Nahe dem Görlitzer Park in Kreuzberg geht es von der Straße in den ersten, dann in den zweiten Hinterhof. Dunkel ist es dort, hier wächst kein Baum, kein Strauch, nichts. Hinein geht es, ins Erdgeschoss, in die ehemaligen Räume einer Druckerei. Auf Regalen stapeln sich Plastikwannen bis hoch unter die Decke, sie sind wie Dialyse-Patienten verkabelt mit dünnen, durchsichtigen Schläuchen, aus denen mit Dünger versetztes Wasser tröpfelt und die Wurzeln der Pflanzen umspült. Sanft violettes Licht, das die optimalen Farbeigenschaften hat, um das Wachstum zu unterstützen, verleiht dem Ganzen die technoide Atmosphäre eines Labors. Hier offenbart sich eine ferne und doch seltsam nahe Zukunft. Hier sprießen Weizengras und Chilis, Blattsalat und Zwiebeln, die im Gaumen des laienhaften Verkosters genauso schmecken wie die vom Feld.
"Das Licht ist der entscheidende Faktor", sagt Guy Galonska, ein 25-jähriger Israeli, der seit fast drei Jahren in Berlin lebt. Herkömmliche Glühbirnen, erklärt er, würden als Lichtquelle schlicht zu viel Strom verbrauchen und zu viel Hitze erzeugen, um in Innenräumen Gemüse zu züchten, das preislich mit herkömmlich Angebautem konkurrieren könnte. In den vergangenen Jahren haben Unternehmen wie Philips und General Electric aber sehr effiziente LED-Leuchten entwickelt, ja ganze LED-Produktlinien, die sich an den Bedürfnissen von Gärtnern orientieren und den Anbau in geschlossenen Räumen zu einer ökonomisch rentablen Option machen.
"Indoor-Farming" heißt die Idee, mit der sich Forschungseinrichtungen und Start-up-Unternehmen rund um den Globus beschäftigen. Flächen, die bisher niemand als Gemüsegärten in Erwägung gezogen hätte, sollen erblühen und zur Nahrungsversorgung in den Metropolen beitragen. Wie viel Licht die Pflanzen brauchen, wie viel Wasser, wie viel Dünger – genau das will Galonska derzeit herausfinden. Infarm heißt die Firma, die er gegründet hat, und was er in dem düsteren Loft im Hinterhof ausprobiert, soll bald Keller, Dachböden und leer stehende Tunnel in der ganzen Stadt füllen.
Pflanzen in Innenräumen brauchen 98 Prozent weniger Wasser als im Freien
Guy Galonska baut die hängenden Gärten von Kreuzberg. Von den sieben antiken Weltwundern sind die hängenden Gärten von Babylon jenes, über das man am wenigsten weiß. König Nebukadnezar II. soll sie für seine Frau Amytis angelegt haben. Ob sie tatsächlich in Babylon lagen, ist heute umstritten, ebenso, ob es tatsächlich "hängende" Gärten waren – das geht wohl auf einen Übersetzungsfehler zurück. Vielmehr scheint es sich um eine Terrassenanlage gehandelt zu haben. Unklar bleibt, woher in einer Wüstengegend mit Temperaturen bis zu 50 Grad und ohne Regen das notwendige Wasser gekommen sein soll. Das Problem, das sich Nebukadnezar II. stellte, dürfte dem von Guy Galonska durchaus ähnlich gewesen sein: Wo bisher nichts wächst, sollen mit minimalem Wassereinsatz Gärten voll Gemüse, Salat und Kräutern entstehen.
Anders als beim Urban Gardening, bei dem innerstädtische Brachen im Freien bepflanzt werden, soll beim Indoor-Farming in Gebäuden angebaut werden, die bisher als nicht kultivierbar galten: zu dunkel, zu abgelegen, ohne Wasserversorgung. Mit neuen Hightech-Methoden will man nun säen und ernten, unter der Decke von Lagerhallen, in ehemaligen Bunkern und ungenutzten Speichern. Das Grün bleibt grün, unterscheidet sich aber vom Idyll unter freiem Himmel: Lauch, der bis zur Ernte keinen Strahl Sonnenlicht sieht; Radieschen, die nicht in der Erde, sondern in anorganischem Substrat wachsen; Rucola, der von einem Ventilator Sauerstoff zugefächelt bekommt. "Die wenigsten Leute wissen, dass der Wind einer der wichtigsten Faktoren beim Wachstum von Pflanzen ist, weil er zur Festigkeit von Gräsern beiträgt", erklärt Galonska.
Das Unternehmensziel von Infarm ist ein fertiges Farmmodul, das schlüsselfertig verkauft und direkt im urbanen Umfeld installiert werden kann. Bisher stehen lediglich Probeversionen in einem Hotel und einem Restaurant in Berlin.
Derweil will Infarm mit einem anderen Produkt Geld verdienen. In einer Ecke der Werkstatt packen zwei Aushilfen pyramidenförmige Bausätze in Versandpakete – es sind sogenannte Microgarden. 25.000 Euro hat das Unternehmen per Crowdfunding für diese Geschäftsidee eingesammelt. Die Spender erhalten im Gegenzug eine Art Minigewächshaus zum Selberbasteln: In einer Pyramide aus recycelbarem Kunststoff gießt man einen Pflanzenboden auf, in dem nach zehn Tagen Kresse, Senf- oder Rettich-Sprösslinge wachsen. Später einmal soll der Bausatz in Designläden, Biogeschäften und über das Internet verkauft werden.
Kommentare
die handarbeit
wird das teuerste an der sache sein,entweder billiglöhner und quantität oder premiumpreise und qualität..................
im übrigen wird gemüse,im gewächshaus,schon im grossen für die discounter so angebaut.
Sinnstiftende(?) Verschwendung
Angesichts
1) hoher Brachflächenbestände im Umland von Großstädten,
2) Kleingärtensparten die zum Großteil nur noch aus Wiesen und
Schwimmbecken bestehen
kann ich die hier künstlich hergestellte Polarisierung von "Gemüse
aus fernen Ländern" und Indoor-Farming kaum ernst nehmen. Das
Nahrung aus Spanien und Co über weite Strecken angekarrt wird,
basiert zum Einen auf marktwirtschaftliche Mechanismen zum
Anderen auf "Alltagsökonomie" (seine Zeit in einen Arbeit zu
investieren ist in den meisten Fällen ökonomischer als diese darauf
zu verwenden selbst anzubauen, nur ein Beispiel).
Daran wird Indoor-Farming nichts änderm. Eine nette Ergänzung im
Bereich des Hobby-Gärtners mag es darstellen. Ein teueres Hobby:
die Energiebilanz dieser Anlagen fällt gegenüber einem
klassischen Kleingarten oder dem Blumentrog auf dem Fensterbrett sehr dürtig aus.
Im Übrigen ist mir aus dem Artikel nicht klargeworden (hab ich es
übersehen?) ob das Indoor-Farmining in den Fabriken als gemeinschaftliche Projekte wie die Stadtgärten in Andernach
oder die Projekte in Berlin z.B. an großen Pflanzenkübeln geplant
sind.
warum?
So viele begeisterte Beiträge! Man bekommt richtig Lust das hier mal ein Artikel über eigene Herzensthemen publiziert wird! Weiter so Zeit - Kommentatoren! Wer so gute Laune hat dem ist wohl die Bio-Tomate im Hals stecken geblieben.
via ZEIT ONLINE plus App
Plant Paradise
Es ist gut zu sehen, dass viele neue Initiativen im Bereich Urban und Indoor Gardening entstehen. Es schärft das Bewusstsein, dass einer der größten Herausforderungen der heutigen und kommenden Zeit die Ernährung van bald 9 Milliarden Menschen sein wird. Bei abnehmender Verfügbarkeit von geeignetem Anbauboden, zunehmende klimatische Extremen und weniger Süßwasser ist es umso wichtiger über Alternativen nach zu denken. Die Niederlände sind – als einer der Hauptlieferanten für Deutschland in Sache Obst, Gemüse und Blumen - ebenfalls intensiv mit diesem Thema beschäftig und es gibt dort interessante Entwicklungen zu beobachten, die neue Wege in Sache Pflanzenwachstum Aufzeigen. Bei mehreren Unternehmen und an diversen Universitäten und Forschungseinrichtungen werden seit Jahre nach Optimierung bestehender und Entwicklung alternativer Produktionsmethoden geforscht und es gibt schon sehr interessante Ergebnisse. Der Start-Up Plantlab zB. (Plantlab.nl), in 2009 als Spin-off der Agrar-FH (HAS) in Den Bosch gegründet, entwickelt das sogenannte „Plant Paradise“ Konzept, wobei nicht nur von jeder gängige Pflanzenart eine Art Pflanzen-ID angefertigt wird, sondern auch die Umsetzung der Wachstumsbedingungen in der Realität systematisch vorangetrieben wird. Es werden dazu skalierbare Plant-Produktions-Einheiten (PPUs) entwickelt, womit (LED) Licht, Luft, CO2, Temperatur, Nahrung, und Wasser geregelt werden. Einsatz am Nordpol oder in der Wüste,PPUs können überall gebaut werden.