Wenn die Haut unablässig juckt, kann der Hautarzt vielleicht helfen, lässt das Gehör nach, der Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Was aber, wenn Ängste überhandnehmen oder einen wochenlang Antriebslosigkeit und trübe Gedanken plagen? Dann ist die Lage deutlich unübersichtlicher. Ist jetzt der Psychiater zuständig, die Neurologin, ein Psychosomatik-Arzt, oder wäre eine Psychotherapie am besten? Und falls Therapie, welche Form wäre dann die richtige? Schließlich gibt es Hunderte von therapeutischen Subdisziplinen.
Was oft fehlt, ist eine Art Leitfaden durch den Therapiedschungel. Die erste Anlaufstelle in großer Not kann der Hausarzt sein oder die psychiatrische Ambulanz eines Krankenhauses. Auch eine psychosoziale Beratungsstelle – im Telefonbuch unter dem Stichwort "Beratung" zu finden – hilft weiter. Ist der Bezug zur Realität völlig verloren gegangen oder quält eine schwere Depression , dann werden die Betroffenen von dort vermutlich zu einem Psychiater geschickt.
Ist der Fall weniger gravierend, hilft oft eine Psychotherapie (manchmal in Kombination mit einer medikamentösen Therapie). Im Internet finden sich bei den Psychotherapeutenkammern lange Listen mit entsprechenden Therapeuten. Unter www.psych-info.de kann der Interessierte sogar auswählen, welche Art von Therapie es denn sein soll.
Doch was ist das richtige Angebot? Wer diese Frage für sich beantworten will, sollte zunächst wissen, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für genau drei Verfahren erstatten, die sogenannten Richtlinienverfahren. Wer andere Methoden bevorzugt, muss selbst in die Tasche greifen. Ersetzt werden: die analytische Psychotherapie, die tiefenpsychologische Psychotherapie und die Verhaltenstherapie. Diese Therapieangebote unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf ihre theoretischen Grundannahmen und ihre Methodik, sondern auch durch die Länge der Behandlung erheblich.
Kommentare
Geldmacherei
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke, die Redaktion/se
Theoretisierend
Der Artikel benennt theoretisch das Problem, aber praktisch stellt sich die Frage für einen Betroffenen nicht, den er hat weder eine Wahl zwischen den jeweiligen Ansätzen noch ein Chance auf kurzfristige Termine.
Wartezeit
Das eigentliche Problem besteht doch nicht im "Therapiedschungel", sondern in den langen Wartelisten bei Therapeuten mit Kassenzulassung - sprich: es gibt viel zu wenig Kassenplätze.
Wer psychisch krank ist, hat Anspruch auf eine adäquate und von der Kasse bezahlte Behandlung. Im Normalfall wird sich also ein Betroffener einen kassenzugelassenen Therapeuten suchen, also einen Vertreter der ersten drei genannten Verfahren. Hier oben im Nordosten können Sie locker ein halbes Jahr auf einen Termin für ein Erstgespräch warten, und dann wissen Sie immer noch nicht, ob der Therapeut auch in Frage kommt.
Leider verschweigt der Artikel, dass die geringe Anzahl der Kassenplätze auf eine Bedarfsschätzung aus dem Jahre 1998 zurückzuführen ist, bei der der Bedarf anhand der damals tatsächlich durchgeführten Psychotherapien festgelegt wurde - also zu der Zeit, als psychologische Psychotherapeuten noch überhaupt keine Kassenzulassung erhalten konnten, es vulgo per definitionem deutlich weniger Therapien gab, die von der Kasse bezahlt wurden. Und diese raren Kassenplätze wollen die Krankenkassen noch weiter ausdünnen... bei steigendem Bedarf.
Genauso war es bis vor ca. 10 Jahren...
Die zwischen Hausarzt und psychologischem Psychtherapeuten notwendigerweise eingeschaltete Station Nervenarzt (Delegationsverfahren) konnte eine Menge filtern und dirigieren. Die organische Depression wird hat besser medikamentös behandelt, die Psychose auch, die Neurose eher tiefenpsychologisch und die Phobien eher verhaltenstherapeutisch. Reduzierte Introspektion und mangelhaftes Verbalisierungsvermögen wurden erkannt und benannt und nicht verkannt und weitergeschoben. Damals gab es kaum Wartezeiten auf Therapieplätze.
Heute muss jeder Beziehungskonflikt, jede Bagatellstörung pathologisiert und dann natürlich auch therapiert werden. Welch ein Humbug...
Der Lotse im System....
In der Somatik ist der Lotse im gesundheitssystem der Hausarzt (Praktiker, Allgemeinmediziner, hausärztlicher Internist). Er sollte Patienten mit einer seelischen Problematik zu einem Facharzt (Psychiater, Neurologe, Nervenarzt, Arzt für Psyciatrie und Psychotherapie, Arzt für Psychosomatik) überweisen. Dort können dann Art der Störung, geeignete Methode der Bahendlung (stationär, medikamentös, psychotherapeutisch, kombiniert oder aber auch Zuweisungen zur Suchtambulanz, zu AA oder Blaukreuz, zu Partnerschaftsberatungen etc.), Eignung für die jeweilige Behandlung (z. B. Introspektion und Verbalisierungsvermögen) erarbeitet werden. Von dort aus sollten dann die entsprechenden Therapien eingeleitet werden.
Theorie vs. Praxis
Ja, so könnte und sollte es sein.
Leider sind Hausärzte oftmals damit überfordert, das mögliche Vorliegen einer psychischen Erkrankung überhaupt zu erkennen.
Viele Patienten kommen ja nicht zum Hausarzt und sagen "Ich bin depressiv" oder "ich habe eine Panikstörung". Ein Panikpatient kommt, weil er manchmal Herzrasen hat. Der Hausarzt findet keine organische Ursache und gibt dem Patienten im schlimmsten Fall noch Benzos mit. Ein Patient mit Depression kommt, weil er schlecht schläft und deswegen immer müde ist. Der Hausarzt verschreibt ein Schlafmittel.
Diese Beispiele sind nicht ausgedacht oder an den Haaren herbeigezogen. Es dauert in Deutschland im Schnitt 8 (!) Jahre nach dem ersten Arztkontakt, bis eine Angststörung korrekt diagnostiziert wird. In dieser Zeit kann sich der hausärztlich versorgte Panikpatient eine schöne Benzodiazepinabhängigkeit heranzüchten.
Daher funktioniert das mit dem Hausarzt als Lotsen nur bedingt und hängt von der Expertise des Arztes ab. Eigentlich sollte es Standard sein, bei unklaren somatischen Beschwerden auch die Hypothese einer psychischen Grunderkrankung mit einzubeziehen. Davon sind wir aber meilenweit entfernt. Stattdessen wird der betreffende Patient noch mit Bemerkungen á la "psychosomatisch = eingebildet" verunsichert sowie mit mindestens fragwürdigen Medikamenten ohne erfüllte Indikation "versorgt".