DIE ZEIT: Herr Finkielkraut, gibt es heute eine Renaissance des Nationalismus in Europa?
Alain Finkielkraut: Europa hat geglaubt, sich ohne, ja gegen die Nationen konstituieren zu können. Aber es gibt keine postnationale Demokratie. Damit die Demokratie funktioniert, braucht es eine gemeinsame Sprache, gemeinsame Lebensbezüge und ein gemeinsames Projekt. Wir werden nicht als Weltbürger geboren. Menschliche Gemeinschaften haben Grenzen. Dem trägt Europa nicht Rechnung. Deshalb kann sich die europäische Öffentlichkeit heute nicht für die Europäische Union erwärmen.
Ulrich Beck: Ihre Vision für Europa, Herr Finkielkraut, basiert auf der Lebenslüge, es könne ein Zurück zur nationalen Idylle geben. Nicht nur Europa, sondern die ganze Welt befindet sich in einem Übergang, der die Grenzen, in denen Sie Europa politisch denken, außer Kraft setzt. Meine Vision für Europa will Nationen nicht überwinden, vielmehr sie im Zeitalter der Kosmopolitisierung erst wieder handlungsfähig machen. Das setzt Institutionen voraus, die über den Nationalstaat hinausgehen.
Finkielkraut: Die Institutionen, von denen Sie sprechen, verkörpern heute einen bürokratischen Prozess, in dem die Europäer gegen ihren Willen Gefangene sind. Der europäische Bau mit seinem Parlament, seiner Kommission, seinem Ministerrat und seinem Menschenrechtsgerichtshof ist eine abgehobene Instanzenwelt, in der sich die Menschen nicht wiedererkennen. Sie sehen stattdessen Funktionäre, die Gutes über Europa sagen. Aber der Tag wird kommen, an dem die Europäer ihre demokratische Enteignung nicht länger hinnehmen.
Beck: Richtig ist: Wir haben europäische Institutionen, und wir haben nationale Bürger. Es fehlt europäisches Bewusstsein. Das liegt nicht zuletzt an Intellektuellen wie Ihnen, die nur in einem nationalen Rahmen denken.
Finkielkraut: Aber warum ist das so? Weil die Nation der einzige Raum ist, in dem Demokratie Sinn hat. Da gelte ich gerne als rückwärtsgewandt. Denn es ist weder gute Philosophie noch gute Politik, die Eingeschränktheit des Menschen zu missachten.
Beck: Alle Nationen sind heute durch Internetkommunikation, Klimawandel, Euro-Krise und digitale Freiheitsrisiken mit einer kulturellen Pluralität konfrontiert. Menschen unterschiedlichster Hintergründe, mit unterschiedlichen Sprachen, Wertauffassungen und Religionen leben und arbeiten nebeneinander, ihre Kinder gehen in dieselbe Schule, sie versuchen in demselben rechtlichen und politischen System Fuß zu fassen. Die Kosmopolitisierung der Nationen ist doch in vollem Gange.
Finkielkraut: Natürlich! Und dabei tut Europa alles, was in seiner Macht steht, um den Nationalstaat seiner alten Vorrechte zu berauben. Als wäre die Nation schuld an der Krise, als müsse man sie deshalb immer weiter schwächen.
ZEIT: Woher kommt das?
Finkielkraut: Wir sind traumatisiert durch Hitler. Dabei verachtete Hitler die Nationen. Er wollte die Nation durch die Rasse ersetzen. Heute aber lassen wir die Nationen für Hitlers rassistische Maßlosigkeit büßen.
Kommentare
Finkielkraut spricht mir aus dem Herzen
"Es wehrt sich nicht gegen die Einwandererströme."
Ganz genau. Stattdessen gibt es Politiker und Parteien (besonders die Grünen), die die Grenzen am liebsten abschaffen würden. Die die Türkei in die EU aufnehmen würden. Nichts wird gegen einen zunehmenden Missbrauch des Asylrechts unternommen. Das alles ist nicht im Sinne der Mehrheit in diesem Land.
Wir stehen heutzutage in der Tat vor dem großen Problem,
daß eine unheilvolle Allianz in der Politik entstanden ist. Eine unheilvolle Allianz aus Marktradikalen, "Linken" und Islamisten.
Kennen Sie diese Worte; "Mein Volk, dem ich angehöre und das ich liebe, ist das deutsche Volk, und die Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation." - Sie stammen von Ernst Thälmann.
Rosa Luxemburg formulierte Nation als Grundlage der weltweiten Verbesserung der Lebensumstände der Menschen.
Solche Worte sind heute zumindest medial aus "linker" Sicht nicht einmal denkbar.
Die Idee einer besseren Welt wurde nicht nur von Konsorten wie Stalin verdreht, sie wurde auch von den Marktradikalen gekapert und instrumentalisiert.
Der Islamismus wurde von allen Aufklärern seit Voltaire als tiefstes Unrecht gebrandmarkt. Heute nennen sich Menschen aufgeklärt, welche Salafisten hofieren.
Den Marktradikalen ist es nur recht, sie leben von der Zerstörung gewachsener Strukturen.
Während früher große Teile der Intellektuellen auf Verbesserung hinarbeiteten, nennen sich heute Menschen Intellektuelle welche nur zerstören.
Hitler ging es um seine Ideologie, die Deutschen waren sein Werkzeug. So wie Massenwanderung das Werkzeug der Marktradikalen ist.
Gerade auch die Grünen merken wohl nicht, wie stark sie sich im Postulat den faschistischen Auswüchsen angenähert haben. Wie in der Verbreitung der Ideologie, Unterordnung unter das Kapital, Zerstörung von Familie und Nation, ... .
Diese unheilvolle Allianz gilt es aufzubrechen.
Die EU - Spielwiese für Politikverdrossene
Die Idee der EU ist zu einer Spielwiese für Politikverdrossene mutiert.
So wird der allgemeine Politikfrust einer komplexer gewordenen, wenig durchschaubaren Welt an einer anonymen, schwer durchschaubaren Masse namens EU und Euro ausgelebt.
Das ist augenscheinlich allemal einfacher, als sich mit den Fakten auseinanderzusetzen, die die EU weder als gefährdet noch den Euro als besonders instabil ausweisen.
Die Euro-Gegner sind aber selten bereit, sich mit seriösen Fakten auseinanderzusetzen. So leben sie weiter in ihrer frustrierten Anti-Europa-Haltung, hetzen gegen die jüngsten, unsicheren Neuankömmlinge und tun sich als Europäer immer mehr leid. Populisten haben da leichtes Spiel...
Wie zynisch gegenüber wahrhaft bedürftigen Völkern - und wie gut, dass bei Entscheidungen dieser Tragweite nicht "das Volk" abstimmen kann!
Es hat sich angesichts seiner Empfänglichkeit für populistische Parolen und seiner Verführbarkeit gegenüber verzerrten Wahrheiten für Mitbestimmungen dieser Größenordnungen längst selber disqualifiziert!
Die EU ist gefährdet!
Wenn die Front National in Frankreich, Partij voor de Vrijheid in den Niederlanden, die UKIP in England, die FPÖ in Österreich ... die Mehrheitsverhältnisse auf den Kopf stellen mit klar antieuropäischer Position, dann ist das eine Gefahr für die EU. Wenn sich auch in Deutschland immer weniger Menschen an der Demokratie beteiligen (70% Wahlbeteilung - 40% aller Stimmen der Wahlberechtigten nicht im Parlament vertreten), auch und gerade wegen der Europa-Politik, ist die EU durch den Verlust von Legitimation gefährdet. Wenn in Südeuropa 30/40/50/60% Jugendarbeitslosigkeit herrscht und ihnen das Gefühl vermittelt wird, die Deutschen, die Franzosen, die EU sind Schuld und behandeln uns ungerecht, drücken uns nieder und demütigen uns. Wie sollen aus denen bitte überzeugte Europäer werden? Dann ist die Zukunft der EU gefährdet!
Ich hoffe, dass die Signale nicht länger wie von Ihnen oder Herrn Beck oder Herrn Schulz ... einfach beiseite gewischt , sondern wahrgenommen werden. Und auch endlich entsprechend gehandelt wird!
Wenn immer das Wort "Nation" fällt
Ist der Kontext meist einer der beiden folgenden
1. Gib uns dein Geld und nicht denen da.
oder
2, Du sollst nicht leben, wie du willst, sondern wie wir wollen.
Wenn immer das Wort "Nation" fällt, ist vom Politiker zu fordern
1. Lass' uns unser Geld und gib es nicht denen da.
2, Du sollst uns leben lassen, wie wir es wollen (mit einem Recht auf Heimat) und nicht wie du, Politiker, es in deiner EU-Wahnvorstellung erzwingen willst.
Bravo!
Finkielkraut spricht fast allen Bürgern Deutschlands und Frankreichs aus der Seele.
Ich studiere VWL und jeder Volkswirt weiß, dass internationale Firmen die einzigen Gewinner der Politik der offenen Grenzen etc. in der Vergangenheit gewesen sind. Vielleicht kommt ja eines Tages auch mehr für den Bürger dabei rum aber das Problem, dass Geld,Technologie und Firmen leicht ihren Standort wechseln können und Global agieren können- Die einzelnen Angestellten jedoch niemals global werden können oder wollen- ist bekannt.
Globalisierung hat das Mächteverhältnis der finanziellen Elite und der Arbeitnehmer fundamental gekippt und ist damit eine echte reale Gefahr für die Demokratie in unseren Ländern.
Wie viele ...
... " fast aller Bürger Deutschlands und Frankreichs`" kennen Sie denn, dass Sie hier solche Sprüche loslassen?
"Ich studiere VWL und jeder Volkswirt weiß, dass internationale Firmen die einzigen Gewinner der Politik der offenen Grenzen etc. in der Vergangenheit gewesen sind."
Als Witz gemeint? Wer die Zeit vor "den offenen Grenzen etc." erlebt hat, kann über so viel Einfalt nur staunen.