Wenn Don Shawcroft auf dem Rücken seines Pferdes durch die Weiten der amerikanischen Prärie reitet, denkt er manchmal an Europa. Neben ihm trommeln Hufe, knallen Peitschen, jagen seine Cowboys eine Herde schwarzer Rinder vor sich her. Ein paar Hunderttausend Dollar mit Hörnern.
Shawcroft und seine Männer sind auf dem Weg in die San Juan Mountains im US-Bundesstaat Colorado. Dort oben, auf 3.000 Meter Höhe, werden die Tiere den Sommer verbringen. Sie werden kühle Luft atmen und das saftige Gras des Gebirges fressen.
Dann kommen sie in den Stall und kriegen eine Hormonkapsel ins Ohr.
Don Shawcroft, 55, trägt einen breitkrempigen Hut und Sporen an den Stiefeln, so wie einst sein Vater und sein Großvater. Seit 135 Jahren leben die Shawcrofts davon, Rinder zu züchten. Das ist geblieben, aber die Methoden haben sich verändert.
Aus der Kapsel fließen Wachstumshormone in den Körper der Rinder. So brauchen die Tiere weniger Futter und erreichen das Schlachtgewicht schneller. Die Futterpreise sind in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen. Don Shawcroft ist Geschäftsmann.
Die Herde zählt 600 Tiere, mehr als je zuvor in der Geschichte der Familie. Das Problem ist: Seit einigen Jahren sinkt in den USA der Rindfleischabsatz, selbst die Amerikaner essen jetzt mehr Gemüse.
Deshalb hofft Don Shawcroft auf Europa. Dort drüben leben 500 Millionen Menschen, in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien. 500 Millionen potenzielle Esser von Steaks aus den USA.
Aber an Deutsche, Franzosen, Italiener und Spanier darf Shawcroft sein Fleisch nicht verkaufen. Manche der künstlichen Hormone stehen im Verdacht, Krebs auszulösen und das menschliche Erbgut zu schädigen. In den Vereinigten Staaten ist ihr Einsatz trotzdem erlaubt, in der Europäischen Union aber seit 1988 verboten. Das verbreitete Hormon Ractopamin haben mittlerweile 160 Länder auf den Index gesetzt, sogar Russland und China.
An dieser Stelle könnte diese Geschichte schon zu Ende sein. In Europa gelten europäische Gesetze, in Amerika amerikanische. Deshalb, könnte man meinen, müssen sich die Amerikaner andere Abnehmer für ihr Hormonfleisch suchen.
Tatsächlich geht die Geschichte an dieser Stelle erst richtig los. Seit vergangenem Jahr arbeiten Vertreter der USA und der EU an einem Handelsabkommen mit dem Namen Transatlantic Trade and Investment Partnership (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft), kurz TTIP. Bereits fünfmal haben sich die Unterhändler getroffen, Mitte Juli beginnt die sechste Verhandlungsrunde. Ziel ist es, die größte Freihandelszone der Welt zu errichten.
Amerikanische Nahrungsmittelproduzenten erhoffen sich von dem Abkommen eine Lockerung der EU-Regularien – und damit den Zugang zum europäischen Markt. Europäische Unternehmen versprechen sich bessere Geschäfte in Amerika. Es geht nicht nur um Landwirtschaft, es geht auch um Geldinstitute, die Verpackungsindustrie, es geht um die gesamte Wirtschaft.
Und weil es letztlich die Verbraucher sind, die das Hormonfleisch und das Plastik kaufen, kann man sagen: Es geht bei diesem Abkommen um nicht weniger als das tägliche Leben jedes einzelnen Bürgers.
Noch ist der Vertrag nicht ausformuliert. Noch ist TTIP nicht mehr als ein Kürzel, unter dem sich jeder etwas anderes vorstellen kann. Trotzdem erregt es so viel Aufmerksamkeit wie kaum ein wirtschaftspolitisches Projekt der vergangenen Jahre.
Kommentare
Schöne neue Welt.
Die Wirtschaft übernimmt die Kontrolle.
Das waren mal Dystopien aus düsteren SF-Romanen. Und jetzt sind wir mitten drin - und die wenigsten regt es auf.
Volksabstimmung über TTIP
Wir sollten uns die Schweiz zum Vorbild nehmen und Volksabstimmungen zu Themen wie TTIP einführen.
TTIP geht JEDE(N) an, deswegen sollte auch JEDER(R) mitbestimmen ob wir es haben bekommen oder nicht.
Aber die Politiker haben Angst davor, denn sie wissen, dass sie zu viele nein-Stimmen bekommen würden. Meine nein-Stimme zu TTIP ist sicher!
Wenn die Menschen nicht täglich durch seichte Fernseh-Unterhaltung eingelullt würden, hätten wir schon längst die direkte Demokratie oder eine Revolution.
Das ist keine Frage
des Einlullens durch Fernsehunterhaltung, sondern viel mehr eine Form von Vertrauen in die Regierung, welche sich sowohl bei der Bundestagswahl und auch bei der Europawahl gezeigt hat. Oder aber es ist eher Desinteresse? "Deutschland geht es gut." Das ist das Motto, an welches man zu glauben hat und was immer wieder an die Öffentlichkeit transportiert wird und irgendwie bleibt das tatsächlich hängen und es kommt nicht zu den stürmischen Protesten, gegen ein Handelsabkommen, welches demokratischen Grundsätzen umgeht.
Eine Volksabstimmung über TTIP? Müsste es in jedem beteiligten Land geben. Müsste, sollte, gibt es aber nicht und wird es auch nicht.
Ein interessanter Artikel und so toll ich die europäische Idee, also die EU finde, so beängstigend ist es manchmal, wie sehr dabei auch Staaten entmündigt werden können. Vielleicht befinden wir uns an einem sehr kritischen Punkt in der Geschichte, denn es ist sehr viel mehr, als nur TTIP. Das beginnt mit dem Gedanken der Totalüberwachung, geht weiter über Außenpolitik und endet dabei, dass solch nachhaltige Verträge ohne demokratische Partizipation geschlossen werden sollen. Welchen Wert hat eigentlich die Demokratie heute noch?
Korrektur
TTIP geht JEDE(N) an, deswegen sollte auch JEDER(R) mitbestimmen ob wir es bekommen oder nicht.
meinte ich natürlich.
TTIP ist das Letzte
was die Europäische Gemeinschaft gerade gebrauchen kann.
Danke für den guten Artikel!
Was können wir Bürger tun? Ist das Europäische Parlament überhaupt
ermächtigt und befähigt das Abkommen in dieser Form zu verhindern?
Schöne Grüße aus Wien
RH
" Danke für den guten Artikel!"
Ja.