Lotta Rajalin erinnert sich noch gut an den Moment, als ihr die Idee zu Egalia kam. 1998 bestimmte der schwedische Staat, dass die Geschlechtergleichstellung in schwedischen Kindergärten vorangetrieben werden solle. Das große Ziel: Jedes Kind soll sich so entwickeln, wie es möchte, und sich nicht durch geschlechtsspezifische Stereotypisierungen in der Erziehung und die Erwartungen der Gesellschaft in eine bestimmte Rolle gedrängt fühlen.
Ein ambitioniertes Ziel – wie man es erreichen sollte, wusste kein Mensch. Die Stockholmer Lehrerin Lotta Rajalin, die Geschäftsführerin mehrerer Vorschulen in Stockholm ist, ging das Ganze systematisch an. Sie filmte sich und ihre Kollegen bei der Arbeit. Die Aufnahmen zeigten ziemlich deutlich, dass Erzieherinnen und Erzieher Jungen und Mädchen unterschiedlich behandelten. Ein von der schwedischen Regierung veröffentlichter Bericht aus dem Jahr 2006 bestätigt diese Beobachtungen: Darin heißt es, dass Lehrer Jungen unbewusst mehr Aufmerksamkeit erteilen und ihnen mehr Freiraum zugestehen als den Mädchen. Hier, beim Handeln der Erzieher, so beschloss Lotta Rajalin, musste man ansetzen.
Zwölf Jahre sollte es noch dauern, bis Rajalin 2010 in Stockholm Egalia eröffnete. Und sie ahnte nicht, was das auslösen würde.
Zwei Jahre später ist Egalia die bekannteste Vorschule Schwedens. Und die umstrittenste. Die Erzieherinnen und Erzieher sagen statt "Jungen" und "Mädchen" "Freunde". Die Pronomen "er" und "sie" gibt es nicht, stattdessen wird der in Schweden mögliche geschlechtsneutrale Kunstbegriff hen benutzt, ein Kompromiss aus han (er) und hon (sie). Erst vor Kurzem wurde er in die Onlineversion der Nationalenzyklopädie aufgenommen. Auch einige Zeitschriften und Bücher arbeiten bereits mit ihm.
Besucht ein Handwerker Egalia, wird er konsequent als hen bezeichnet – die 36 Kinder von Egalia sollen nicht das Gefühl bekommen, dass ein Installateur immer ein Mann sein muss. "Wir zeigen den Kindern auch Antistereotype: Sprechen wir beispielsweise über den Beruf Astronaut, zeigen wir ihnen das Bild einer Astronautin. So sollen sie lernen, dass sie wirklich alles machen können, was sie möchten, und dass sie nicht durch ihr Geschlecht auf eine Berufsgruppe festgelegt werden", sagt Lotta Rajalin.
Auch bei der Auswahl der Spielsachen und der Literatur wird genau darauf geachtet, wie es die Entwicklung der Kinder in Geschlechter- und Gleichheitsfragen beeinflussen könnte. Nach Märchen sucht man vergebens in den Regalen, denn Märchen vermitteln Klischees, die in Egalia nicht gerne gesehen werden. Stattdessen stößt man auf die Geschichte eines männlichen Giraffenpaares, das ein Krokodilbaby adoptiert. In vielen Büchern geht es um homosexuelle Elternpaare, Adoptivkinder oder Alleinerziehende. Und noch mehr wird getan, um die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben: Einige traditionelle Lieder wurden so umgedichtet, dass ebenfalls das geschlechtsneutrale Pronomen verwendet wird. Und wenn die Kinder einmal ganz klassisch Mutter, Vater, Kind spielen, werden sie ermutigt, andere Varianten des Spiels auszuprobieren. "Wir erklären ihnen, dass es auch die Möglichkeit Papa, Papa, Kind oder Mama, Mama, Kind gibt", sagt Lotta Rajalin.
Die Kinder sollen lernen, dass die traditionellen Lebensentwürfe, die sie von zu Hause oder aus ihrem familiären Umfeld kennen, nicht die einzigen sind. Ein großer Teil der Eltern, die ihre Kinder bei Egalia anmelden, lebt selbst in gleichgeschlechtlichen Beziehungen. "Sie sind froh, dass ihre Kinder bei uns in einem liberalen Umfeld groß werden. Mit ihrem Hintergrund hätten sie es in anderen Vorschulen schwerer", sagt Rajalin.
Kommentare
Die armen Kinder...
Ich möchte in ihrer Haut nicht stecken, wenn sie dann doich mal eine gewöhnliche Schule besuchen. Gehänsel ist vorprogrammiert. Am besten noch starke Selbstbweusstseinsaufbau-Maßnahmen in dieser Egalia umsetzen, sonst wird den Kindern das gelernte ganz fix wieder ausgetrieben.
Persönlich halte ich jedoch eh nicht viel von dieser zwanghaften genderneutralen Erziehung. Mag sein dass ich mit 22 da einfach schon zu altmodisch bin :)
"von Menschen und Mäusen"
Völlig richtig! Kinder scheinen die Affen und Mäuse als Versuchskaninchen abgelöst zu haben. Sie vertrauen blind und verlangen nichts. Die Eltern werden mit Semi(wenns hoch kommt!!)-wissenschaftlichem Gelaber betäubt und die Welt applaudiert. Ich bin gespannt wie die geschichtsbücher ber uns einst urteilen werden und wie die Kinder und Enkel sich einst bei uns bedanken wird dafür!!
Prost Mahlzeit!
Die armen Kinder...
...werden zum Spielball von Gender-Ideologen mit ihrem orwellschen Neusprech. Wenn ich nicht möchte, dass jemand wegen seiner Haarfarbe diskriminiert wird, dann verbiete ich doch auch nicht den Gebrauch der Begriffe blond, braun und rot.
Stimmt genau.
Um es mal ganz plakativ zu sagen: Das hier ist keine Gleichbehandlung mehr, sondern Hysterie.
Das Konzept dieser Schule wirkt verkrampft und ideologisch zu tiefst durchzogen. Wer böses wollte könnte hier sogar schon geradezu von Gleichschaltung sprechen.
Ich frage mich, wie die Kinder den Sprung von der Schule in die Gesellschaft schaffen werden.
Wie so oft...
...ist der Grundgedanke ja nachvollziehbar und vielleicht sogar lobenswert, die Umsetzung aber einfach nur genau so ideologisch verbrämt und fundamental, wie wenn man althergebrachte Rollenbilder ungefragt übernimmt.
Wie effizient es ist und modern es wirkt, wenn man sich gegen die Biologie und Genetik stellt, das sieht man in Amerika an den Kreationisten.
Liberal?
»Sie sind froh, dass ihre Kinder bei uns in einem liberalen Umfeld groß werden. Mit ihrem Hintergrund hätten sie es in anderen Vorschulen schwerer«
Das alles klingt für mich übverhaupt nicht liberal, sondern eher nach Gehirnwäsche. Wenn die Kinder Vater, Mutter, Kind spielen und dann eine Erzieherin kommt und sagt, sie sollten doch auch mal Mutter, Mutter, Kind spielen, dann hat das mit Liberalität wohl nichts mehr zu tun. Zudem widerspricht man sich dann wohl auch selbst, wenn man eh die Geschlechter ignorieren möchte, dann spielt man sowieso immer hen, hen, barn..
Liberal wäre es, wenn Kinder das machen dürfen was sie wollen, ohne Hineingerede von Anderen. Und wenn das eben stereotype sind, dann ist es eben auch okay. Ich glaube durch solche Umerziehungslager kann man bei den Kindern einiges anrichten, was im Erwachsenenalter problematisch werden kann.
Und keine Märchen halte ich für riesigen Unsinn, immerhin beinhalten die ja einen guten Teil der Kulturgeschichte und -identität eines Landes. Das schmeißt man einfach weg um irgendwelche Geschichten von Giraffen, die ein Krokodil adoptieren zu lesen ???
Naja, zumindest dürften sie ja wohl noch Pipi Langstrumpf haben dürfen, außer wenn die Nachbarskinder doch zu stereotyp erscheinen...