Der Schlag, der Uwe Steinhardt aus seinem bisherigen Leben katapultierte, fühlte sich gar nicht so heftig an. »Ich habe plötzlich einen Stoß in der linken Seite gespürt«, sagt der 53-Jährige, »aber ich bin nicht gestürzt, ich konnte mich fangen.« Allerdings habe er »groteske Verrenkungen« vollführt, wie ihm später ein Kollege erzählte, der den Unfall beobachtet hatte.
Uwe Steinhardt befand sich an jenem 2. August 2007 auf dem Gelände einer Jet-Tankstelle in Soest in Nordrhein-Westfalen. Er vermaß gerade die Schächte, über die die Benzintanks befüllt werden. Steinhardt war selbstständiger Vermessungstechniker, spezialisiert auf Tankstellen.
Es war 11.15 Uhr, Steinhardt stand mit dem Rücken zu den Zapfsäulen und trug gerade Messergebnisse in sein Feldbuch ein, das er vor dem Bauch hielt. Da setzte der Fahrer eines Opel Astra unvermittelt zurück. Er wollte an eine benachbarte Zapfsäule fahren, die gerade frei geworden war – und übersah Uwe Steinhardt, der hinter dem Auto stand und eine orangefarbene Warnjacke trug.
Steinhardt wurde am Becken getroffen, Kopf und Oberkörper schlugen auf das Auto. Nach dem Aufschlag schwang der Kopf zurück, dabei prallte, wie ihm seine Ärzte später erklärten, das Hirn gegen die Schädeldecke.
Der Wettbewerb hat sich verschärft, der Kostendruck die Sitten verrohen lassen
Heute ist Steinhardt zu 70 Prozent schwerbehindert. Er hat eine Odyssee zu Fachärzten aller möglichen Disziplinen durch ganz Deutschland hinter sich. Die gesammelten Diagnosen lesen sich – in der Kurzfassung – so: Beckenschiefstand, dauerhafte Schäden an der Wirbelsäule, verschobene Kiefergelenke, Augenmuskelstörung, irreparable Schädigung des sechsten Hirnnervs, daraus resultierendes Doppelbildersehen, Beeinträchtigung des Geruchs- und Geschmackssinns, Lärmempfindlichkeit, Störung des Hirnstoffwechsels samt daraus folgenden Konzentrationsschwierigkeiten, Wortfindungsstörungen, häufiger Schwindel, rasche Erschöpfung. Die psychischen Folgen der körperlichen Leiden: Hilflosigkeit, Wut, Rückzugstendenzen.
Seinen Beruf kann Steinhardt nicht mehr ausüben, seine Vermessungsfirma hat Insolvenz angemeldet – und seine Berufsunfähigkeitsversicherung zahlt bis heute nicht, mehr als fünf Jahre nach dem Unfall.
Nach Berechnungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin haben jedes Jahr acht Millionen Menschen in Deutschland einen Unfall – ein Zehntel der Bevölkerung. Sie verletzen sich bei der Arbeit, in der Schule, im Straßenverkehr, die meisten jedoch – über fünf Millionen – im Haushalt und in der Freizeit. Bagatellunfälle wie ein verstauchter Fuß sind dabei nicht mitgezählt. Mehr als 20.000 der Unfälle enden tödlich. Die meisten Menschen haben für solche Schicksalsschläge vorgesorgt, für sich selbst und für ihre Angehörigen. Sie haben eine Unfallversicherung abgeschlossen, meist auch eine Berufsunfähigkeitsversicherung; sie haben ihr Leben und ihr Hab und Gut versichert. Oft können sie auch noch Ansprüche gegen die Haftpflichtversicherung desjenigen geltend machen, der den Unfall verschuldet hat. Die Menschen in Deutschland konnten lange Zeit darauf vertrauen, dass sie sich wenigstens um ihre materielle Existenz keine Sorgen machen müssen, wenn sie durch einen Unfall aus der Bahn geworfen werden – oder auch durch eine Krankheit.
Kommentare
Einer für alle - alle für einen
das ist der Grundsatz einer Versicherung - egal welcher. Aufgrund dieser Aussage habe ich mich mit 15 Jahren dazu entschlossen diesen Beruf zu lernen. Allerdings teilte ich diesen Idealismus mit den wenigsten Kollegen. Und ich kann die Aussagen im Artikel bestätigen, dass dies in den letzten Jahren immer schlimmer wurde. Hier ist ein Umdenken notwendig. Weg von dem Dogma, dass wir Wohlstand durch Wettbewerb und Wachstum erreichen. Und hin zu mehr Solidarität und Bedarfsdeckung. Unser Wohl als Mensch muss im Vordergrund stehen und nicht die Gewinnmaximierung der Konzerne.[...] Es stimmt mich positiv in dem Artikel zu lesen, dass es immer mehr Umsteiger wie mich gibt. Wir werden sehr schnell immer mehr und wir werden das System verändern - Machen Sie bitte mit!
Gekürzt. Bitte verzichten Sie auf Werbung. Danke, die Redaktion/se
Wettbewerb ist an sich nicht schlecht, aber es braucht Regeln
Wenn beispielsweise die Versicherungen gezwungen wären, mindestens 90% der Einnahmen zur Schadensregulierung aufzuwenden, dann wäre Gewinnmaximierung nur über die Vergrößerung des Kundenstammes möglich. Und dazu müssten sie im Preis und im Service überzeugen.
Ein Teufelskreis
Ob das Bild wirklich realistisch im Sinne von repräsentativ ist? Traurig ist es in jedem Fall. Und schlimm.
Es ist wie ein Teufelskreis: Die Qualität einer Versicherung hängt in erster Linie von den Versicherungsbedingungen ab und vom Service. Versicherungsbedigungen liest kaum ein Verbraucher und es kann sie ein Laie oft auch nicht richtig interpretieren. Welchen Service im Schadensfall ein Versicherer bietet, erfährt man auch erst im Schadensfall - also hoffentlich nie.
Was viele dann vergleichen - durchaus unterstützt und angetrieben von Finanztest, Verbraucherzentralen und Vergleichsportalen sowieso - ist der Preis einer Versicherung. Dort spielt sich in der Folge ein großer Teil des Wettbewerbs ab. Auch mit den im Artikel beschriebenen Auswirkungen.
Leider passt die gegenteilige Annahme (eine teure / namhafte Versicherung muss deshalb automatisch besser sein) meist auch nicht. Was bleibt? Genau hinsehen, unabhängig beraten lassen, kritisch bleiben. Und bei großen Schäden nicht auf eigene Faust gegenüber dem Versicherer handeln.
.....
"Ob das Bild wirklich realistisch im Sinne von repräsentativ ist?"
Ja, ist es.
Viele dieser Versicherungen sind nichts weiter als Kredite. Kredite, für die man erst zahlen und dann erst erstattet bekommt.
Und beim "erstattet" fängt erst der Witz an.
Nur auf der Basis: Wenige Forderungen viele Zahler funktioniert das System. Es ist auch mit Riester so.
Was einem aber nicht gesagt wird, woher die Unternehmen ihre Zinsen kommen, für das angelegte Geld. Es wird in Landesschulden umgewandelt. Durch Steuern und Neuverschuldung werden die Zinsen bedient. Sprich, man zahlt Steuern für die eigene Lebensversicherung bzw. Riester-Rente.
Da sollte man sich schon fragen, ob die beiden "kapitalgedeckten Altersvorsorgen" es um ein Betrugsmodel handelt.
Und zum Witz der Lebensversicherungen:
http://www.gegen-altersar...
http://www.faz.net/aktuel...
Notwendige Schritte bei Abschluss einer Versicherung
Aus meiner Sicht sind 3 Dinge vor Versicherungsabschluss dringend notwendig:
1.) Abschluss einer Rechtsschutzversicherung (die ereignisbezogen zahlt oder die Rechtschutz vor der BU-/Unfallversicherung abschließen)
2.) Kontakt mit einem Fachanwalt, der nur Berufs- und Unfallversicherungs(opfer) vertritt über die Zahlungsmoral der Versicherungen
3.) Im Schadensfall bei Zahlungsunwilligkeit der Versicherungen zusätzlich an die Öffentlichkeit gehen (Zeitungen, TV etc. und dies der Versicherung auch mitteilen)
Notfalls durch alle Instanzen sein Recht einklagen.
Die notwendigen Schritte sind, unseren Politikern Dampf machen!
Die haben es in der Hand, diesen "Geschäftsmodellen", durch vernünftige Gesetze den Garaus zu machen!
Auch die Richter hätten es in der Hand, bei diesen Formen der Verfahrensverschleppung bei berechtigtem Schadensersatz, die Schadenssumme um einen zusätzlich zu zahlenden Schadensersatz, zu erhöhen! Aber wahrscheinlich muss man da erst einen Richter erwischen, der einen Versicherungsfall in der eigenen Familie hatte?
Wie gesagt: Wir Leben in einer erbärmlichen Welt. Also bleibt weiterhin Nichtwähler, die damit Automatisch die Entscheidungen der etablierten Parteien Akzeptieren. Das gilt Gleichermaßen für diejenigen, die nur diese Parteien Wählen! Oder Ihr Wählt auch mal was anderes, damit die Parteien Merken, das das Volk jede Partei Abwählen kann, die nicht zum Wohle des gesamten Souveräns entscheidet!
Pervers
Ich habe diesen Artikel in der Printausgabe gelesen und da kommt kalte Wut hoch. Letztlich schneiden sich diese Ganoven selbst ins eigene Fleisch. Ich kenne mehr und mehr Leute, die inzwischen auf dem Standpunkt stehen, keine Versicherung abschließen sorgt wenigstens dafür, dass man JETZT Geld hat. Warum ein Risiko absichern, von dem man evt. befürchten muss, dass man den Klageweg einschlagen muss, um sein Recht zu bekommen. Gerade im Falle einer BU sind sich viele gar nicht so sicher, ob sie dazu dann noch in der Lage sind, denn das Schicksal der Berufsunfähigkeit ist ja oft mit extremen, körperlichen und/oder psychischen Beeinträchtigen verbunden. Etwas, worauf diese Gängster offensichtlich spekulieren.
Erst kürzlich hat der Bundestag ein Gesetz bei Lebensversicherungen verabschiedet (was allerdings noch durch den Bundesrat muss), welches zum Nachtel der Versicherten geht. Dies kann schnell mal mehrere 1000 Euro weniger bedeuten. Kein Wunder, wenn immer mehr Menschen lieber keine Altersvorsorge mehr betreiben, weil nicht mal gewährleistet zu sein scheint, dass man wenigstens das rausbekommt, was man eingezahlt hat (was ja in Wahrheit schon ein Verlustgeschäft ist, wenn man die Inflation mit einrechnet).
Aber gut, wer FDP wählt, wird als Normalbürger eben wenig bis gar nichts erwarten können.