Plötzlich hält er inne und hebt den rechten Zeigefinger. "Hören Sie?" Peter Berthold spitzt die Lippen und pfeift. Zuerst einige Töne schnell hintereinander, dann langsamer und leiser werdend. Fast so, als würde er während des Pfeifens einnicken. Prompt kommt die gleich klingende Antwort aus dem Dickicht. Zuerst schnell und laut, dann stark abfallend. Ein Grauspecht hat sich nur wenige Meter entfernt niedergelassen und hält nun ein Schwätzchen mit dem vermeintlichen Artgenossen.
Anstatt des Grauspechts könnte Peter Berthold, emeritierter Leiter des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell, bei diesem Spaziergang auch einen Wiedehopf oder einen Wendehals zum Gespräch bitten. Denn hier im Biotop des 700-Einwohner-Dörfchens Billafingen im Bodenseekreis siedeln sich die seltensten Vögel an.
Dabei war Berthold während seiner beruflichen Laufbahn stets mit dem Gegenteil konfrontiert. "Vor 55 Jahren lebten in der Umgebung unseres Instituts 110 Brutvogelarten. 35 Prozent davon sind verschwunden und 20 Prozent in ihren Beständen geschrumpft", sagt er. Botaniker und Reptilienforscher beschreiben ähnliche Entwicklungen. Was sind die Ursachen des Artenrückgangs? Ein schlichtes Beispiel aus der Vogelwelt: Kohlmeisen lieben Blattläuse. Menschen dagegen hassen diese Plagegeister – und sprühen Insektengift. Das bekommen auch die Kohlmeisen ab und sterben. Weniger Kohlmeisen bedeutet mehr Blattläuse, und das heißt noch mehr Gift.
Mit Baggern soll die Natur zurückkommen
Biodiversität aber, dessen ist sich Berthold sicher, sei existenziell wichtig, denn nur sie schaffe Stabilität im Tier- und Pflanzenreich. "Man stelle sich vor, alle bauen nur Mais an und plötzlich kommt Mais-Aids. Das wäre eine Katastrophe!" Also fasste der Vogelkundler Ende der 1980er Jahre den Plan, nach seiner Emeritierung entsprechend dem Motto "Jedem Dorf seinen Weiher" neue Lebensräume für Tiere und Pflanzen zu schaffen. So wollte Berthold das Artensterben in Deutschland stoppen.
Um zu prüfen, ob die Idee in der Realität den Erwartungen standhalten würde, rollten vor zehn Jahren in Bertholds Wohnort Billafingen die Bagger an. Bertholds Freund Heinz Sielmann, der inzwischen verstorbene Tierfilmer, unterstützte das Vorhaben mit Mitteln aus seiner Stiftung. Auf einem zehn Hektar großen Areal wurde Erdreich ausgehoben, Wasser eingelassen, es wurden Fische eingesetzt und Büsche gepflanzt. Aus einer unwirtschaftlichen Wiese, vielfach überdüngt, stets feucht und kaum zu befahren, sollte wieder wilde Natur werden.
Aber braucht es dazu wirklich Bagger? Man könnte die Natur doch einfach sich selbst überlassen. "Nein", sagt Johannes Kollmann, Leiter des Lehrstuhls für Renaturierungsökologie an der Technischen Universität München. Ein Gebiet einfach nicht anzutasten und abzuwarten, dass sich die Natur dort von allein erhole, gelte mittlerweile als veralteter Ansatz im Naturschutz. Das bringe wenig. Um eine öde Nutzlandschaft wieder zu beleben, auf der über Jahrzehnte nur Zuckerrüben, Mais und Kartoffeln wuchsen, seien tiefe Eingriffe notwendig.
An Bertholds künstlich angelegtem Biotop lassen sich die Erfolge ablesen: 115 Vogelarten gab es zu Beginn des Monitorings vor 30 Jahren im Gebiet des heutigen Weihers. 14 davon, darunter Kiebitz und Bekassine, verschwanden. Doch zehn Jahre nach Einrichtung des Biotops ist die Anzahl der Vogelarten auf 177 angestiegen. Das sind mehr als je zuvor. Außerdem zeigt sich: 340 einst für die Region charakteristische Blütenpflanzen sind zurückgekehrt, ebenso Schnecken, Schmetterlinge, Libellenarten und unzählige weitere Insekten, außerdem Kolbenente, Storch und Laubfrosch – um nur eine kleine Auswahl zu nennen.
3.000 Feuchtbiotope für die Artenvielfalt
Heute besteht "Sielmanns Biotopverbund Bodensee" aus fast 100 Projekten. Nicht jedes muss ein Weiher sein. Je nach Gegebenheit werden auch Streuobstwiesen und Viehweiden zu den Biotopen gezählt. Doch Berthold will mehr: 3.000 Feuchtbiotope sollen deutschlandweit entstehen, alle zehn Kilometer eines. Das ergäbe ein "Netzwerk von Wohnzimmern" der Natur, um die Ausbreitung der Arten zu sichern. Auch der Münchner Renaturierungsexperte Kollmann ist überzeugt, dass diese Verteilung an Feuchtgebieten ausreichen würde, um bedrohte Tiere und Pflanzen der Roten Listen wieder anzusiedeln – "selbst wenn man einkalkuliert, dass eine Ente größere Distanzen überwinden kann und eine Kröte nur kurze".
Ganz billig ist Bertholds Masterplan nicht. "Würden für jedes der 3.000 neuen Feuchtbiotope 350.000 Euro ausgegeben, wäre ganz Deutschland mit einer Milliarde Euro für alle Zeiten versorgt", rechnet er vor. "Wenn man bedenkt, dass die Kosten für den neuen Flughafen Berlin-Brandenburg auf fünf bis acht Milliarden geschätzt werden, erscheint das durchaus machbar." Und Folgekosten entstünden so gut wie keine.
Kommentare
Wenn sich in jedem Zielbereich ein Biologie Lehrer des Projekts
annimmt, und das mit seinen Schülern über 5 bis 10 Jahre betreibt, dann ist Deutschland demnächst von diesen Weihern übersät.
Die Herren sollten sich eine tolle Homepage desginen lassen um Schulen und Jugendliche anzusprechen, die würden ihren Eltern, Großeltern und Bürgermeistern schon das Geld aus der Tasche quatschen.
Statik und Veränderung
"...dass sich die Natur dort von allein erhole, gelte mittlerweile als veralteter Ansatz im Naturschutz. Das bringe wenig. Um eine öde Nutzlandschaft wieder zu beleben, auf der über Jahrzehnte nur Zuckerrüben, Mais und Kartoffeln wuchsen,.. "
Im Effekt ein respektabler Ansatz, der hier beschrieben wird.
An einer Stelle vermisse ich eine gewisse Exaktheit:
Der Begriff "die Natur erholt sich" selbst ist problematisch, da er die ureigenste Veränderungsdynamik der Natur unter den Teppich kehrt.
Besteht nicht Konsens darüber, daß die europäische Landschaft mit den vom Menschen geschaffenen Offenlandschaften im Laufe der letzten 1000 Jahre überhaupt erstmal den Artenreichtum gewonnen hat - dessen Schrumpfung wir jetzt mit der industrialisieten Landwirtschaft beklagen?
Der "erwünschte" Zustand ist also ganz klar mit bestimmten Formen der Landnutzung verbunden. Insofern ist das mit dem "überholten Ansatz" richtig, es sollte nur der Zusammenhang zu den historischen Landnutzungsformen klar benannt werden.
Konkret geht es hier ja um ein stehendes Gewässer. Auch hier ist zu sagen: Jedes stehende Gewässer bei uns verdankt seine Existenz besonderen Ereignissen. Das kann eine Eiszeit sein, ein Meteoriteneinschlag, ein Braunkohlentagebau, teichanlegende Bauern - oder auch ein Naturschutzprojekt.
Die natürliche Dynamik arbeitet dann fast immer am Verschwinden des Gewässers - es sedimentiert zu. Ganz natürlich.
Die Neuerschaffung ist da in der Tat eine mögliche Option für den Naturschutz.
Ich möchte noch einen kleinen Versprecher
korrigieren:
Die Neuerschaffung bestimmter Landschaftselemente ist da in der Tat eine mögliche Option für den ARTENschutz.
Kann man "Natur" überhaupt schützen?
Wo gibt es die überhaupt?
Als "Natur" würd ich ja gerade nichts anderes als das Wirken der Kräfte der freien Sukzession ansehen.
Darf man auch mal sagen:
Das nacheiszeitliche Europa war von den Böden her nährstoffreich - wodurch Spezialistendominanz gefördert wurde.
Der wirtschaftende Mensch hat seit 1000 Jahren -artenarme- Wälder in Äcker und Wiesen umgewandelt.
Dabei wurden Nährstoffe umverteilt, und in der Summe wurden sie den Landschaften entzogen. Denn der sesshaft wirtschaftende Mensch OHNE Nährstoffverluste - also die perfekte "Nachhaltigkeit" - ist nix weiter als eine hübsche Illusion, die vorzugsweise in den naturfernen Umwelten der heutigen Städte gedeihen kann.
Also die der vorindustriellen Landwirtschaft geschuldete nährstoffmäßige Degradation der Landschaften war mindestens ein förderndes Element für die Entwicklung des Artenreichtumes seit 1000 Jahren.
Es wäre nett, wenn das der Naturschutz in dieser Form auch öffentlich kommunizieren würde.
Jedem Dorf seinen Weiher
bedeutet natürlich auch: Jedem Dorf seine Mückenplage. ;)
Naja...
... man muss den Weiher ja nicht direkt in die Dorfmitte setzen ;)
Somit hinreichend Abstand zur Ortschaft(, zwischen 1 bis 3 km), als Naherholung(, abends mal ne Runde drumherum joggen oder mit dem Fahrrad/Inliner, etc) kann es immer noch dienen.
Die Mückenplage ist damit schon mal nicht direkt im Ort und ansonsten gehe ich davon aus, dass die Vögel für den Rest sorgen werden...
Generell müsste man überlegen, ob man nicht bei, insbesondere "biologischer", Landwirtschaftsflächen in der Umgebung solche Biotope anlegt, wo ein Bienenvölker und Ameisen, etc angesiedelt werden. (Insbesondere natürlich Fressfeinde von Schädlingen).
Feuchte Wiese
Da muß man kein Wasser einfüllen, das läuft da allein rein.
Man muß da höchstens ein Loch buddeln, der Rest ergibt sich von allein.
Man kann auch einfach ein paar Steine in einen Bach werfen, dann entseht selbst der Weiher von allein.
Auch die Pflanzen kommen von allein, und selbst die Fische werden von den Vögeln angeschleppt.
Nur die Vögel, die muß man mit einem Masterplan und viel Aufwand gewaltsam ansiedeln.