Sind wir gerne Väter? Ja, absolut, von ganzem Herzen.
Sind wir gerne Journalisten? Ja, leidenschaftlich gerne.
Und, geht beides zusammen?
Die übliche Antwort lautet: Ja, klar. Manchmal hakt es ein bisschen, manchmal sind alle ein bisschen erschöpft – Vater, Mutter, Kinder. "Urlaubsreif" nennen wir das. Aber im Großen und Ganzen? Gibt es kein Problem. Wir sind ja prima organisiert, im Job und zu Hause, wir sind diszipliniert, wir wollen, dass alles klappt. Also klappt es auch, irgendwie.
Die Wahrheit ist: Es ist die Hölle.
Sonntagmorgen, irgendein Bolzplatz in Deutschland. Fußball mit anderen Vätern und deren Kindern. Der eigene Sohn hat sich die ganze Woche darauf gefreut. Man selbst auch. Und dann steht man auf dem Platz und spielt irgendwie mit, aber eigentlich ist es nur eine Hülle, die da spielt, denn die Gedanken sind ganz woanders. Bei der Mail des Vorgesetzten, die kurz vor Spielbeginn angekommen ist. Beim nächsten Interview, am Montagmorgen. Und dann kommt man nach Hause und fragt sich, warum es schon wieder nicht möglich war, sich wenigstens diesmal vollständig einzulassen auf das Spiel; warum man nicht abschalten konnte.
Aber dann liegt da das Smartphone, und sein rotes Lämpchen blinkt unaufhörlich, also greift man danach und liest und fängt an zu tippen. Und hört gar nicht mehr, wie der Sohn fragt, ob man das Tor gesehen habe, das er vorhin geschossen habe. Jede Mail, jede schnell geschriebene SMS ist ein kleiner Verrat: wieder eine Minute, die man für die Arbeit geopfert hat, obwohl man an diesem Wochenende versprochen hatte, wirklich nur für die Familie da zu sein.
Sogar Sigmar Gabriel nimmt sich doch jetzt Zeit für seine Tochter, holt sie mittwochnachmittags aus der Kita ab und braust dafür mit Chauffeur und Personenschützern nach Goslar. Wenn der das schafft, warum dann nicht wir?
Also tüfteln wir mit unseren Partnerinnen einen Plan aus, gleichen die Terminkalender ab, die Woche im Halbstundentakt. Wer kümmert sich wann um die Kinder? Wer bringt sie zum Geburtstagsfest des Freundes? Wer fährt sie am Wochenende zum Turnier? Hier quetschen wir noch eine Stunde Sport rein, donnerstags geht sie zum Chor, da musst du um sieben da sein! Die Familie wird zur Fahrgemeinschaft, aus Paaren werden Partner in der Logistikbranche.
Und wenn wir übermenschlich diszipliniert wären, keine einzige Besprechung mehr überziehen würden, nie länger am Telefon hingen als unbedingt nötig, nur noch die superwichtigen Abendtermine wahrnehmen würden, dann, ja dann könnte das auch wunderbar klappen. Nicht vorgesehen im Wochenplan ist allerdings: dass ein Kind Grippe hat. Dass der Wagen nicht anspringt. Dass ein Zug sich verspätet. Dass auch die supereffizienten Eltern mal verschlafen oder krank werden. Auch nicht vorgesehen ist: Zeit für sich. Zeit zu zweit. Aber das ist ja nicht so schlimm. Wir wissen ja, es kommt nicht auf die Quantität der gemeinsamen Zeit an, sondern auf die Qualität.
Leider wissen wir auch: Das ist ein Selbstbetrug. Eine Lüge. Denn unsere Kinder kennen keine quality time . Das Gerede von der quality time verschleiert nur, dass das Zeitproblem einfach ungelöst ist.
Sigmar Gabriel übrigens hatte, bevor er sich entschloss, seine Tochter immer mittwochs aus der Kita abzuholen, auch schon mal eine Auszeit für die Familie genommen. Drei Monate Väterzeit. Gleich in den ersten Tagen twitterte er ein Bild von sich, vor dem Laptop sitzend, die Kaffeetasse in der Hand: "Mariechen ist abgefüttert, der Kaffee ist da, also kann’s losgehen :-))". Und dann diskutierte er online eine Stunde lang über die Rente, den Euro, die SPD. Genau das ist er doch, der tägliche Selbstbetrug: Man glaubt, Zeit für die Kinder zu haben – und hängt dann am Laptop, iPad oder Smartphone.
Aber warum ist es nur so verdammt schwer, Kinder und Ehe und Beruf unter einen Hut zu bekommen? Warum sind wir erschöpft und müde und einfach erledigt, warum haben wir ständig das Gefühl, dass wir zu wenig Zeit für alles haben: für die Kinder, für den Job, für die Partnerin, für uns selbst?
Kommentare
So viel Ehrlichkeit ist schon erfrischend.
Mal eine Betrachtung der Gesamtsituation, nicht das sorgfältige Ausblenden wichtiger Aspekte.
Auf der anderen Seite:
Das wünschte man für das Berufsleben auch.
Mitfügldnde Grüsse.
Vieles auch ohne Kinder wahr
Es ist ja schon ohne Kinder schwer, Arbeit und Privatleben zu trennen - aber auch, weil sich alle nach Kräften an dem ewig-erreichbar-sein-Wahn beteiligen, und niemand mehr unterscheidet, was "nur" wichtig und was wirklich dringend ist. Wenn mein Chef um 18.50h per Rundmail ein Projekt vorschlägt, die Kollegen sich bis zum nächsten Morgen auf demselben Wege darüber austauschen und ich um 8.30h das Email-Postfach öffne und plötzlich Projektverantwortliche für etwas bin, zu dem ich nie gefragt wurde und das keinesfalls dringend entschieden werden musste, stimmt was nicht. Wir schaukeln uns gegenseitig hoch und gaukeln uns mit unserem Aktionismus eine Produktivität vor, die es nicht gibt. Natürlich haben wir uns dem Tempo des Medienzeitalters anpassen müssen. Aber ohne Kreativität, strategisches Denken und langfristige Planung geht es auch nicht. Und dafür braucht man Zeit, Ruhe und unaufgeregten Dialog.
Mal halblang
Und warum ist es für die Kinder ein Verrat wenn der Vater zwischendurch kurz auf ein e-mail antwortet, aber nicht wenn sich die Mutter zwischendurch auf das Kochen konzentriert? Selbst im Hausfrauenmodell haben die Kinder nicht daurend die volle Aufmerksamkeit der Mutter und das ist wahrscheinlich auch gut so.
Es ist Verrat!
Wenn Man oder Frau etwas im Haushalt erledigt, wie kochen, putzen, einkaufen, etc. dann geschieht das im Interesse für die Familie und die Familie erhält dadurch einen unmittelbar, spürbaren Vorteil! Das Beantworten einer Email hingegen resultiert in keinem unmittelbar für alle spürbaren Vorteil!Es mag sein, dass der Elternteil, der das permanent tut und 80 Stunden pro Woche arbeitet zwar mittelfristig einen finanziellen und damit existenziellen Vorteil für die Familie erarbeitet, direkt fühlt es sich für den Rest der Familie im Hier und Jetzt aber eben schlecht an, wenn man nicht da oder da und nicht verfügbar ist!
Abgesehen davon sollte man Kindern nicht unbedingt vormachen, dass das permanennte "mal eben schnell" auf eine Email, Whatsdrecknachricht oder sms antworten" normal ist. Das ist eher zu einer Unsitte geworden.
Die Unvereinbarkeit von Karriere und Familie ist übrigens eine Tatsache, die ich mir schon früher als Thema gewünscht hätte.
Es gibt zwa rimmer wieder die "Superbeispiele" von Managern und Führungskräften, die das schaffen, der überwiegende Teil der Gesellschaft ist aber weder Manager noch Führungskraft!
Das Zauberwort heißt Prioritäten! Das setzen von Prioritäten muss wieder glernt werden. Wer Kinder haben möchte, was zugegebenermaßen ein durchaus egoistischer Vorgang ist, der muss eben auch die "Konsequenzen" tragen, wobei (ich spreche aus Erfahrung) die Konsequenzen überwiegend positiv sind!
Rheinhold Niebuhr*
"Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."
*amerikanischer Theologe, Philosoph und Politikwissenschaftler
Sie sprechen mir aus dem Herzen.
Dieser Spruch hängt auch an meiner Wand. Warum kann man nicht einfach mal einsehen, dass dieses Leben nicht das leichteste ist und es trotzdem einfach leben?
Gut gesehen
Trotzdem sollte man die Politik nicht aus der Verantwortung lassen. Die einzigen Möglichkeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf politisch zu beeinflussen sind nunmal adäquate Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Solange wir von denen meilenweit entfernt sind, und solange immer noch gilt, je jünger das Kind, desto geringer die Qualifikation der Betreuer, besteht politischer Handlungsbedarf. Frankreich macht es vor: da gehen die Kinder der "Rabenmütter" auch nicht vor die Hunde, und es werden genug Kinder geboren.
ganz richtig!
Das störte mich auch etwas beim Durchlesen dieses ehrlichen, haarsträubenden Erfahrungsberichts: dass die Politik so ausgeblendet wird. Wir in Deutschland sind es einfach so gewohnt, aber das muss und darf kein Zustand bleiben, den wir so akueptieren wie er ist. Es müssen VIEL mehr und VIEL bessere Kinderbretreuungsmöglichkeiten her. Und dafür MUSS der Staat einstehen! Sonst werden uns die Sozialsysteme im nächsten Jahrzwanzigst um die Ohren fliegen. UND ich werde auswandern. So.
Bedürfnisse der Kinder
Wenn ich meine Kinder rund um die Uhr in Betreuungseinrichtungen schicken soll, dann lieber gar keine.
Von den Bedürfnissen der Kinder mal ganz abgesehen.
@ 147 Kinder brauchen nicht nur Eltern
Von rund um die Uhr ist ja nicht die Rede, und die Bedürfnisse der Kinder sind mMn: Neben der Beziehung zu den Eltern vertrauensvolle Beziehungen zu anderen Erwachsenen aufbauen zu können.
Das berühmte Dorf, das man braucht, um Kinder groß zu ziehen, zeigt: Eltern haben auch in traditionellen Gesellschaften die Unterstützung anderer Erwachsener gebraucht, früher halt Nachbarn und Großfamilie, heute Kita und Ganztagsschule - und daran ist zu arbeiten, dass diese Angebote gut und zuverlässig sind.
Kinder, die nur die Eltern haben, sind meiner Meinung nach wirklich arm dran (ebenso ihre Eltern).
Schlimm ist, dass hierzulande sowohl Väter als auch Mütter anscheinend meinen, sie allein müssen das Glück ihrer Kinder herstellen. Kein Wunder, dass dann Stress entsteht. Das Ideal der bürgerlichen Mutter, die sich nur um die Kinder und einen überschaubar kleinen Haushalt kümmert, geistert noch in vielen Köpfen herum. Dabei gab es dieses Ideal nur in einem denkbar kleinen Abschnitt der Menschheitsgeschichte (von ca. 1850 bis ca. 1970) bei einem denkbar kleinen Teil der Weltbevölkerung (in Nordamerika und Teilen Europas in einer bestimmten Schicht). Im Rest der Welt(-geschichte) mussten und müssen beide Eltern für den Familienunterhalt sorgen und sich darauf verlassen, das auch andere ein Auge auf die Kinder haben. Das schließt ja einen täglichen liebevollen und zuverlässigen Kontakt nicht aus - wo man früher den Pflug für eine Zeit beiseite legte und heute eben das Smartphone .
Kognitive Blockade im Biedermeier
Danke Herr/Frau Schmidt,
in meinem Familiennetzwerk ist die Reproduktion seit Generationen auch niemals alleiniger Verantwortungsbereich einer einzelnen überforderten Person oder eines Duos gewesen, indes spielt(e) die hohe frühe Selbstständigkeit von Kindern und die Involvierung von Personen, die selbst keine Kinder haben, eine wichtige Rolle. Das geschah sicher nicht zum Schaden der Kinder, im Gegenteil. Das zum Teil unsäglich abfällige Urteilen über Menschen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - nicht selbst reproduzieren wollen oder können, ist ja nur die andere Seite der sich hier immer wieder neu manifestierenden soziokognitiven Blockade in Bildern des (deutschen) bürgerlichen Ideals der Mutter-/Vaterschaft in der abgeschotteten Kleinfamilie.
Sind Sie denn bereit
für die VIEL mehr und VIEL bessere Kinderbetreuung auch VIEL mehr Geld zu zahlen?
Wenn Sie diese Frage bejahen, dann können Sie das jetzt schon haben.
Schon in den neunzigern kostete eine Kinderbetreuung, die einen Vollzeitjob ermöglichte, weit über 1.000 Mark im Monat pro Kind. Heute dürfte der Betrag nicht unter 1.000 Euro liegen (regional unterschiedlich). Und dann ist das Kind immer noch fremdbetreut.
Für wen (außer der Betreuungsinstitution oder-person) soll sich das lohnen?
kuestenwache
Viel mehr Geld - selbstverständlich
Aber da ist der Staat gefragt. Die Gesellschaft muß die unproduktiven Mitglieder - Kinder, Alte, Kranke - erhalten, diese Aufgabe kann nicht privatisiert werden. Das ist ein Gebot des Anstands und der wirtschaftlichen Vernunft.
Dorf ja, aber keine kitschlastige Umgebung
Mit dem berühmten Dorf waren aber sicherlich „reale Welten“ gemeint, die vielschichtige Erfahrungen ermöglichten und nicht die kitschlastige Umgebung einer Kita mit Zwang zum Dauerbasteln, Dauerspielen und Dauerharmonieren mit nervigen Gleichaltrigen. Mit dem Dorf wäre ich sofort einverstanden aber mit der künstlichen Kita-Welt bin ich es keinesfalls. M.E. werden Ganztagsschulen und generell Ganztagsbetreuungseinrichtungen nicht zum Wohle der Kinder bzw. Familien etabliert, sondern zum Wohle der Wirtschaft.
Ich habe überhaupt nichts gegen arbeitende Eltern, wobei es Definitionssache ist, was unter Arbeit zu verstehen ist und welchen Wert wir ihr beimessen. Der liebevolle, zuverlässige Kontakt, den Sie ansprechen, wie viel Zeit würden sie diesem denn in welchem Altern einräumen?
Wenn man früher den Pflug beiseitelegte, waren die Kinder aber auf dem Feld dabei. Wenn man heute das Smartphone zur Seite legt, sind die Eltern im Büro und das Kind in Kita und Co.
Die Teile der Bevölkerung, die den Pflug führten,
haben ihn sicherlich nicht beiseitegelegt, um sich liebevoll zu kümmern.
Das Kleinkind lagen nämlich in der Arbeitsintensiven Zeit mit festgetrocknetem Rotz, vollgepieselt und fest eingewickelt zu Hause in einer Wiege, maximal mit einem älteren Geschwister im Kiga-Alter als Aufsicht (weil alles ältere eben auf dem Feld war, und dort konnte man Kleinkinder nicht gebrauchen), und wer störte oder nicht gehorchte, wurde verhauen. Dorfleben war eher hart, würde man diese Form von Erziehung heute in der Stadt umsetzen - ohne dutzende anderer Kinder und sehr viel Natur und Freiheit - würde man sich tatsächlich verrohte Psychopathen heranziehen.
@ 178 Nicht verstanden?
Na ja, die "Dorfidylle" ist in Kommentar 182 ziemlich drastisch beschrieben. In Wahrheit gab es wahrscheinlich beide Extreme, krapplacks düsteres Beispiel und ihre hochidealisierte Dorftraumwelt. Und die Durchschnittsrealität war irgendwo dazwischen.
Das Entscheidende an dem Dorf-Sprichwort ist aber nicht das Landleben, sondern die Vergemeinschaftung der Verantwortung für die Kinder. Dass Eltern und Kinder eben Unterstützung durch andere Erwachsene brauchen, Nachbarn, Freunde, Großeltern, Tanten und Onkel, Lehrer, Pastoren, Erzieher, Lehrherren usw usw.
Da sind es nicht nur die Eltern, an die Kinder sich vertrauensvoll wenden können, sondern auch andere zuverlässige Erwachsene. Womit ihre Frage nach der Zeit, die ein Kind braucht, etwas schwierig zu beantworten ist, weil es eben nicht um die Zeit geht, die die Eltern aufbringen müssen.
diese Aufgabe kann nicht privatisiert werden?
Diese Aussage stellt die Tatsachen doch auf den Kopf - privatisiert werden diese Pflichten doch gar nicht. Im Gegenteil, bis zum Begin der Industrialisierung fand die Versorgung von Kindern, Alten und Kranken ausschließlich im Familienbund statt und in vielen Kulturen ist das heute noch so. Die gravierenden Änderungen in der westlichen Gesellschaftsstruktur sprengen den Rahmen dessen was eine Familie leisten kann oder auch will - da setzt natürlich eine gesellschaftliche Verpflichtung aus menschlichen und ökonomischen Gründen ein. Diese Entwicklung der Verstaatlichung hat seine Vor- und Nachteile.
jup, dann sind
frauen nämlich wirklich noch gebärmaschinenen, die nicht mal mehr eine beziehung zu ihren kindern haben dürfen.
mich erstaunt auch die naivität mancher, die glauben, es ginge hierbei um emanzipation.
Urgroßmutter widerlegt ihre Aussagen
Die Urgroßmutter (96, 8 Kinder und für mich ein absolutes Vorbild) unserer Kinder widerlegt ihre Aussagen deutlich. Solange die Kinder klein waren, war auch die Mutter Zuhause, aber sobald die Kinder laufen konnten, kamen sie mit aufs Feld. Ich bin gegen die Verklärung der alten Zeit, aber man muss die Vergangenheit auch nicht schlimmer darstellen, als sie tatsächlich war.
Die Möglichkeit von Kindern heute am Leben ihrer Eltern teilzunehmen, tendiert doch gegen null, und das ist die eigentlich traurige Entwicklung. Die Kinder werden doch heutzutage, wenn wir von zwei Vollzeitjobs ausgehen, fast nur von anderen Menschen betreut bzw. beeinflusst - quasi enteltert.
@ 211 diese Urgroßmutter...
... hatte pro Kind weniger Zeit als die Tagesmutter meiner Kinder, die immer nur fünf Kinder gleichzeitig betreut hat.
Und wenn die Kinder alle mit auf dem Feld waren, werden sie wahrscheinlich eher miteinander gespielt haben, als dass die Mutter sich mit ihnen beschäftigt hat. Und die größeren haben sicher mit gearbeitet. Unterstützung bei den Hausaufgaben kam wahrscheinlich mangels Zeit eher nicht vor.
Insofern ähnelte das Leben doch in Teilen dem, was die beiden Journalisten hier beschreiben. Die Eltern arbeiten intensiv und wenden sich hin und wieder den Kindern zu.
Nach meiner Erinnerung an die "gute, alte Zeit", und ich bin in den 50-ern auf dem Land groß geworden, haben Kinder sich selbst beschäftigt und mussten gehorchen. Da hatten Eltern gar nicht den Anspruch, sich Kindern so zuzuwenden, wie die beiden Journalisten hier von sich selbst fordern. Deshalb hatten sie auch kein schlechtes Gewissen.
Insofern kann ich ihre Klage wegen "Entelterung" nicht nachvollziehen. Die "Beelterung" durch die Urgroßmutter war sicher nicht intensiver. Sie hat sich nur anders gestaltet.
Das alles soll aber die Leistung der alten Dame überhaupt nicht abwerten, im Gegenteil! Sie wäre wahrscheinlich darin ein gutes Beispiel für die beiden Autoren, wie man Kinder mit gutem Gewissen aus den Augenwinkeln heraus betreut und auch mal sagt: Stör' mich jetzt nicht!
Kinder in Sichtweite
Auch da liegen sie falsch, selbstverständlich wurden am Nachmittag mit den Kindern gemeinsam die Hausaufgaben gemacht, wobei diese Zeit natürlich aufgearbeitet werden musste und sie deshalb oft bis Mitternacht aktiv war. Man arbeitete je nach Jahreszeit sehr intensiv aber die Kinder hatten jederzeit die Möglichkeit dabei zu sein bzw. sinnvoll mitzuhelfen, was für deren Selbstwertgefühl sicherlich von Vorteil war.
Bei Tagesmüttern oft unnatürlich ist, dass meistens Kinder im gleichen sehr jungen Alter betreut werden und so ein Lernen vom Älteren oder vom Gegenüber meist gar nicht möglich.
Und wie Sie selbst so schön sagen, aus den Augenwinkeln betreuen können Sie nur, wenn die Kinder in Sichtweite sind und nicht Kilometer entfernt irgendwo in der Kita.
@ 222 Verallgemeinerungen
Da habe ich also meine eigenen Erfahrungen verallgemeinert und mich offensichtlich bezogen auf die Urgroßmutter ihrer Kinder geirrt. Sorry!
Aber Ihre Verallgemeinerung trifft bei unserer Tagesmutter auch nicht zu. Das Alter der Kinder streute so, wie es auch in Familien vorkommen kann, wenn die Kinder schnell hinter einander geboren werden. Außerdem hatte sie eine ältere eigene Tochter. Meine Kinder (inzwischen erwachsen) pflegen den Kontakt zu ihr immer noch sehr gern und sagen, dass sie die genau passende Ergänzung zu uns Eltern war, weil sie ganz anders mit ihnen umgegangen ist. Das war vielleicht ein frühzeitige "Impfung" gegen unzulässige Verallgemeinerungen ;-).
Sie sehen also, die Welt ist vielfältiger, als die eigene Perspektive manchmal hergibt.
Hier ging es um zwei verschiedene Sachen:
1. Wie intensiv muss man sich um Kinder kümmern? Darf man auch mal "nein" sagen und als Erwachsener vom Kind verlangen, sich selbst zu beschäftigen, wenn man anderes zu tun hat?
2. Darf man Kinder anderen zuverlässigen Erwachsenen anvertrauen, die ihrerseits phasenweise auch mal "nur aus den Augenwinkeln" achtgeben?
Ich bejahe beides aus Erfahrung. Ihr prinzipielles Misstrauen gegenüber sogenannter Fremdbetreuung kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich gibt es hin und wieder unfähige Erzieher - aber das kommt bei Eltern leider auch vor.
Entscheidungshoheit über die Fremdbetreuung
Wir liegen gar nicht so weit voneinander entfernt. Ich habe kein generelles Misstrauen gegenüber Fremdbetreuung. Natürlich darf man sein Kind zuverlässigen Erwachsenen anvertrauen. Wobei es für mich essentiell ist, dass jede Familie selbst entscheiden dürfen muss, ab welchem Alter und in welchem Umfang dies geschehen sollte. Hier jedoch greift der Staat erheblich ein, da der finanzielle Spielraum für diese Entscheidung nicht mehr gegeben ist. Die einseitige Subventionierung (z.B. 1500,-- Euro pro Kind und Monat für einen Krippenplatz) der staatlichen Betreuung gibt aber leider den Spielrahmen vor.
Der Zwang zur „Abgabe“ in die Fremdbetreuung nimmt zu und das zu sehen und die Notlagen der Mütter und Väter auch wahrzunehmen schmerzt. Und natürlich wird auch ein von der Mutter betreutes Kind lernen, sich selbst zu beschäftigen, warum auch nicht? Dieses ständige Misstrauen, das den Müttern entgegen gebracht wird, die sich selbst um ihre Kinder kümmern möchten, ist unerträglich.
Mir ist wichtig, die Entscheidungshoheit über die Fremdbetreuung den Eltern zu überlassen und nicht staatlich subventioniert ein Modell zu fördern.