Die Jäger wussten schon lange, dass Kritiker ihnen grundlegend am Zeug flicken wollen. Doch nach acht Jahren juristischen Streits nahmen sie die Gegner ihrer Traditionen nicht mehr so ernst. Schließlich waren diese stets abgeblitzt, auch vor dem Bundesverfassungsgericht und vor der Kleinen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg.
Doch Günter Herrmann, ein juristisch versierter Kläger, gab nicht auf. Er lehnt jegliche Jagd aus ethischen Gründen ab und will nicht gezwungen sein, das Töten von Wildtieren auf seinem Grundeigentum zu dulden. Denn nach deutschem Recht ist jeder Besitzer kleiner Wald- und Flurstücke (bis 75 Hektar) Zwangsmitglied einer Jagdgenossenschaft. Eigentum verpflichtet, und wenn irgendwo die Sau, der Hirsch oder Bär los ist, dann muss ein Jäger über Flurgrenzen hinweg für Ordnung sorgen. So dachte man, jahrzehntelang.
Damit ist nun Schluss. Die allerhöchste Instanz, die Große Kammer des EGMR, verkündete Ende Juni ein sensationelles, nicht mehr anfechtbares Urteil im Verfahren Herrmann gegen Deutschland : Jagd auf eigenem Land dulden zu müssen sei für deren Gegner »eine unverhältnismäßige Belastung« und verletze den Schutz des Eigentums.
»Grandioser Sieg, wir haben es geschafft«, jubelte die Initiative Zwangsbejagung ade , ein Verbund von Grundeigentümern, Jagdgegnern und Tierschützern. Das neue Urteil werde »große Auswirkungen auf das gegenwärtige Jagdsystem haben«, verkündet die Initiative im Internet. Ihr Rechtsanwalt Dominik Storr, der erfolgreich am EGMR kämpfte, werde zwei ruhende Fälle vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wieder ins Rollen bringen. Diese seien wegen des Straßburger Verfahrens ausgesetzt gewesen und nun wohl gewinnbar. »Wir haben daher die Möglichkeit, der Jägerlobby relativ zeitnah mit zwei weiteren Urteilen einen ›doppelten Blattschuss‹ zu verpassen«, triumphieren die Jägerjäger. Sie wollen mit Spenden weitere Verfahren unterstützen, um dem Wild mehr Ruhe zu bieten. Ziel sei es, »in Deutschland den lang ersehnten Flickenteppich herzustellen, der den Wildtieren endlich die dringend benötigten Rückzugsgebiete« schaffe.
Die Jäger waren perplex. Ihre größte Interessenvertretung, der Deutsche Jagdschutzverband DJV, der auch in Straßburg beteiligt war, warnt: »Eine Beseitigung des bewährten Reviersystems hätte fatale Folgen« für Land- und Forstwirtschaft. Erst im Juni hatte die Zunft zur eigenen »Standortbestimmung« 16 Leitlinien entwickelt . Deren erste lobpreist die Jagd als »älteste Form nachhaltiger, schonender Nutzung natürlicher Ressourcen«, gar als »schützenwertes Kulturgut«. Punkt 6 befasst sich mit dem Reviersystem und unterstreicht mit Fettschrift: »Unverzichtbar ist dabei die Pflichtmitgliedschaft in einer Jagdgenossenschaft.«
Dieser Standpunkt wankt nun. Friedrich von Massow, Rechtsreferent des DJV, meint zwar, das Reviersystem bleibe grundsätzlich erhalten, der EGMR habe »die Hegeverpflichtung und die flächendeckende Bejagung nicht prinzipiell infrage gestellt«. Aber Massow räumt ein, dass nun Gesetzesänderungen notwendig sind – und die Gegner zum Angriff blasen. »Da kommt was auf uns zu.«
Viel Streit ist programmiert. Beispielsweise um die Frage, wie weit Besitzer eines jagdfreien Grundstücks mithaften für Wildschäden auf benachbarten Flächen. Tiere lernen nämlich rasch, wo keine Gefahr droht. Aus Ruhezonen heraus könnten beispielsweise große Wildschweinrotten benachbarte Äcker verwüsten. Deshalb fordert der DJV für Wildschäden an »umliegenden Flächen Mithaftung – und zwar überproportional«, wegen erschwerter Bestandsregulierung. Für Zoff dürfte auch sorgen, dass in Revieren mit befriedeten Zonen die Erträge aus Jagdpachten sinken. Haften die Genossenschaftsgegner auch dafür? Konfliktreich wird die Koexistenz zudem, wenn angeschossenes Wild aus dem Revier in eine Ruhezone flüchtet. Darf man es dort vorschriftsgemäß aufspüren, ihm den Gnadenschuss geben – und es mitnehmen?
Kommentare
Willkommen in Europa!
[...]
Dabei sind es Jäger, die neben dem ach-so verächtlichen Töten auch unheimlich viel für Wald und Wild tun. Da werden Biotope angelegt, Wälder gepflegt und viel für Tier und Mensch getan. Egal. Hauptsache man kann sich abends auf die Schulter klopfen das man etwas vermeintlich Gutes getan und jemand anderem den Tag versaut hat.
Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Polemik. Danke, die Redaktion/ls
@1 - Michael Setiner: Ihre Behauptung ist so nicht richtig:
"Dabei sind es Jäger, die neben dem ach-so verächtlichen Töten auch unheimlich viel für Wald und Wild tun. Da werden Biotope angelegt, Wälder gepflegt und viel für Tier und Mensch getan."
Das ist nicht richtig.
Für zweites sind in der Regel die Förster vearntwortlich.
Förster und Jäger können durchaus absolut teilfremde Gruppen sein.
Und mit großer Wahrscheinlichkeit sind sie es auch.
Mit dieser Richtigstellung möchte ich zunächst keinen Kommentar zu dem Urteil abgeben.
Kein Menschenrecht zu töten
Die Botschaft der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist so einfach, wie sensationell: Zwangsbejagung vertößt gegen die Menschenrechte.
Wie notwendig war es, dass Außenstehende die Koordinaten der Ethik justiert haben! Wie konnte es nur geschehen, dass durch gebetsmühlenartige Betonung von Hege, dem Vorrang der Gemeinschaft und der Alternativlosigkeit des Althergebrachten das Gewissen nicht nur von Jägern, sondern auch von Entscheidungsträgern der Gesellschaft derart betäubt wurde. Jeder Mensch empfindet Entsetzen, wenn er die Tötung eines anderen Lebewesens erlebt. Dieses Gewissen ist der beste Garant für das Überleben unserer Gesellschaft. Dieses Gewissen haben die Richter in Straßburg mit ihrer Entscheidung geschützt und dafür können wir ihnen dankbar sein.
Wie kommen Sie dazu für mich zu sprechen?
Ich bin ein Mensch wie Sie, habe aber weniger Skrupel, Tiere zu töten als Sie und auch ansonsten teile ich Ihr Weltbild in keinster Weise.
Ich esse Fleisch, bin mir der Konsequenzen bewusst und gönne jedem Vegetarier, Veganer und was es an solchen Gruppierungen noch geben mag, ihren berauschenden Lustgewinn durch das innige Empfinden der eigenen Güte.
Aber es fällt mir durchaus schwer zu verstehen, wie derart in sich ruhende, sich ihrer moralischen Überlegenheit dermaßen gewissen Menschen, einen derart moralinsauren Tonfall entwickeln können.
Eines Tages müssen wir Fleischesser uns in dunklen Kellern treffen und dort unserem leidbringenden Laster frönen.
Um zum Artikelthema zurückzukommen: Wovon wird man sich ernähren, wenn riesige Wildschweinpopulationen bei mangelnder Bejagung durch die Felder marodieren?! Soll man dann wieder Bären ansiedeln und größere Wolfspopulationen oder sind diese Fleischfresser auch wegen ihrer Ernährungsgewohnheiten zu diskriminieren? ;)
@2 Josef Fassl - Widerspruch und Disskussionsanregung
Zunächst einmal scheint mir Ihre Euphorie insofern unberechtigt, da das Gericht die Jagd prinzipiell nicht verboten hat, diese per se offensichtlich nicht einmal in Frage gestellt hat. Es ging hier nicht um den "Schutz" von Tieren.
Rein inhaltlich wäre es sinnvoll Ihre Position zu überdenken:
Zunächst jedoch vorausgestellt, dass Tiere selbstverständlich zu schützende Kreaturen sind, die ins Besondere nicht zu qüalen sind.
Jedoch:
1.) ca. 85% (meine Schätzung) der europäischen Bevölkerung werden regelmäßig Fleisch essen - seit dem Beginn der Menschheit.
Dies geht nicht ohne Tiere zu töten.
Dem gezüchteten Tier geht es da m.E. dabei noch signifikant schlechter, da es in der Regel allein durch seine Haltung schon gequält wird - von nicht sachgemäßer Tötung einmal abgesehen.
M.E. geht es da dem Wild weniger schlecht.
2.) Die Jagd auf Wildtiere ist nicht nur dehalb vorgesehen, damit man diese später verspeisen kann, sondern auch deshalb, damit der Schaden an der Ernte minmiert wird.
Je weniger Wild geschossen wird, werden wir also mit diesem um das nun so gepriesene pflanzliche "Futter" konkurrieren müssen.
Wenn wir es also nicht direkt töten wollen, werden wir es indirekt tun, indem wir versuchen werden, es von unseren Feldern abzuhalten und dem nun erheblich erhöhten Bestand seine Nahrung irgendwie entziehen werden.
Den Bock zum Gärtner gemacht
Die Jagd auf Wildtiere als Schutz der Ernte zu deklarieren, damit die Menschen mehr zu essen haben ist nicht einmal anachronistisch.
Jagd war höchstens in der Steinzeit dafür geeignet, Menschen Nahrung zu liefern. Und auch da war Fleisch eher selten.
Jagd war im Mittelalter Privileg und Statussymbol der Oberschicht und ist es bis heute.
Damals hat die Jagd wesentlich mehr Ernten der Bauern vernichtet, die dadurch ihre Lebensgrundlage verloren und hungerten, als dass Jäger etwas zur Ernährung beitrugen. Berichte über durch Jaggesellschaften verheerte Äcker gibt es zuhauf. Vom Wildbret aber kriegte nie ein Hungernder etwas ab! Im Gegenteil, auch bei noch so großem Hunger der Armen wurde Wildfrevel sogar mit dem Tode bestraft, denn nur der Adel hatte das Jagdrecht - und der hungerte sowieso nicht.
Auch heute ist der vermeintlich zu verhindernde "Wildschaden" nur ein fadenscheiniges Argument. Denn geschossen wird nicht auf das Wild, das gerade Schaden anrichtet (in der Regel Wildschweine), sondern auf das, was die größen Trophäen und das meiste Geld bringt, wie den Hirsch im Artikelbild. Und wie viele Felder hat der wohl zerstört?
Nicht umsonst ist der vermeintliche "Wildschaden" ein Argument der Jäger, das nie mit Zahlen belegt wird.
Denn es stammt bestenfalls aus dem Reich der Phantasie.
Warum haben Länder, in denen die Jagd weitgehend verboten ist, dann nicht längst flackendeckend Ernteschäden? Klar: Weil es sie nicht gibt. Es geht auch ohne Jagd. Nur nicht für die Jäger.
Im Übrigen finde ich es achtenswert,
wenn Menschen keine Tiere töten wollen.
Tatsächlich ist es allerdings fraglich, inwiefern die auf diese Art vor dem Gericht Klagenden mit dem Urteil zufrieden sein können.
Einerseits werden, wie in dem Artikel auch beschrieben, die Wildtiere sich nun einerseits auf dem Boden des Klägers aufhalten und vermehren.
Andererseits wird speziell die Grenze eines solchen Reviers, sofern nicht eingezäunt, ein schönes Jagdgrevier darstellen.