Deutschland hat zwei Weltkriege angezettelt und beide verloren. Das kostete viele Millionen Menschen ihr Leben und schuf unendliches Leid. Die Deutschen waren dabei oft "Hitlers willige Vollstrecker". Das alles ist bekannt und allgemein anerkannt. Wenn irgendwo die Aufbereitung der eigenen Verbrechen und die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte stattfand, dann in Deutschland. In den achtziger Jahren emigrierte meine Familie von der Slowakei nach Deutschland. Ich besuchte verschiedene deutsche Schulen und erinnere mich gut, wie viel Zeit den Kriegen, der deutschen Schuld und der Wiedergutmachung gewidmet wurde: Von Reparationen war die Rede, von Milliarden an Entschädigungszahlungen, noch heute fühlt sich Deutschland zu U-Boot-Lieferungen an Israel verpflichtet. Es war und ist richtig, dass Deutschland so viel zahlen musste, schließlich hat es riesigen Schaden angerichtet. Aber wie lange soll es jetzt in der Euro-Krise noch zahlen?
Am 27. September 2011 hat mich der damalige deutsche Bundespräsident Christian Wulff besucht. Ich war zu dem Zeitpunkt noch als slowakischer Parlamentspräsident im Amt, und unsere Koalitionsregierung stand kurz vor der Abstimmung über die Aufstockung des befristeten Rettungsschirmes EFSF. Während unseres Gesprächs lobte ich die Rede, die Herr Wulff auf der Tagung der Wirtschaftsnobelpreisträger in Lindau gehalten hatte. Vor allem ein Satz ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben: "Es ist allerdings ein Missverständnis, Solidarität allein an der Bereitschaft zu bemessen, andere finanziell zu unterstützen, für sie zu bürgen oder gar mit ihnen gemeinsam Schulden zu machen." Als ich ihn fragte, warum wir bei der Argumentation und Wahrnehmung der Situation übereinstimmten, aber bei der Schlussfolgerung zu völlig gegensätzlichen Positionen kämen (er war für die Aufstockung des befristeten Rettungsschirmes, ich war dagegen, was mich schließlich auch mein Amt kostete), sagte er: "Wissen Sie, wir haben historische Verpflichtungen."
Wer im Krieg etwas verbrochen hat, muss heute mindestens 90 Jahre alt sein. Wie viel Promille der Bevölkerung sind das? Acht? Acht Promille natürlich nur dann, wenn wir von einer Kollektivschuld ausgehen. Bei der konkreten Schuld wird es sich höchstens um Tausende handeln. In einem 80-Millionen-Volk. Wie lange sollen also die Deutschen für alles Mögliche zahlen? 50 Jahre? 100 Jahre? Für immer?
Bei einer Haftungsgemeinschaft, wie sie die Europa-Abgeordnete der Grünen Franziska Brantner in der letzten Ausgabe der ZEIT (Nr. 32/12) gefordert hat, geht es nämlich um nichts anderes als um Geld. Solidarität, historische Verantwortung, europäische Idee– das alles sind schöne Worte, aber im Endeffekt geht es trotzdem nur ums Geld. Ich kann Wolfgang Schäuble, Jahrgang 1942, verstehen, dass er bereitwillig zahlt – auch wenn es nicht sein eigenes Geld ist, sondern das der Steuerzahler, und damit sind die meisten Politiker recht großzügig. Seine ganze Kindheit war von den Diskussionen über Kollektivschuld und Wiedergutmachung überschattet. Doch wenn eine junge Politikerin wie die demnächst 33-jährige Franziska Brantner schreibt: "Wir müssen in einer Haftungsgemeinschaft für die Schulden der anderen Euro-Länder einstehen", dann staune ich nicht schlecht.
Angeblich muss es Deutschland tun, damit es seinen Export und somit die Arbeitsplätze rettet. Deutschland soll also für die Südländer zahlen, damit die Menschen dort deutsche Produkte kaufen. Außer der banalen Frage, was denn ein Export nützt, den das exportierende Land selbst bezahlt, gibt es eine viel kniffligere Frage: Wäre es dann nicht besser, das, was sonst exportiert wird, den Bürgern des eigenen Landes zu schenken statt denen eines fremden Landes?
Oder es wird argumentiert, dass ohne eine Haftungsgemeinschaft die Euro-Zone zerbricht. Doch es verhält sich genau umgekehrt: Die Haftungsgemeinschaft führt dazu, dass die Euro-Zone zerbricht, deshalb gibt es den Artikel 125 im EU-Vertrag, gegen den derzeit verstoßen wird. Die sogenannte No-bail-out-Klausel besagt: Jeder haftet selbst für seine Schulden.
Dass Deutschland sich wie eine Weihnachtsgans ausnehmen lässt, könnte mir als Slowaken egal sein, wenn es da nicht zwei Zusammenhänge gäbe. Erstens bin ich davon überzeugt, dass die Haftung für die Schulden eines anderen dazu führt, dass sich niemand mehr verantwortlich für seine Taten fühlt. Warum sollten zum Beispiel die Griechen jemand anderen als Alexis Tsipras wählen, der im Grunde sagt: Spart nicht, Deutschland wird schon zahlen. Deutschland zahlt schon heute Milliarden an Griechenland (dass gleichzeitig Frau Merkel in griechischen Zeitungen mit Hakenkreuz am Arm abgebildet wird, ist ein schlechter Witz).
Kommentare
Traurig
dass uns das aus dem Ausland gesagt werden muss.
Das hatte ich auch gelesen...
...von Inländern verfasst. Sie nicht?
Ohne Regeln keine stabilen Strukturen
Es ist auch hier wie in allen Bereichen:
Strukturen zerfallen, wenn die Regeln verletzt werden.
Wir zahlen nicht für die Südländer,
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Spekulationen. Danke. Die Redaktion/kvk
@duckmich
"Wir zahlen nicht für die Südländer sondern für Banker, den Adel und Co. die sich durch Kapitalerträge ein schönes Leben gemacht haben."
Was wollen sie denn mit ihren Ressentiments ausdrücken? Das sie den Banken und den "Adel" vorwerfen, dass sie die ungeheuerliche "Bösartigkeit" besessen haben, den europäischen Ländern ihr Geld zu leihen, damit diese damit ihre staatlichen Investitionen, ihre Sozialausgaben plus ihre Beamtengehälter und was sonst noch bezahlen können? Na, was für eine schlimme Untat aber auch. Sind sie denn auch auf ihre Bank sauer, dass diese ihnen Geld für zB. eine neue Waschmaschine oder für eine Eigentumswohnung geliehen hat, damit sie besser leben können? Griechenland und Co. haben freiwillig Kredite aufgenommen. Niemand hatte sie je dazu gezwungen. Vergessen sie das bitte nicht. Sicher wäre es besser gewesen, wenn die Banken und die "Adeligen" ihre Geldbörse ganz fest zugehalten hätten. Dann hätte man in den betreffenden "Südländern" schon viel früher sparen und seine Staatshaushalte konsolidieren müssen. Das hätte den Wählern aber genausowenig gepasst. Dann wären die Banken/die "Adeligen" ebenso die Sündenböcke gewesen. Diesmal aber nicht, weil sie angeblich so niederträchtig großzügig, sondern weil sie so fies geizig wären. Und mal ehrlich, macht man sich denn wirklich ein "schönes Leben", wenn die Kurse seiner Euro-Anleihen bis zu 80% in den Keller fallen oder wenn man ein Großteil seines Sparkapitals mittels eines Haircuts verliert?
Solche Ansichten kommen eben davon, wenn man das Geldsystem nicht verstanden hat.
Aber wenn Sie ein Beweis brauchen - hier bitte:
Weshalb hat man während der großen Depression die ganzen Regionalwährungen verboten (in Deutschland, Österreich und Co.), obwohl in den Regionen die Arbeitslosigkeit dadurch zurück gegangen ist und die Menschen endlich wieder besser zusammenarbeiten konnten?
Weil es einfach gegen die Machtverhältnisse des Adels und der Banken ging. Lieber hat man die breite Masse bluten sehen, anstatt diese Macht loszulassen. (Und dabei handelte es sich lediglich um eine Komplementärwährung!)
Und bis heute hat sich nichts wesentliches verändert. Es sind immer noch beinahe die gleichen an der Macht.
Die Schuld der Banken
besteht darin, dass sie die Kredite nicht zu angemessenen, d.h. dem Ausfallrisiko entsprechenden Zinssätzen vergeben haben. Das war unseriös.
Im Grunde haben die Banken damit gegen die bestehende "no bail out"-Rechtslage gewettet und auf eine Transferunion gewettet.
Von einer Bank muss man erwarten können, dass sie Risiken für Kredite richtig bewertet und ggf. keine gewährt.
Reich und doch arm?
Es wurde darauf hingewiesen, dass D nicht für "Südländer" sonder für "Reiche" zahlt - hier und andernorts. Ihre Entgegenung: "Was wollen sie denn mit ihren Ressentiments ausdrücken? Das sie den Banken und den "Adel" vorwerfen, dass sie die ungeheuerliche "Bösartigkeit" besessen haben, den europäischen Ländern ihr Geld zu leihen, damit diese damit ihre staatlichen Investitionen, ihre Sozialausgaben plus ihre Beamtengehälter und was sonst noch bezahlen können?"
Es geht ausschließlich darum, dass Kreditgeberinnen, die die Rückzahlungsfähigkeit ihrer Kreditnehmer (übrigens zu zwei Dritteln nicht staatliche Kreditnehmerinnen - vor der Krise, innerhalb von zwei Jahren Krise sind natürlich die Staaten zu den wichtigsten Schuldnern geworden) wissentlich und damit sträflich mißachtet haben, nicht durch die gemeinen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler (anderer Länder oder des eigenen) ihrer durch ein lange sehr lukratives Wett- und Briefchenspiel-System nun leider eintretenden Verluste entledigt werden. Steuerzahlerinnen kommen in Ihrer Suada für die armen Reichen nicht bezeichnenderweise gar nicht vor...
Ich würde gern den Artikel komplett lesen,
welcher 64 Leserempfehlungen erhalten hat - und gelöscht wurde...
Und NEIN!
Entfernt. Bitte diskutieren Sie sachlich und konstruktiv. Danke, die Redaktion/mk
@Duckmichnichtweg
leider kapieren das die ganzen Deutschnationalen hier nicht, da heben längst Bild und Stammtisch Parolen jeder vernünftige Auseinandersetzung mit der Situation ausgemerzt. Jetzt werden die moralischen Fragen des 2. Weltkriegs sogar schon "für" moralische Aburteilungen mißbaucht und alle geopolitschen Fragen, die hinter der EU stehen, komplett ausgeblendet. Da wird sich das eigene Bein abgeschnitten um andere nicht stützen zu müssen. Dämlicher gehts kaum.
Und das heißt auch, wir werden weiter für den Unsinn der Kapitalmärkte zahlen müssen, da haben sich fast alle vor deren Karren spannen lassen. Und für die Wohlhabenden ists eine prima Möglichkeiten die Schuldfrage auf die "faulen" Südländer abzuwälzen. Haben wir alles schon mal gehabt.