Als die Wehrmacht am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, standen nicht nur die Mordkommandos der SS bereit, die Kämpfer im »Rassenkrieg«. Auch deutsche Archäologen hatten den Tag des Angriffs herbeigesehnt. Wohlinformiert und bestens ausgerüstet, wollten sie ihren Teil zum Feldzug beitragen. Es ging darum, sowjetische Museen und Ausgrabungsstätten zu plündern. Schließlich lagerte hier, so wusste man, manches, was die »Überlegenheit der nordischen Rasse« und des »Germanentums« belegen konnte und die Ansprüche der Deutschen auf den »Lebensraum im Osten« historisch legitimieren sollte.
Archäologen als völkische Ideologen: Gleich nach 1933 hatte sich die junge Wissenschaft in Deutschland dem Nationalsozialismus verschrieben. Unter dem Titel Graben für Germanien. Archäologie unterm Hakenkreuz beleuchtet jetzt eine klug inszenierte Ausstellung des Bremer Focke-Museums erstmals dieses düstere Kapitel der Wissenschaftsgeschichte. Das Team um die Kuratorin Karin Walter profitierte in der Vorbereitung der Schau von einem Forschungsprojekt zur »Vorgeschichtsforschung in Bremen unter dem Hakenkreuz« der Archäologin Uta Halle und des Historikers Dirk Mahsarski. Es bildet den Ausgangspunkt der Ausstellung, die sich der Gesamtgeschichte der deutschen Archäologie in der NS-Zeit widmet. In fünf Stationen präsentiert sie über 700 Exponate von mehr als 60 Leihgebern.
»Germanien« – das war für die NS-Wissenschaft das ideologische Sehnsuchtsland. Dabei geisterte »Germanien« schon im 19. Jahrhundert durch deutsche Archäologenträume. Der Mythos geht zurück auf die Germania-Schrift des Tacitus, die der römische Historiker 98 nach Christus verfasste und die nachgerade zur Bibel aller deutschen »Germanophilen« wurde. Entsprechend werden die Besucher gleich zu Beginn mit Zitaten aus Tacitus’ Werk begrüßt. Als hochgewachsene, blonde und blauäugige, überaus tapfere Krieger stellt der Römer die Feinde des Imperiums dar. Es sei ein Volk, schreibt er, mit gemeinsamen Sitten und Gebräuchen. Damit schuf er eine folgenreiche Legende. Denn als eine einheitliche Nation hat es die Germanen nie gegeben – was spätere Generationen jedoch nicht davon abhalten konnte, diese Mär zu glauben und weiter auszuspinnen.
Die Station »Funde und Erfindung« der Ausstellung macht deutlich, wie der Germanen-Mythos nationalistisch aufgeladen wurde. Mit Kitsch und Kunst beschwor man im 19. Jahrhundert die vermeintlichen Heldenahnen. Wir sehen einen Steinzeugkrug, der »Hermann den Cherusker« zeigt, in Fell gehüllt und mit Flügelhelm. Ein Verweis zugleich auf eins der ersten Nationaldenkmalsprojekte, auf das Hermannsdenkmal, das im Teutoburger Wald an den Ort erinnern sollte, an dem, wie man glaubte, die Römer unter Varus entscheidend geschlagen worden waren. Zugleich wird die rassistische Seite des Germanenmythos sichtbar. Eine zunächst unscheinbare Postkarte aus dem Jahr 1900 hat es in sich: Sie zeigt einen germanischen Recken, der drohend mit dem Schwert die Juden aus dem Lande weist.
Die Erfindung des deutschen Urvolks wurde eine nationale Leidenschaft. Der Germane sollte biologisch eindeutig bestimmt werden. Als eine Stimme der Vernunft bemühte sich der berühmte Berliner Mediziner Rudolf Virchow darum, seinen Zeitgenossen klarzumachen, dass es eine »germanische« Schädelform gar nicht gebe. Aber nicht nur auf Richard Wagners Grünem Hügel in Bayreuth huldigte man gern dem Ideal vergangener germanischer Größe.
Ein besonders eindringliches Beispiel für die Fehldeutung archäologischer Funde ist der sogenannte Goldschatz von Eberswalde, den man 1913 bei der brandenburgischen Stadt entdeckte. Die Ausstellung zeigt Repliken – die Originale wurden 1945 als Beutekunst nach Moskau gebracht. Der Schatz besteht aus 2,59 Kilo Gold, geformt zu prachtvollen Gefäßen, Spangen, Hals- und Armbändern. Der Archäologe Gustaf Kossinna, einer der deutungsmächtigsten völkischen Wissenschaftler seiner Zeit und seit 1902 in Berlin der erste deutsche Professor für Archäologie, datierte den Fund zwar richtig auf etwa 1.000 vor Christus, behauptete aber zugleich eine Kontinuität zu den Germanen des Tacitus um 100 nach Christus. So diente der Schatz als ein bedeutsamer Beleg für den hohen Kulturstand der Germanen – gleich oder höher dem der Griechen und Römer.
Kommentare
Es gibt keine Nationen
""Denn als eine einheitliche Nation hat es die Germanen nie gegeben – was spätere Generationen jedoch nicht davon abhalten konnte, diese Mär zu glauben und weiter auszuspinnen."" Wie wahr doch diese Behauptung ist. Als einheitliche Nation hat es weder die Germanen noch die Römer noch sonst irgendwelche "Nationen" oder Nationalitäten jemals gegeben. Das hat sie alle nicht davon abgehalten, diese Mär zu glauben. Die Italiener fühlten sich als "römische" Nation und glaubten sich deswegen berechtigt, andere Völker zu überfallen und auszulöschen um das römische Imperium wieder zu errichten. Die Deutschen wollten das nachäffen und sind ebenso kläglich gescheitert wie die Italiener. Das sollte doch inzwischen so weit zur Allgemeinbildung gehören, dass man es gar nicht mehr besonders hervorheben müsste.
Natürlich gibt es Nationen
Richtig ist, es gab nie eine germanische Nation. Es gab auf dem heutigen Territorium DE ca. 20 germanische Stämme später große Völkerschaften wie Sachsen (gemeint sind Niedersachsen), Thüringer, Franken... in den östlichen Bundesländern lebten die Westslawen, die, wie germanische Stämme,Teil des deutschen Volkes wurden. Das Bewusstsein einer deutschen Nation hat sich sehr langsam (zuerst unter Rittern) herausgebildet. Diese Entwicklung begann um das Jahr 1000. Der Prozess der Nationwerdung beschleunigte sich etwa ab 1800. Aber im Kampf gegen Napoleon kämpften fast alle deutschen Gegner Napoleons (übrigens auch seine deutschsprachigen Verbündeten) nicht als Deutsche sondern als Preußen, Mecklenburger usw. Ausnahme war das Lützowsche Freikorps, dessen Uniform die Farben Schwarz-Rot-Gold kennzeichnete.
Wissen sollte man auch, dass Nationenwerdung wesentlich durch ökonomische, politische, militärische Entwicklungen geprägt werden und oft erst nachgeordnet durch ethnische Faktoren. Beispiele: Deutschland wurde unter Bismarck geeint. Der schloss aber Österreich aus machtpolitischen Überlegungen aus. In Nordamerika schuf erst der Bürgerkrieg wichtige Voraussetzungen für die heutige Nation. Nationen werden auch nicht ewig existieren.
Toll geschrieben!
Toller Artikel....nur eigentlich ist es traurig und auch ein wenig armselig, dass selbst nach über 60 Jahren nach Kriegsende es noch Institutionen gibt, die sich nicht ihrer Vergangenheit stellen....Gerade Museen tragen eine besondere Verantwortung der Vergangenheit und auch der Gegenwart gegenüber und sollten sich dessen auch bewusst sein und dem stellen! Gerade von Haitabuh....dem Wikinger Museum in Norddeutschland hätte ich etwas anderes erwartet!
Julleuchter
Ein ergreifender Artikel.
Ich hatte von der Existenz eines 'Julleuchters' bislang noch keine Kenntnis, waere aber geneigt ein Original zu finden, zum Gedenken an meinen Grossonkel. Dieser war im KZ Neuengamme interniert, einer der beiden Produktionsstaetten des Julleuchters, bevor er in einem anderen NS-Konzentrationslager als Mensch physisch vernichtet wurde.
Die Erinnerung an ihn in den Herzen seiner Familie wird jedoch noch lange fortleben.
http://de.wikipedia.org/w...
Hass schlechter Ratgeber
Dieser Anti-Nazi-Ausstellung sind sicherlich keine handweröchen Fehler nachzuweisen. Doch verstockte ewig-Gestrige wird man selbst damit nicht überzeugen. Was mir nicht gefällt, ist der ideologische, nahezu geifernde Unterton, als seien die "Germanen" nun eine reine Nazi-Erfindung. Fern jeder Ideologie ist aber eine germanische Ursprache rekonstruierbar, deren nicht auf das Indogermanische rückführbaren Bestandteile auf sprachliche Reste der Vorbevölkerung weisen. Und irgendwo im westlichen Mitteleuropa müssen unsere Vorfahren einmal diese neue Sprache so schlecht gelernt haben, dass wir ihre benachbarten Schwestersprachen nicht mehr verstehen. Kein Wunder - ohne Lexika oder andere Medien. Dass es bereits in der Bronzezeit eine bunte rassische Mischung bei uns gab, zeigen die Ausgrabungen der Lichtensteinhöhle, die man nur Jedem empfehlen kann.