangen sogar mehr.
2-3 Bücher
Können Sie mir ein paar Titel empfehlen? Das meine ich ernst und ohne jede Polemik. Ich stehe nämlich genau vor dem Problem Altersvorsorge u.ä. und konnte mich bisher zu keinem Vertragsabschluss durchringen, weil mir kein Anbieter klar sagen konnte: das geht rein, das geht raus. Stattdessen wird mit : "Wenn- dann" jongliert, die Angebote verschiedener Anbieter sind unmöglich zu vergleichen aufgrund bestimmter Extraklauseln etc.
Zum Thema: ich hätte mir gewünscht, dass sowas in der Schule überhaupt angesprochen worden wäre. Mit Themen wie Wirtschaft kam man auf unserem Gymnasiums nur äußerst marginal in Kontakt, meist historisch (Stichwort Adam Smith..) , aber es gab keinerlei praktisch orientierten Unterricht auf diesem Gebiet. Was ich mich aber frage : warum nimmt man keine neutrale Person, z.B. von der Verbraucherzentrale? Das Argument, jemand von außen beeindrucke die Kinder stärker ,empfinde ich als hanebüchen, damit kann man sich auch den lokalen SPD/CDU/sonstwas Parteichef in die Schule holen und Politik unterrichten lassen....
Propaganda der Finanzindustrie
Jeder Mathelehrer sollte eigentlich in wenigen Sekunden ausrechnen können, dass die Behauptung der "Finanzberaterin" zu kreditfinanzierten Immobilien hanebüchener Quatsch ist. Oder knallharter Lobbyismus, je nach Perspektive. Erschreckend, dass derartige interessengeleitete Propaganda an unseren Schulen stattfindet!
Nicht unbedingt.
Die wenigsten Mathelehrer können nämlich die Inflationsraten für die nächsten Jahre vorhersagen :-). Und ob es "besser" ist, sich ein Haus auf Pump zu kaufen, sein Leben lang zur Miete zu wohnen, oder erst etwas anzusparen und dann nur noch einen kleine Kredit aufzunehmen, entscheidet sich eh am individuellen Lebensentwurf und nicht an einem mathematischen Fallbeispiel.