Selten ist eine Revolution so wenig bemerkt worden. Ganz Hamburg müsste den Atem anhalten, stattdessen hat es den Bürgern die Sprache verschlagen und nur ein einsamer Abgeordneter der Opposition hyperventiliert. Der Harvestehuder Weg am Westufer der Außenalster wird zur Fahrradstraße.
Eine Fahrradstraße? Mitten in Hamburg? An einem der schönsten und berühmtesten Orte der Stadt, entlang der Villen in der wahrscheinlich immer noch teuersten Wohnlage Deutschlands? Haben die Kampfradler die Macht übernommen?
Es ist eine Nachricht wie aus einer parallelen Wirklichkeit. Wenige Kilometer östlich steigern sich gut situierte Bürger in kollektive Wutanfälle, weil ein paar ihrer Parkplätze dem Bus- und Radverkehr geopfert werden. Und hier, im Herzen des exklusivsten Hamburgs, wo einst die Slomans, Amsincks, Hudtwalckers residierten, beginnt eine neue Zeit. Unter allem, was die Regierung Scholz in den vergangenen vier Jahren erreicht hat, zum Guten oder zum Schlechten für Hamburg, wird diese eine Neuerung herausragen – einfach deshalb, weil niemand sie übersehen kann. Die Außenalster wird in einigen Wochen nicht mehr sein, was sie seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts ist.
Es geht hier, um das klar zu sagen, allenfalls am Rande um Verkehrspolitik. Hamburgs Radfahrer brauchen alles Mögliche, aber einen neuen Radweg an der Alster brauchen sie nicht. Der Weg, den es dort schon gibt, ist nicht großartig, aber halbwegs ausreichend und damit unvergleichlich besser als die Lage fast überall sonst in der Stadt.
Die Autofahrer, andererseits, brauchen das Alsterufer ebenso wenig. Für den Durchgangsverkehr ist die Straße verloren, seit sich das US-Konsulat zwecks Eigensicherung den Straßenraum angeeignet hat. Und für Anwohner und motorisierte Besucher der Alster ändert sich fast nichts. Zwei Sonderzeichen – "Anlieger frei" und "Kfz frei" – werden den Autoverkehr auf der Fahrradstraße ausdrücklich erlauben; lediglich Tempo 30 ist vorgeschrieben.
Klaus-Peter Hesse, der Verkehrspolitiker der CDU, nennt das "Ausgrenzung von Menschen, die nicht Fahrrad fahren können oder wollen", und behauptet, hier sollten "Autofahrer durch Verkehrsschikanen in Busse und Bahnen getrieben werden"; auf Nachfrage stellt sich heraus, dass er von den Regelungen zum Autoverkehr nichts Genaues weiß. Der ADAC hingegen, der von vornherein in die Planung eingebunden war, findet die Fahrradstraße gut.
Fast überall in Hamburg ist Verkehrspolitik ein Verteilungskampf; es geht darum, Flächen, die sich nicht vergrößern lassen, effizienter zu nutzen: ein schmerzhafter Prozess vor allem für Autofahrer, weil sie besonders viel Platz für sehr wenige Verkehrsteilnehmer brauchen. Am Alsterufer liegen die Dinge anders. Ausgerechnet hier, wo der Boden so wertvoll ist wie fast nirgends sonst, gibt es etwas zu verteilen, das niemand dringend benötigt. Die Frage ist nicht: Was müssen wir tun? Sondern: Was wollen wir?
Auf diese Frage gibt das Land nun eine kühne Antwort: Wir wollen Luxus.
Bislang ist der Alsterradweg auch in seinen besten Abschnitten nicht mehr als ein verkehrstechnischer Funktionsbau: Lenkerbreite plus 20 Zentimeter links und rechts, und das Ganze mal zwei für zwei Fahrtrichtungen. So kann man vorankommen, das ist das Wichtigste. Aber ist es diesem Ort und seinen Besuchern angemessen? Drei Viertel der knapp 4500 Radfahrer, die täglich den Weg an der Westseite der Außenalster nutzen, sind Pendler und haben es gewöhnlich eilig. Die Übrigen wollen vor allem die Fahrt genießen. Es gibt ja genug zu sehen, nicht nur die Alster und den Park an ihrem Ufer, sondern auch immer noch viele alte Villen des Hamburger Geldadels, insgesamt eine eindrucksvolle Architekturausstellung.
Die Fahrradstraße am Ufer der Alster soll eine Flaniermeile werden, geeignet für eilige Alltagsradfahrer wie für händchenhaltende Touristen, für Inlineskater und Rentner, die sich und ihren Hunden mit dem Rad Bewegung verschaffen. Und für ein paar Autofahrer ist auch noch Platz. Was könnte man sich Besseres wünschen?
Nicht viel, das räumt selbst die CDU-Opposition ein. Wenn der Autoverkehr zugelassen werde, sagt Klaus-Peter Hesse, sei gegen die Pläne des Senats nichts einzuwenden.
Bleibt eine Frage: Wozu inszeniert die CDU, bei so viel Gemeinsamkeit, einen verkehrspolitischen Großkonflikt? Dass eine Landesregierung ihre Pläne mit der Autolobby vom ADAC abstimmt und sich dennoch "autoverachtende Politik" vorhalten lassen muss, ist wahrscheinlich nur als Folge eines im Wahlkampf überschießenden Populismus zu erklären. Er zielt auf staugeplagte Autofahrer und braucht im Übrigen keine Anknüpfungspunkte an die Wirklichkeit.
Nächstes Jahr sollen weitere Teile des Alsterufers zu Fahrradstraßen werden. Im Norden allerdings werden sie im Nichts enden. Radwege, die diese Bezeichnung verdienen, auch in Harvestehude, Eppendorf und Winterhude – das wäre ein echter Gewinn für den Radverkehr. Vielleicht irgendwann.
Kommentare
eine auch mögliche
Nutzung wäre der Spaziergang, den würde ein Fahrradfahrer sicher nicht stören.
Die Villenbesitzer sind doch ohnehin Stiftungen und Firmen die diese Prachtbauten aus der Sklavenzeit nicht bewohnen oder selten.
Die Richtung der Entscheidung stimmt schliesslich muss ja auch ein grüner Gedanke der Landespolitik irgendwo ausgemacht werden können.
Wirklich Luxus?
"Bislang ist der Alsterradweg auch in seinen besten Abschnitten nicht mehr als ein verkehrstechnischer Funktionsbau: Lenkerbreite plus 20 Zentimeter links und rechts, und das Ganze mal zwei für zwei Fahrtrichtungen."
Das ist also "gut vorankommen", Lenkerbreite + 20 cm links und rechts?
Ich kenne diesen konkreten Radweg nicht, aber wenn die beiden Richtungen auf gegenüberliegenden Straßenseiten sind, bedeutet das, dass man de facto auf diesem Radweg nicht überholen kann (wären die Spuren angrenzend, könnte man zumindest analog zur Fahrbahn auf der Gegenrichtung überholen, wenn kein Gegenverkehr kommt).
Nicht überholen können bedeutet im Zweifelsfall dass ein Radler mit 25 km/h hinter einem Radler mit 10 km/h herfährt. Beide Geschwindigkeitsszenarien kommen im Alltag oft vor und sind keine "Randerscheinungen" sondern guter Durchschnitt auf deutschen innerstädtischen Radwegen.
Ich möchte analog mal den Autofahrer erleben, der innerhalb der gesamten Stadt ohne Überholmöglichkeit hinter einem Auto 20 km/h herfährt (gleiche Geschwindigkeitsverhältnisse).
Wir brauchen also breitere Radwege und/oder direkt angrenzende Gegenspuren, das ist kein Luxus, sondern normale Notwendigkeit!
" Nur die cdu ist gegen die Fahradstraße" !! Wenig verwunderlich
Ich vermute mal auch der Autor des Artikels kennt die Vorteile einer Fahrrardstraße für Radler nicht wirklich.
Entscheidender Vorteil: Auf einer ausgewiesenen Fahrradstraße haben Fahräder insofern vorang, das es dort ausdrücklich erlaubt ist, als Radler nebeneinander herzu fahren.
Autos sind zwar grundsätzlich auch erlaubt, aber Sie müsssen sich eben damit abfinden, das Radler dort vorang haben, eben auch nebeneinader fahren dürfen.
Ob das der cdu Mann wusste ?, ich denke nicht. Nachdem wohl klar ist, das dort Autos weiter auch fahren dürfen wird sich seine Aufregung wohl legen ?
Das daraus überhaupt so ein Aufreger gemacht wird ist typisch für das Autoland Deutschland. Es ist noch ein langer Weg weg von der sogenannten autogerechten (Groß)stadt.
Dieser Irrweg endete bis heute im täglichen Dauerstau, so langsam fangen einzelne Politiker / Enstcheidungsträger das zu kapieren.
Ich war 2013 auf dem Kirchentag in Hamburg und bin dort u.a. Rad gefahren und kann nur sagen, die Infrastruktur für Radfahrer in Hamburg ist eine einzige Zumutung. Jeder Schritt das zu ändern und ist er noch so klein ist mehr als dringend erforderlich.
Deshalb von mir ein klares weiter so.
Nebeneinander fahren
Sie haben natürlich recht, aber damit keine Missverständnisse aufkommen: im überwiegenden Teil aller Fälle dürfen Radfahrer auch auf "ganz normalen Straßen" nebeneinander fahren.
Das ergibt sich einfach daraus, dass die Formulierung lautet, dass sie NICHT nebeneinander fahren dürfen, wenn dadurch der Autoverkehr behindert würde.
Und was genau eine "Behinderung des Autoverkehrs darstellt", ergibt sich aus den Mindestabständen beim Überholen. Sprich, ein Auto wird dann behindert, wenn es durch das Nebeneinanderfahren von Radfahrern nicht mehr überholen kann, obwohl es das könnte, wenn dort nur ein Radfahrer fährt.
Der notwendige Abstand eines Autos beim Überholen eines Radfahrers beträgt 1,5 Meter. Bei den meisten Straßen ist dieser Abstand überhaupt nur dann vorhanden, wenn die Gegenfahrbahn komplett frei ist. Und in diesem Fall ist es egal, ob vor dem Auto ein Radfahrer oder zwei Radfahrer nebeneinander fahren - eine Behinderung bestünde nur dann, wenn die 1,5 m Regel bei einem Radfahrer eingehalten werden kann, bei zweien aber nicht. Und dieser Fall ist, wie gesagt, aufgrund der Straßenverhältnisse sehr selten.
http://www.adfc-nrw.de/kr...
Sinnvolle Erweiterung, bitte mehr davon
Den Radweg als "Luxus" und unnötig zu bezeichnen, halt ich für falsch.
Der bisherige Radweg war stark unterdimensioniert und dadurch gefährlich zu befahren, dies zeigt sich besonders in der Rush Hour und das bei weitem nicht nur im Hochsommer.
Nicht zuletzt muss erwähnt werden, dass dort laut den letzten Zählungen jetzt schon mehr Räder als Autos pro Stunde unterwegs sind.
Für mich eine mutige und sinnvolle Entscheidung. Ich als Radfahrer bin sehr gespannt, wie es weitergeht. Mit den Alsterachsen wurden viele Hoffnungen geweckt und besonders an der Alsterostseite tutt eine Verbesserung für Radfahrer und Fußgänger Not.