Die SPD hat die Kinderbetreuung erheblich ausgebaut und die Kita-Gebühren weitgehend abgeschafft – die Betreuungsqualität lässt jedoch zu wünschen übrig. Mehr als 500 Kita-Leitungen haben einen Brief an Bürgermeister Olaf Scholz geschrieben. "Immer mehr Kolleginnen und Kollegen sind überlastet, werden krank oder arbeiten bis zum Burn-out", heißt es darin. In der vergangenen Woche demonstrierten etwa 4000 Erzieherinnen und Erzieher in der Innenstadt für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. Wir haben Anna-Lena Hartmann, 30, Sandra Timmler, 35, und Susanne Toelcke, 58, von der Krippe Minikratzbürsten in Altona gebeten, uns aus ihrem Kita-Alltag zu erzählen.
Anna-Lena Hartmann: Es wäre gelogen, zu sagen: Wir kommen hier jeden Tag raus und verfluchen den Tag. Wir haben gelernt, die schönen Augenblicke mit nach Hause zu nehmen. Es gibt aber auch Tage, an denen ich am Ende nicht weiß, wie ich das eigentlich geschafft habe. Da habe ich das Gefühl, ich werde den Kindern nicht gerecht und auch meiner Arbeitseinstellung nicht. Und solche Tage werden häufiger. Wenn es dann vom Senat heißt, für die nächsten Jahrzehnte sei alles getan für die Erzieher, dann fragt man sich: Was genau wurde denn für uns Erzieher getan? Und wie soll das die nächsten Jahrzehnte funktionieren, wenn das so weitergeht?
Sandra Timmler: In Hamburg haben sie ganz viele Krippen aus dem Boden gestampft und viel für die Eltern getan. Ich bin selber Mutter, ich sehe das auch. Aber sie haben nichts für die Erzieher getan und nichts für die Arbeitsbedingungen. Und damit letztendlich nichts für die Kinder und die Qualität der Betreuung.
Hartmann: Bei uns arbeiten sieben Erzieherinnen. Wenn alle da sind, betreut jede von ihnen fünf Krippenkinder. Das ist besser als anderswo in Hamburg. Wissenschaftler sagen allerdings, in Krippen sollte eine Erzieherin maximal drei Kinder betreuen.
Susanne Toelcke: Wir verzichten hier alle auf Gehalt, damit wir uns eine Stelle mehr leisten können.
Hartmann: Aber manchmal lässt sich selbst dieser Betreuungsschlüssel nicht aufrechterhalten. Wenn wir um 7.45 Uhr in den Frühdienst starten, haben wir 15 Minuten: Stühle runterstellen, Flaschen mit Wasser füllen, Obst schneiden, Teller decken. In der Zeit klingelt permanent das Telefon – Kollegen melden sich krank, Eltern rufen an. Während die einen Kollegen mit den Kindern frühstücken oder singen, macht eine andere den Haushalt: Geschirrspüler einräumen, Boden fegen, Betten für die Kinder machen.
Timmler: Theoretisch haben wir eine Mittagspause, in der Praxis müssen wir aber so lange dabei sein, bis die Kinder eingeschlafen sind. Einige wachen auch wieder auf, dann müssen wir wieder präsent sein.
Hartmann: Vieles schaffen wir einfach nicht, während wir die Kinder beaufsichtigen müssen. Teambesprechungen fallen oft in die Pause, dazu kommen Gespräche mit Eltern. Außerdem müssen wir Berichte schreiben, Fotos machen, Entwicklungen dokumentieren. Das ist alles nicht in die Arbeitszeit eingerechnet. Manchmal stelle ich fest: Ich war ein Mal auf Toilette – in acht Stunden Arbeitszeit. Heute saß eine Kollegin mit 15 Kindern in der Garderobe und hat mit ihnen gesungen, damit ich auf Toilette konnte.
Timmler: Und es ist wichtig, auch einmal Pause zu machen, denn die Kinder – das liegt nun mal in der Natur der Sache – sind laut, wenn sie fröhlich sind.
Hartmann: Wenn ich merke, ich hatte eigentlich keinen Moment, dem zu entfliehen, dann bin ich körperlich belastet. Das sind die anstrengenden Momente. Aber es gibt natürlich auch Tage, wo alles gut ist, da kann ich zweimal auf Toilette gehen und zwischendurch sogar einen Kaffee trinken. Es ist ja nach wie vor der Beruf, den wir aus Überzeugung und Leidenschaft machen.
Toelcke: Man benutzt uns, weil wir empathisch sind und unsere Arbeit gut machen wollen. Wir werden ausgepresst wie Zitronen. Ich gehöre zu den Initiatorinnen des Brandbriefes an Olaf Scholz, den mehr als 500 Kita-Leiterinnen unterschrieben haben. Wir sind sauer. Was bilden die sich eigentlich ein, da oben in der Leitung unserer Stadt?
Hartmann: Das Geld, auf das wir verzichten, fehlt uns. Viele von uns müssen persönlich zurücktreten, auf Urlaube verzichten. Ich muss beim Einkaufen immer auf mein Geld gucken. Und das als Krippenleiterin, was sollen da die normalen Erzieherinnen sagen?
Toelcke: Manche meiner Freunde lachen, wenn sie hören, was ich verdiene.
Kommentare
Vorwärts immer
Die extreme Leistungsfixierung unserer Gesellschaft gepaart mit immer geringerer Wertschätzung der Leistung unserer Mitmenschen (gefühlt arbeitet jeder am meisten und ist am wichtigsten, während andere faul sind) macht sich langsam bemerkbar.
,,Burn-out", Überarbeitung und ähnliche Probleme hört man aus zahlreichen Branchen, Unternehmen und Bereichen.
Bisher wurde dazu seitens der Politik und der so genannten ,,Leistungsträger" zumeist nur gesagt, man solle sich nicht so anstellen, man müsse eben für den Wohlstand der Gesellschaft zurückstecken.
Tatsächlich aber konzentriert sich der Wohlstand immer mehr auf relativ wenige Personen, während der Wohlstand gewöhnlicherer Menschen sinkt.
Erstaunlicherweise haben es die entsprechenden Menschen bisher geschafft, die gewöhnlicheren Arbeiter und Angestellten zu ihrem eigenen Nachteil schuften zu lassen, während sie selbst den Großteil des Profits einstrichen.
Es ist vielleicht an der Zeit, dass uns gesellschaftlich mal bewusst wird:
Es muss nicht immer auf Teufel komm raus vorwärts gehen, man muss nicht überall Wachstum rauspressen, wo es nur geht, mit der Brechstange.
Wir sollten wieder Zufriedenheit lernen und auf langsameres, nachhaltiges Wachstum setzen!
Die Erzieherinnen und Erzieher verdienen vollste Unterstützung!
Meinen Respekt...
... an alle Erzieher. Ich würde schreiend weglaufen, wenn ich auf mehr als zwei Kinder für längere Zeit aufpassen sollte.
Das Problem ist wie geschildert die Wertschätzung und das schlägt sich in der Bezahlung nieder.
Je älter das Kind ist, desto wertgeschätzter ist der Betruer
-Krippenerzieher(in) - Kitaerz. - Grundschullehrer(in) - Oberschullehrer(in) - Proffesor(in) bzw. Meister in der Ausbildung
In gleicher Reihenfolge ist die Höhe der Gehälter. Dabei hat der Erzieher in Krippe oder Kita viel mehr Verantwortung. Er kann viel versauen oder richtig machen. Das Resultat hält 70-100Jahre! Der Meister oder Professor kann nur fachlich versagen. Im schlimmsten Fall muss der Student/Azubi mit etwas anderem von vorn anfangen. Zeitverlust 3-5Jahre!
gibt es überhaupt nocht Erzieher ?
Ich frage das nicht einfach so,in meiner Kindheit zb gab es keinen Lehrer zb der länger als bis 60 gearbeitet hat (alle Frühpension),bei den Erziehern war auch eine riesige Fluktuation zu beobachten.
Letzlich ist der Durchschnittsmalocher selbst schuld.In den Ländern wo es mit der Bezahlung besser läuft und dem Betreuungsschlüssel (Dänemark,Schweden) gibt es eben auchmal jahresverträge die nicht verlängert werden,weil die Leistung nicht gestimmt hat,aber vor allem: weniger Geld bei Burn-Out und weniger Geld bei Frühpension bzw keine Frühpension.
Der Vorschlag wäre also: 20 Prozent mehr Personal,dafür Beschneidung der Weiterzahlungen im Falle Burnout,nochmal 20 Prozent Personal,dafür keine Lohnfortzahlung in den ersten Tagen wie im reichsten Land der Welt(Norwegen) nochmal 20 Prozent mehr Personal ,dafür radikale Kürzungen der Leistungen bei Frührente.
Achso,wir sind ja in Deutschland,nicht in Skandinavien.Es geht ja nicht um die fleissigen,die werden nur vorgeschoben um gute Bedingungen für die Duckmäuser zu erreichen.
Bzw die Duckmäuser geben den Ton an,der fleissige Michel brüllt: das ist ein Skandal ,keine Lohnfortzahlung.
In Skandinavien gibt es eben keine Wortführer,dort denkt jeder selbst.
nicht nur Hamburg
Leider kenne ich die gleichen Themen auch aus Hessen. Ich habe größten Respekt vor der Arbeit der Erzieherinnen und allen anderen Menschen die sich entschieden haben mit Menschen zu arbeiten.
Soziales ist der Politik nichts Wert und wird nicht geschätzt. Es wird leider nicht besser werden, denn das Land muss sparen und die Lobbyisten und Neoliberalen Gruppen bedienen.
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