Sie halten Babypuppen im Arm oder tasten Kugelbäuche aus Plastik ab: 30 Studienanfängerinnen der Hochschule für Gesundheit in Bochum, die sich zur Praxisausbildung in einem Hörsaal oder vielmehr im Skills Lab der Hochschule für Gesundheit in Bochum eingefunden haben. Die angehenden Hebammen belegen hier Module wie "Mutter und Kind nach der Geburt" oder "Krankheitsbilder in Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett" und haben Prüfungen unter anderem zum Thema Kindergesundheit.
Hebamme, das wird man eigentlich in Krankenhäusern und Fachschulen, ein klassischer Ausbildungsberuf. Doch allmählich öffnen sich die Hochschulen für den Nachwuchs in der Hebammenkunde – und ebenso für angehende Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden, Alten- und Krankenpfleger, von Erziehern ganz zu schweigen.
So werden aus Azubis Studenten. Unumstritten ist der Trend zur Akademisierung, der sich besonders in den Gesundheitsberufen abzeichnet, allerdings nicht.
Anne Friedrichs, Präsidentin der noch jungen Hochschule für Gesundheit, ist gewappnet gegen kritische Nachfragen. Sie kennt die Vorbehalte gegen das, wofür ihre Hochschule steht. Seit dem Wintersemester 2010/11 werden in Bochum Pfleger, Ergo- und Physiotherapeuten, Hebammen und Logopäden ausgebildet. Sie absolvieren die Berufsausbildung parallel zu einem Bachelorstudium. Mit dem gängigen Vorurteil einer zu großen Praxisferne der Hochschulausbildung kann Friedrichs nichts anfangen. "Unsere Ausbildungen sind darauf ausgerichtet, dass unsere Absolventen direkt im Kontakt mit dem Patienten bleiben", sagt sie. "Die Akademisierung dient der Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung und ist kein Selbstzweck."
"Es ist ein Stereotyp, dass man für den Job nur Herzenswärme braucht"
Hintergrund dieser Entwicklung sind die wachsenden Anforderungen in der Praxis. Die zunehmende Technisierung der Pflege ist das eine – das andere ist eine Gesellschaft, in der auch aufgrund der demografischen Entwicklung der Pflegebedarf, chronische Krankheiten und Mehrfacherkrankungen zunehmen. Hochschulvertreter und Berufsverbände halten eine akademische Ausbildung nicht aller, aber von zunächst zehn bis dreißig Prozent der Nachwuchskräfte je nach Einsatzgebiet für unabdingbar.
"Man denkt immer: Das kann ja jeder. Es gibt dieses Stereotyp, dass es für diesen Beruf vor allem Herzenswärme braucht", sagt Franz Wagner, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Berufsverbands Pflegeberufe. Pflege sei aber nicht nur, Patienten zu füttern und zur Toilette zu führen. In der Beratung von Kranken und Angehörigen, bei Kriseninterventionen oder bei der Versorgung von Krebspatienten brauchten Pflegefachkräfte zunehmend theoretisches Hintergrundwissen. Außerdem müssten sie sich mit neuen Erkenntnissen, mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung auseinandersetzen. "Das zuverlässig zu beurteilen und analytisch zu denken sind Anforderungen, die hinzukommen", sagt Wagner.
Es gehe dabei weniger um die praktische Anwendung neuer technischer Möglichkeiten oder neuer Medikamente, das könne man tatsächlich auch jedem Schüler oder Azubi beibringen, sagt auch Hochschulpräsidentin Friedrichs. "Die schulische Ausbildung muss weiterhin eine wichtige Säule bleiben." Aber für die Anforderungen, die wir heute in den Gesundheitsberufen hätten, sei diese Qualifizierung oft nicht mehr ausreichend. Wissenschaft und Forschung müssten eine größere Rolle spielen. "Und Forschung können eben nur die Hochschulen leisten", sagt Anne Friedrichs.
Kommentare
Eine Differenzierung ist notwendig ...(Fortsetzung)
....
2. Vermehrter Einsatz von Pflegehilfskräften in "unkritischen" Bereichen! Achtung: Ich spreche hier nicht davon, dass weniger qualifizierte jede Tätigkeit von voll ausgeildeten Pflegekräften übernehmen sollen, vielmehr davon, letztere von Arbeiten zu entlasten, für welche keine drei Jahre Ausbildung vonnöten ist.
Dies würde bei breiter Umsetzung eine Einführung der leistungsgerechten Bezahlung ermöglichen!
3. Einführung eines breiteren Angebots an Studiengängen
Womit wir beim eigentlichen Thema wären!
Nicht nur das Geld oder die Sicherheit lockt, besser würde locken!
Für viele Interessierte ist das K.O.-Kriterium die mangelnde Aussicht auf Aufstiegsmöglichkeiten. Realistisch betrachtet ist beim Erwerb eines Fachschwesterdiploms (z.B. Intensiv oder Onkologie, etc.) Ende der "Fahnenstange"! Bleibt noch das Studium der Pflegepädagogik, des Pflegemanagements oder der Pflegewissenschaft! Nach drei Jhren Grundausbildung noch drei bis vier Jahre berufsbegleitend studieren? Und hier übersteigen jetzt schon die Absolventen die Stellenangebote, ausser man ist örtlich sehr flexibel.
Letztlich stellt sich mir die Frage, warum man nicht gleich einen modifizierten Studiengang der Pflege parallel zur bisherigen drei-jährigen Grundausbildung anbieten sollte? "Aufstiegshungrige" können wählen: 3 Jahre normal, oder in 4 Jahren zum Bachelor, mit dem Vorteil später leichter und schneller einen Master in einem Spezialbereich der Pflege zu erwerben!
Also: Studium ja, aber marktorientiert!
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Polemik. Danke, die Redaktion/ls
@Christian Delzer
Hallo,
viele FH und Uni bieten bereits die Parellelbachelor an.Es ist der Markt ist nicht gesättigt, real werden viel mehr akademisch Pflegekräfte gebraucht um z.B. die Evidenzbasierten Standards auch in der Praxis umsetzen. Der Deutsche Pflegerat hat in seinem Bildungskonzept ähnliche Vorstellungen wie Sie, auch das Krankenpflegegesetz, was in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll, geht in die ähnliche Richtung. http://www.bmg.bund.de/pfleg…
Bilde mir sogar ein
dass es ein Artikel in der Zeit war, dem man entnehmen konnte, dass GB schlechte Erfahrungen mit der Akademisierung der Pflege gemacht hat. Der Grund: Pfleger mit Hochschulausbildung sind sich zu fein für die klassischen Tätigkeiten.
Jetzt sollen also mit "Chef"-Pflegern neue Hierarchien geschaffen werden...
Was die Patienten jetzt schon real bedroht, ist die Tatsache, dass am Pflegepersonal gespart wird. Ich sehe nicht, dass das dann besser wird, zumal diese akademisch ausgebildeten Kräfte ja teurer sein werden.
Die Gesundheitswissenschaften wissen schon lange, dass die Pflegekräfte eine Art Vertrauensperson für Patienten darstellen, sie sind ihnen näher. Davon wird es dann noch weniger geben.
30% Kaiserschnittrate und viele traumatisierte Mütter
sprechen eine deutliche Sprache. @Kassandra
Wir benötigen keine weitere Medikalisierung der Geburtshilfe, sondern eine Stärkung des Selbstbestimmungsrechtes der Frauen. Führende Geburtshelfer befürchten inzwischen, dass die in Deutschland sehr niedrige Müttersterblichkeit in Zukunft ansteigen könnte, wegen der Spätfolgen der vielen Kaiserschnittentbindungen. Dazu gehören die Uterusrupturen, aber vor allem die in den letzten Jahren stetig zunehmenden Plazentaeinnistungsstörungen, an deren Folgen Mütter nicht nur verbluten können, sondern die oft auch bei jungen Frauen eine Entfernung der Gebärmutter erforderlich macht. Dies alles ist nachzulesen im kürzlich erschienenen Buch "Meine Wunschgeburt", welches sich nicht nur mit den Folgen der hohen Sectioraten beschäftigt, sondern Mütter mit den nötigen Informationen versorgt, damit sie beim nächsten Kind eine selbstbestimmte Geburt unter Begleitung einer gut ausgebildeten Hebamme (egal, ob akademisch oder nicht)und sorgfältig ausgewählter ärztlicher Geburtshelfer erleben können, so sie dies wünschen. Die Folgen einer Medikalisierung unauffälliger Schwangerschaften und Geburten belasten nämlich nicht nur unsere Sozialsysteme, sondern führen auch zu vielen traumatisierten Frauen, die sich nach einer Horrorgeburt nur noch einen Kaiserschnitt wünschen, wenn sie überhaupt noch ein weiteres Kind wollen.
Martina