Gewöhnliche Menschen denken, dass in diesen Tagen nach ausgedehnten Ferien die Schule wieder anfängt. Andere Menschen, Professoren zumal, denken, dass die Schule fast schon am Ende ist. Eine Reihe von Wissenschaftlern, Reformpädagogen, Konzernchefs und Schauspielern wirbt mit einem bedeutungsschweren Aufruf unter dem Slogan "Schule im Aufbruch" für eine "neue Lernkultur" – und unterstellt dabei, die heutigen Schulen produzierten "Einzelkämpfer, angepasste Pflichterfüller und Auswendiglerner".
Auch von allerhöchster Stelle, also im Fernseher, wird eindrücklich gewarnt. "An unseren Schulen", so verkündet der Philosoph Richard David Precht in seiner neuen Talkshow, werden die Kinder "von den falschen Leuten nach den falschen Methoden in den falschen Dingen unterrichtet". Der umtriebige Hirnforscher Gerald Hüther, der Precht gegenübersitzt, kritisiert, dass die Schule aus einer vergangenen Zeit stamme, und wagt die kühne Prophezeiung, dass es in sechs Jahren "Schule, so wie wir sie kennen, nicht mehr geben wird". Es müsse gelingen, sie so zu transformieren, dass Kinder dort ihre Lust am Lernen und ihre Begeisterungsfähigkeit behielten; sonst werde es unser Land nicht mehr geben. Gott sei Dank, denkt man sich dann, dass die Schüler keine Aufrufe lesen und nachts nicht fernsehen, jedenfalls keine philosophischen Talkshows.
Sicher ist vieles an der Schule und am Schulsystem kritikwürdig, ähnlich wie in Universitäten und Fernsehanstalten. Nur, was soll bloß diese Fundamentalkritik?
Es wurde viel gelernt aus dem "Pisa-Schock" im Jahr 2001
Wenn jetzt nach den Sommerferien wieder neun Millionen Schüler und 800.000 Lehrer zum Lernen und Lehren zusammenkommen, dann trifft sich da kein Schulmuseum, sondern eine in weiten Teilen gut funktionierende Institution, die sehr viel aus dem "Pisa-Schock" im Jahr 2001 gelernt hat . In vielen Bereichen kann die deutsche Schule sogar eine Erfolgsgeschichte vorweisen:
• Rund die Hälfte der Schüler macht heute das Abitur (zum Vergleich: 1950 war es jeder zwanzigste, 1990 jeder dritte), das ist eine gewaltige Steigerung der Bildungschancen – und damit der Berufs- und Lebenschancen – für Millionen. Wer dahinter eine Bildungsinflation vermutet, der versuche sich an den Abituraufgaben seiner Kinder. Unsere besten Abiturienten haben auch kein Problem, etwa an amerikanischen Eliteuniversitäten mitzuhalten.
• Die deutschen Schulen sind seit dem Pisa-Schock gerechter geworden: Deutschland ist nicht mehr Weltmeister der sozialen Ungerechtigkeit in der Schule, sondern liegt nun immerhin im internationalen Mittelfeld.
• Die deutschen Schüler sind besser geworden. Landeten in der ersten Pisa-Studie unsere 15-Jährigen im internationalen Vergleich mit den Leistungen im Lesen, in der Mathematik und in den Naturwissenschaften unter dem Durchschnitt, so liegen sie heute in der Mathematik und den Naturwissenschaften über dem Durchschnitt, beim Lesen im Mittelfeld. Besonders erfreulich ist: Der Anteil der leistungsschwachen Schüler hat abgenommen.
Auf diese Erfolge können Lehrer, Schüler, Eltern und Politiker stolz sein. Länder wie Schweden, Frankreich, Großbritannien und die USA, die nicht so rege waren, sind im Verhältnis zu Deutschland im Pisa-Vergleich abgefallen.
Kommentare
Das hört sich wie ein Durchhalteartikel an...
hat mit der Realität an deutschen Schulen aber nix zu tun.....
Aha...
Sie kennen sich scheinbar aus ... ich erlebe auch viele Schulen, die an sich arbeiten und immer besser werden. Ich denke, genau die sollten wir mit solchen Elfenbeinpädagogikvorschlägen die ganze Zeit bombardieren, um auch ja nicht diejenigen zu Wort und zur Arbeit kommen zu lassen, die die wirklichen Praxisexperten sind - die Lehrer.
Ja, das klingt nach einer durchdachten und nachhaltigen Bildungsstrategie.
Lasst die Lehrer erstmal die Reformen verdauen. Bildungsreformen brauchen, bis sie greifen und sich nicht nach einem oder zwei Jahren sinnvoll zu evaluieren bzw. zu verwerfen, um wieder die nächstbeste Sau durchs Dorf zu treiben.
Stimmt, denn in der Realität leisten viele Lehrer und Schulen angesichts chronischer Unterfinanzierung des deutschen Bildungssystems und dadurch bedingter desolater Rahmenbedingungen weit mehr, als die OECD aus ihrem Zahlenwahn deutet. Finnland, um mal das Musterland heranzuziehen, unterscheidet sich von Deutschland nicht durch Methodenvielfalt und besseren Unterricht (das ist ein typischer Post-PISA-Mythos), sondern durch die fundamental bessere Ausstattung beinahe jeder Schule.
Und warum...
...stellen wir in Deutschland dann nichtmal mehr Geld für Bildung zur Verfügung? es ist und bleibt einfach eine Schande das wir als eines der reichsten Länder der Welt so wenig Geld in Bildung stecken und bereitwillig in Kauf nehmen, dass der Bilungsaufstieg in kaum einem anderen OECD Land so schwer ist wie hier. Wir liegen sogar noch hinter den USA.
Wenn ich die Stoßrichtung des Artikels richtig verstanden habe
geht es um eine Entdramatisierung und Enthysterisierung der Bildungsdebatte hierzulande. Das wäre in der Tat hilfreich.
Auch den Verweis auf den Wert der dualen Berufsbildung kann ich nur unterstreichen und hinzufügen, daß dieser Weg auch ins akademische Viertel führen kann (Berufsakademien, Fachoberschulen, Immaturenkurs, Meister-Bafög u.a.m.).
Tatsächlich kann man auch als Elternteil schrittweise Verbesserungen des Schulsystems feststellen, wenn man z.B. wie wir mehrere Kinder hat, die die letzten 20 Jahre die Schulen besuchten.
Da kann man nur sagen, daß die Schülerschaft zwar unruhiger und unkonzentrierter geworden ist und sich leichter ablenken lässt
– die Unterrichtsstile sich aber gewandelt haben und inzwischen die Mehrheit der Lehrkräfte damit bestens umgehen kann, d.h. die kids orientieren und auf konzentriertes Lernen einstellen kann.
Geradezu revolutionär ist die Bildungsförderung von Mädchen, die die Jungs inzwischen qualitativ und quantitativ überholen – weshalb eine neue geschlechtergerechte Förderung, die auch die unterprivilegiert Aufwachsenden einbezieht, auf der Tagesordnung steht.
Richtig ist, daß die Zahl der BildungsverliererInnen durch die zunehmende ethnische und sozioökonomische Segregation in den Großstädten zunimmt, weil sog. bildungsferne Elternhäuse in in Problemviertel abgeschoben werden und dieses Milieus dem sozialen und schulischen Lernen alles andere als förderlich sind.
Wir brauchen mehr soziale Integration und Bildung von Anfang an.
Wahrscheinlich sollte es eher heißen
Lehrer sind besser als ihr Ruf. Die Mehrheit der Pädagogen macht sehr engagierte Arbeit und versucht, das im gegebenen Rahmen Mögliche für die Schüler herauszuholen. Nur leider müssen sie das eher gegen den oder wenigstens trotz des bürokratischen Rahmens der Instutution tun, die das eigentliche Problem darstellt. Erst das Gängelband abgehobener und träger Wasserkopfstrukturen macht die Schule zur Baustelle für Experimente, die am Kern (u.a. ihres eigenen Selbsterhalts) nicht rütteln und an der Lebensrealität vorbei agieren. Verschwände über Nacht die komplette Kultus- und Schulverwaltungsbürokratie, kein Schüler würde es überhaupt bemerken. Fehlen gute Lehrer oder fehlt ihnen der Gestaltungsrahmen, individuelle Potentiale zu entwickeln, bemerken das zuerst die betroffenen Schüler und in Folge auch die Gesellschaft. Auch wenn Huethers Optimismus im Hinblick auf Veränderungen voreilig erscheint, ist seine Grundkritik doch im wesentlichen zutreffend. Wenn das Produkt der Schule gebildete und in der modernen Lebenswelt handlungs- und arbeitsfähige Menschen sein sollen, dann muß von diesem Produkt und den dafür nötigen Arbeitsbedingungen her gedacht werden und nicht von den Designabteilungen einer Verwaltung.