"Das hab ich schon versucht, aber wenn’s zu extrem ist, schieß ich nur in die Höhe, da hab ich auch nichts von."
Fabian Hambüchen geht zurück zum Anlauf, der Vater guckt sich das Video noch mal an. "Nicht schlecht für einen alten Mann", sagt er dann.
Fabian Hambüchen redet zwischen den Sprüngen nur das Nötigste. Sein Vater quatscht pausenlos und umkreist die immer gleichen Themen: den Dopingkontrollwahn bei Spitzensportlern, vor allem aber seine Scharmützel mit Verbänden und Systemen. "Für die Unabhängigkeit, die wir uns erkämpft haben, nehmen wir alle Reibungsverluste mit dem Verband in Kauf", sagt er. "Wir machen einfach nicht mit in diesem Systemirrsinn, den wir in Deutschland haben."
Das "Wir" gegen das "System": Das ist der Grundkonflikt in seinem Leben. Viermal ist er aus Vereinen geflogen, weil er keine Zugeständnisse bei den Hallenzeiten und den Trainingsbedingungen für seinen Sohn akzeptierte. "Ich habe nie einen Streit vermieden", sagt er, "und das Ergebnis gibt mir recht."
Seit 25 Jahren ist Wolfgang Hambüchen Trainer in Wetzlar. Seit 50 Jahren im Turngeschäft. Als er jung war, war er selbst Turner. Weil er in seiner Halle nur einmal pro Woche trainieren konnte, kaufte er sich ein Moped und fuhr jeden Tag zu einem anderen Verein. Eineinhalb Stunden hin und eineinhalb Stunden zurück. Wolfgang Hambüchen nennt sich selbst einen Turnidioten. Nie hat er etwas anderes gemacht. Seinen Sohn hat er geformt, gequält, getriezt. Er hat ihn an die Weltspitze gebracht.
"Wir haben uns oft gefetzt, ich hab geheult und ihn verflucht", sagt Fabian Hambüchen mittags nach dem Training in seiner Wohnung, "aber ich habe ihm alles zu verdanken."
Fabian Hambüchen sitzt auf einem schwarzen Lederstuhl in seinem Wohnzimmer. Seit drei Jahren wohnt er im Erdgeschoss eines Vierparteienhauses, Hanglange, mit Blick auf Wetzlar. Der Auszug bei den Eltern war ein erster Schritt der Abnabelung. Er hat eine Küche in Bordeauxrot, ein Wohnzimmer mit dunklem Holztisch und eingelegter Glasplatte, schwarzer Sofagarnitur und Flachbildschirm, ein Bad und ein Schlafzimmer. An den Wänden hängen Zeichnungen von Sportwagen.
Wenn Fabian Hambüchen über den Bruch in seinem Leben redet, über das, was in den letzten zwei Jahren passiert ist, wird er vorsichtig. Er war verletzt, und mit der Verletzung begann sein Ruf zu bröckeln: Fabian Hambüchen stolperte in die Boulevardfalle.
Die Autobiografie, die er 2010 veröffentlichte, schrieb er zusammen mit einem befreundeten Journalisten der Bild -Zeitung. Es ist eine unbedarfte Erzählung einer Spitzensportkarriere, garniert mit privaten Details über sein erstes Mal und Geturtel mit den Freundinnen. Die Bild druckte vorab, Philipp Boy und andere Turnkollegen echauffierten sich. "Ich brauche mich dafür nicht zu schämen, aber im Nachhinein denke ich doch relativ skeptisch darüber, so viel Privates preisgegeben zu haben", sagt Hambüchen heute. Im Herbst 2011 bekam er eine Anfrage fürs Turmspringen bei Stefan Raab. Es war am selben Tag wie das Finale seiner Bundesligamannschaft KTV Straubenhardt. Hambüchen konnte wegen seiner Achillessehnenverletzung nicht beim Wettkampf starten und ging zum Turmspringen. Die Funktionäre seines Vereins waren sauer, wollten, dass er sich als moralische Stütze auf die Tribüne setzt. Hambüchen entgegnet: "Beim Turmspringen konnte ich das Turnen im Fernsehen repräsentieren und auch noch was für meine Sponsoren tun."
Es ist ein typischer Hambüchen-Satz. Er sagt ihn, weil er nicht verstehen kann, warum die anderen seine Entscheidungen nicht akzeptieren können. Doch weil er in letzter Zeit so häufig aneckte, hat er seine Schlüsse daraus gezogen. In der Halle, auf seinem Terrain, ist er nach wie vor die Rampensau. Da reißt er die Arme in die Luft, da pusht er die Fans, die ihn dafür lieben, da feiert er die Wettkämpfe. Kein anderer deutscher Athlet ist so extrovertiert. Bei seinen öffentlichen Auftritten aber ist er zurückhaltender geworden.
Kommentare
Unangepasstheit
Diese Unangepasstheit an den "Systemirrsinn" kann ich ja nachvollziehen, aber dieser nicht weniger inszenierte Familienehrgeiz geht mir irgendwie auch auf die Nerven. Naja, bleibt zu hoffen, dass er den Absprung schafft - den Absprung ins richtige Leben!
Hhmmm
Für mich las sich der Artikel so, als würde man über ein Kind sprechen, als würde man in Anwesenheit einer Person in dritter Person über sie sprechen. Abwinkend, das wird schon noch, jetzt dieses, dann kommt jenes, das ist die Entwicklung, das wird er schon noch sehen. Mag ich nicht, diesen Stil. Vlt. habe ich aber auch zu sehr reininterpretiert, weil ich diesen Stil nicht mag.
Was ich auch nicht mag ist die Floskel "das richtige Leben" oder "im richtigen Leben ankommen". Jedes Leben und jeder Lebensweg ist richtiges Leben. Es gibt nicht diesen einen Lebensweg und es gibt auch kein nicht-richtiges Leben. Der junge Mann hat schon mehr Profijahre hinter sich, als mancher "Mein-Haus-Mein-Auto-Meine-Familie"-Mensch. Vielleicht hat er von Familiendingen nicht so die Ahnung, aber eben jene richtiges-Leben-Familien-Menschen haben auch keine Ahnung von Profi-Sport-Karrieren. Das klingt immer nach Geringschätzung anderer Lebensentwürfe und das mag ich nicht.
Begegnungen werden viel interessanter, wenn man sich die Wege, Entwürfe und Ideen anderer Menschen ohne Brille ansieht.
Leistungssport
Ich kenne die Hambüchens nicht und ich kenne den Autor nicht, aber ich kenne Leistungssport, Kadersysteme und Verbände.
Und solche Verbands- und Kadersysteme bestehen nicht immer nur aus den sympathischsten Zeitgenossen. Insofernhin kann ich es gut verstehen, wenn die Hambüchens ihren eigenen Sonderweg gegangen sind.
Den Verbandsleuten stößt das natürlich übel auf, wenn der Topmann nichts mit ihnen zu tun haben will, denn dann kann man sich nicht in seinem Glanze sonnen. Das gilt insbesondere für Verbandstrainer und Konsorten. Aber so ist das nunmal. Es ist die Leistung des Sportlers und nicht die der Funktionäre!
Und ganz davon abgesehen, sollte man aus Eltern-, wie auch Athletenaussicht ruhig mal hinterfragen, wie sinnvoll es ist so viel Zeit und Energie in doch recht stupide Tätigkeiten, die nichts anderes als körperlich Schwerstarbeit sind, zu investieren.
Meist fährt man mit einem Hobbysport besser als damit riesige Anstrengungen in Richtung Profisport zu unternehmen, um dann letztlich doch nur ein paar Euro Fünfzig Profit daraus zu schlagen. Nur die Wenigsten werden mit Sport richtig wohlhabend oder gar reich werden.
Klingt irgendwie gruselig
Bei allem Respekt vor Hambüchens sportlichen Leistungen und Erfolgen, aber ein Vater, der seinen vier Wochen alten Sohn schonmal am Reck probehängen lässt, kommt mir eher seltsam vor. Und welcher Sohn möchte schon ein Projekt sein?
Gut so
Ich finde es in der heutigen Zeit schon schwer genug, in der Öfffentlichkeit zu stehen, etwas zu machen, nach eigenem Gestus, und vermutlich auch deswegen viel Neid einzukassieren, getarnt als Befremdung gegenüber dem " nicht üblichen".
Daher ist es wichtig, wenn man in irgendeiner Weise selbst sein kann, aus eigenem Gestus heraus die Dinge bewertet.
Wer nicht mit der Masse ist, verdient Respekt. Allerhöchsten Respekt.
Familie? Ja warum denn nicht. Es ist das einzige , heute, was noch wirklich Lebensinhalte beisteuern kann in einer Gesellschaft, in der man kein Star sein darf, (aus Vorsicht vor dem Kollektiv) und in der man auch kein Einzelgänger sein darf (aus derselben Vorsicht).
Weil die Verrückten da draussen , die Fans und die ganzen Beobachter, das sind sicherlich keine "Familien" für jemanden, allein von der Atmosphäre her gesehen.
Wir leben in einer Welt, in der die Leute zu oft auf jemanden rumhacken,weil er entweder anders ist, weil er Angriffsfläche bietet oder weil er einfach gerade dem Hasser vor die Rübe kommt und als Frustschiene dient.
Das ist bei Politikern ja auch viel schlimmer. Das alles sorgt jedenfalls dafür, dass Personen in der Öffentlichkeit einen Harten Wind aushalten müssen und viele verdorren daran, werden eitel, verlieren sich selbst und gewinnen bloßen Schmuck, Kitsch und Anhaftung.