Die Fähre wartet schon. Vanessa Timm steigt aus dem Bus, läuft über eine Brücke zum Anleger Teufelsbrück und geht an Bord. Einige Stufen noch, dann steht sie auf dem überfüllten Deck. Möwen schreien. Kräne winken. Flussaufwärts blickt man gegen die Sonne bis zur Elbphilharmonie. Eine Hamburgfahne flattert im Fahrtwind, Vanessa Timm wehen die halblangen blonden Haare ins Gesicht. Um sie herum stehen fast nur Männer, die meisten tragen blau-weiß karierte Hemden, die Arbeitsuniform der Ingenieure. Die Fähre legt ab und bringt ihre Passagiere ans andere Elbufer zum Airbus-Gelände. Vanessa Timm ist 19 Jahre alt, eine duale Studentin auf dem Weg zur Arbeit.
Beim Dualen Studium sind die Studenten abwechselnd an einer Hochschule und in einem Unternehmen. Sie studieren und arbeiten, erwerben sowohl theoretisches als auch praktisches Wissen. Als Vanessa Timm nach dem Abi vor der Entscheidung stand: "Was studiere ich?", entschied sie sich für einen Bachelor in Wirtschaftsingenieurwesen. Und für ein Doppelleben zwischen Hörsaal und Büro, Mensa und Kantine, T-Shirt und Jackett. 64.000 Studenten in Deutschland studieren dual. Verglichen mit der Anzahl regulärer Studenten (2,6 Millionen), sind sie deutlich in der Minderheit. Eine kleine, ausgewählte Gruppe.
Was sind das für Leute, Frau Timm? "Duale Studenten sind ehrgeizig und haben Lust zu arbeiten. Ansonsten sind es ganz normale Studierende." Die allermeisten Dual-Studenten werden nach dem Abschluss übernommen. Im Schnitt sind es 89 Prozent, wie eine aktuelle Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) zeigt. Auch bei Airbus stehen die Chancen sehr gut. "Alle unsere Dual-Studenten bekommen im Anschluss ans Studium einen unbefristeten Arbeitsvertrag", sagt der dortige Leiter der Berufsausbildung, Jan Balcke. "Wenn wir jemanden nicht übernehmen, ist das die absolute Ausnahme. Wir brauchen diese akademischen Kräfte."
Studienziel: Festanstellung. Suchen duale Studenten diese Sicherheit? "Das war nicht mein Hauptmotiv. Ich wollte einfach gleich nach der Schule auch praktisch arbeiten und nicht nur theoretisch", sagt Vanessa Timm. Trotzdem, ein gutes Gefühl gebe einem diese Sicherheit schon. Ein reguläres Studium wäre für sie nur zweite Wahl gewesen. "Ich dachte mir, wenn’s mit der dualen Bewerbung nicht klappt, kann ich immer noch an die Uni gehen."
Für dieses gute Gefühl verzichten Dual-Studenten auf monatelange Semesterferien (wie Azubis haben sie nur ungefähr 30 Tage Urlaub im Jahr), auf freie Zeiteinteilung und die Möglichkeit, sich einfach so mal in eine ganz andere Vorlesung zu setzen. "Manchmal hätte ich auch gern ein intensiveres Studentenleben, aber ich bin nicht so jemand, der immer seine Freiheit braucht. Ich wollte die geregelte Struktur", sagt Vanessa Timm.
Was sie nicht sagt: Die Dual-Studenten gelten bei Airbus als "große Potenzialträger". Das sagt Jan Balcke, der sie als außergewöhnlich motiviert, selbstständig, verantwortungsvoll und belastbar beschreibt. Die Studenten sind es gewohnt, Leistung zu bringen, denn wessen Abiturnote schlechter als 1,6 ist, der hat bei Airbus keine Chance auf einen dualen Studienplatz. Vanessa Timm hat ihr Abitur in Gadebusch bei Schwerin gemacht, ihr Schnitt: 1,3.
Das andere Elbufer kommt näher und mit ihm Bürogebäude aus rotem Klinker und Produktionshallen, die silbrig in der Sonne glänzen: Hier baut Airbus seine Flugzeuge. Ein Warnton erklingt, als die Fähre eine Rampe hinunterlässt und Vanessa Timm zwischen allen anderen an Land geht.
Dass sie beim Flugzeughersteller Airbus gelandet ist, hat auch etwas mit ihrem Bruder zu tun. "Ich wusste ungefähr, dass ich in Richtung Management gehen will, dass ich Physik und Mathe mag und Kontakt zu Menschen haben möchte." Außerdem musste es etwas mit Technik sein. "Und ich wollte ein Produkt, das man gerne vorzeigt, weil es einen begeistert." Ihr Bruder, der ebenfalls dual bei Airbus studiert, brachte sie dann auf die Idee, es doch auch dort zu versuchen. "Je mehr ich über Flugzeuge weiß, desto mehr interessieren sie mich", sagt Vanessa Timm.
Kommentare
Die Maschine
"Heute feiern gehen und morgen die Vorlesung sausen lassen geht nicht"
- Blödsinn!
Ich bin selber dualer Wi-Ing. Es nervt mich, wenn Fremde als erste Reaktion auf mein Berufs-Outing mit einem "Wow, ist das nicht anstrengend? Du musst voll schlau sein..." reagieren. Danke erst mal dafür, dass dieser Mythos weiter forciert wird.
In der Realität:
An meiner Hochschule haben Dualies im Grundstudium eine 6-Tage Woche (3 Tage arbeiten, 3 Tage studieren). Die Belastung besteht, gar keine Frage: Ein regulärer Montag mit 12 Stunden Vorlesung schlaucht. Duale Studenten müssen am Ende des Studiums natürlich eine zu Vollzeit-Studenten vergleichbare Anzahl an Credit-Points nachweisen.
Doch so ein Alltag benötigt Ausgleiche. Spätestens nach 2 Semestern sind duale Studenten auch unter der Woche in den Feierschuppen anzutreffen. Wer fehlt ist Überlastet und bricht früher oder später mit dem dualen Studium ab. Erfahrungswerte.
Zum Beispiel sind Wi-Ings prädestiniert für Verkaufsaufgaben. Ohne die nötigen Soft-Skills und Flexibilität, die ein 16 Stunden Tag mit fünfstündigen Verhandlungen mit anschließendem After-Work-Treffen erfordern wünsche ich viel Spaß im Berufsalltag.
-> Konnte nach der Vorlesung keine Aktivitäten mehr wahr nehmen.
Duales Studium = moderne Ausbildung
Die normale Ausbildung taugt kaum was mehr.
Diesen Weg hätten viele Firmen schon erweitern können, den die "Berufsschulen" und Lehrpläne der Ausbildungen wurden seit gefühlt 20 Jahren eher verdichtet und verallgemeinert als spezialisiert.
Das es nur 64.000 davon gibt zeigt doch das es keinen Fachkräftemangel gibt! Ein Ausbildungs-Student der in eine Firma nicht von ganz neu eingelernt werden muss ist doch einem Theorie Studenten einen Schritt voraus.
Dazu verhindert dieses System das in gewissen Bereichen zuviel Human Kapital ausgebildet wird: Jura, BWL.
Studium light
Ich hielt so ein duales Studium für eine gute Idee, bis ich mal mit solchen Studenten zu tun hatte. Meine damalige Firma stellte nur Spitzenabsolventen oder Leute mit hervorragender Berufserfahrung, alles ausnahmslos Akademiker.
Irgendwann kamen die auf die Idee auch ein paar Leute via duales Studium mitzuschleifen. Die zugehörige Hochschule hatte ein sehr gutes Renommee in der Branche.
Die Schwäche dieses Systems läßt sich sehr einfach beschreiben: Diese Studenten werden nach ihrem Abitur ausgesucht. Ein Studienabschluss ist aber eine ganz andere Hausnummer, als ein Abitur. Nüchtern betrachtet, wäre besagter Student nach einem Studium als für "zu leicht" befunden worden und wäre dort nie hereingekommen.
So reichte es völlig aus, keine silbernen Löffel zu stehlen. Er war eher der ewige Praktikant, als eine (angehende) vollwertige Kraft. Auf der anderen Seite hatte besagte Firma auch mehr als genug Drehmoment, das besagtem Student auch in seinem Studium nicht allzuviele Steine in den Weg gelegt wurden. Ein ewiger Leichtmatrose, den man aber auch nicht ohne weiteres auf die Straße setzen kann. Die eigene Wechselmotivation dürfte sich auch in schweren Grenzen halten, da solchen Leuten ihre Unzulänglichkeit durchaus bewust ist.
Duale "Studenten" = Kleingeister ohne Fantasie und Leidenschaft
Ich lache mich immer tot, wenn ich wieder einen dieser Artikel lese, in denen das duale "Studium" hochgelobt und erzählt wird, wie besonders schlau und engagiert man dafür sein muss.
Ich selbst habe 2005/06 ein halbes Jahr lang ein solches "Studium" gemacht und die Mit"studenten" dort waren mit Abstand die beschränktesten Leute, mit denen ich je in einer Vorlesung saß. Leute, die noch nie über den Tellerrand hinaus geschaut haben und das auch nicht vor hatten. Die typischen Bulemie-Lerner, die ohne zu hinterfragen Stoff lernen und auskotzen. Leute, die sich für ihr Fach nicht begeistern, die unter der Woche ihre Zeit im Betrieb oder an der BA absitzen und am Wochenende nichts anderes kennen als Party und saufen. Keine Hobbys, keine Leidenschaft.
Und dass da die geistige Elite oder auch nur die Elite, was den Notendurchschnitt im Abi angeht, versammelt ist, ist nicht wahr. Viele "Studenten" sind über Vitamin B bei den Firmen an den "Studien"platz gekommen oder hatten zuvor eine Ausbildung in der Firma gemacht. Dementsprechend beschränkt ist ihr Horizont.
Die wirklich intelligenten Leute bewerben sich auf so einen Quark auch gar nicht oder steigen schnell wieder aus. Denn, wie ich merkte, ist Hinterfragen an der Berufsakademie nicht angesagt. Zitat eines Dozenten: "Das müssen Sie nicht wissen. Dafür bezahlt Ihr Betrieb uns nicht. Wenn Sie darüber diskutieren wollen, gehen Sie an die Uni." So einer Ausbildung müsste die Bezeichnung "Studium" sofort entzogen werden!
Halte ich für kritisch direkt so verallgemeinert...
...zu urteilen.
Es ist schade, dass Sie solche Erfahrungen gemacht haben, doch sind diese meiner Erfahrung nach nicht die Regel.
Ich bin selbst ein dualer Student (Wirt.-Ing., 5. Semester) und kann Ihnen in (fast!) keinem Punkt zustimmen:
"...wie besonders schlau und engagiert man dafür sein muss."
Ja und nein. Klar ist, wer ein "normales Studium" schafft, schafft (meistens) auch ein duales. Trotzdem müssen Firmen ihre Bewerber selektieren, dass dort Schulnoten und ausserschulische Engagement gern gesehen werden ist denke ich nur nachvollziehbar. Allerdings muss man auch sehen, dass gerade bei Mittelständlern, wo es geringere Bewerberzahlen gibt ein 1er Abi nicht unbedingt Pflicht ist.
"...mit Abstand die beschränktesten Leute, mit denen ich je in einer Vorlesung saß.."
Autsch! Scheint dann aber eher ein Problem der BA zu sein. Ich bin an einer stinknormalen FH in einer ganz normalen Studiengruppe und der Studiengang wird nicht (zumindest nicht offensichtlich) durch die Firmen der Umgebung (z.B unsere Freunde von den 4 Ringen) beeinflusst.
"...typischen Bulemie-Lerner"
Sind sie natürlich häufig, aber nicht immer (sic!). Ausserdem kann man gleiches auch über den Großteil der restlichen Studenten behaupten. Da brauch ich mich nur in meinem Freundeskreis umschauen.
"...Leute, die sich für ihr Fach nicht begeistern"
Ich glaube auch das lässt sich nicht verallgemeinern. Ich für meinen Teil finde mein Fach (trotz einiger Durststrecken) nach wie vor interessant.