Die Architekten könnten es besser. Und sie wissen, dass sie es besser könnten. Weil sie es aber nicht besser machen, weil sie so gut wie jeden freien Fleck in Hamburg mit ihren Schuhkartons aus Backstein zubauen, düster, behäbig und derart gesichtslos, als hätten nicht Menschen, sondern dröge Algorithmen sie entworfen, weil also die Architekten eine Tristesse anrichten, die sie selbst schaudern lässt, flüchten sich viele in milden Zynismus. Wird schon noch zuwachsen, sagen sie. Ihr werdet sehen, wenn erst die Bäume groß sind, dann ist das alles halb so schlimm. Dumm nur, dass selbst die schönsten Bäume nach fünf, sechs Monaten ihre Blätter verlieren. Spätestens dann zeigt sich vor aller Augen: die neue Hamburg-Verschandelung.
Es gibt geglückte Ausnahmen, das stimmt. Es gibt Wohnbauten, die das Auge erfreuen, die umsichtig und einfallsreich das Stadtbild bereichern. Doch wer einmal hinausfährt nach Barmbek-Nord, nach Lokstedt oder Hammerbrook, den packt meist die kalte Wut oder gleich der Trübsinn. Wenn es stimmt, dass sich eine Stadt wie ein Buch lesen lässt, dann erzählt das jüngste, noch längst nicht vollendete Kapitel von einer Zeit, in der alles geht und nichts mehr möglich ist. In der geopfert wird, was eine Stadt erst begehrenswert macht: ihre Schönheit.
Architektur wird zur reinen Mengenlehre. Es wird rausgeklotzt, was sich rausklotzen lässt. Und wenn es am Ende aussieht, als hätte der Stadtplaner immer nur Sudoku gespielt, nichts als Kästchendenken, dann scheint das fast eine Naturnotwendigkeit zu sein. Die Stadt muss wachsen, ob sie will oder nicht. Wenn die Prognosen stimmen, dann ist die Zwei-Millionen-Marke bereits in Sicht. Dann brauchen 250 000 Neubewohner möglichst bald ein Zuhause. Und das heißt: Irgendwo in den Grenzen Hamburgs muss eine Stadt von der Größe Lüneburgs entstehen. Und eine reicht nicht, es muss noch ein Lüneburg sein und noch ein weiteres.
6000 heißt deshalb die Vorgabe. 6000 neue Wohnungen sollen im Jahr entstehen, damit das Angebot jedenfalls einigermaßen die Nachfrage deckt und die Mieten nicht noch viel teurer werden. Alle sollen sich Hamburg leisten können, es geht um die gerechte Stadt. Das bisschen neue Hässlichkeit kann man dafür schon mal in Kauf nehmen. Ethik wiegt schwerer als Ästhetik.
So oder so ähnlich denkt sich das der Senat. Er will kein neues Mümmelmannsberg, kein Steilshoop hochziehen, keine Großsiedlung mit Banlieue-Verdacht. Lieber will er verdichten, will ins gewachsene Gefüge hineinstopfen, was sich hineinstopfen lässt. Für die ersten 6000 Wohnungen war das einfach, für die zweiten 6000 ging es auch noch. Doch wenn das die nächsten 20 Jahre so weitergeht, dann geht es eben so nicht weiter. Dann wird sich Hamburg am Ende nicht wiedererkennen.
Nicht die Enge ist dabei das Problem, andernorts leben Menschen viel dichter gedrängt. Das Problem ist eine Enge in Monotonie. Das allermeiste, was da gerade gebaut wird, lässt sich an Kargheit kaum überbieten: eine Architektur aus dem Geiste des Containers, Hauptsache, praktisch, Hauptsache, schnell.
Ein neues Ottensen bauen? Geht nicht, sagen die Planer
Dächer zum Beispiel scheinen abgeschafft. Häuser werden streng rasiert geliefert, oben alles ab. Das alte Spiel mit Trapez- und Treppengiebeln, mit Walm-, Sattel- oder Mansarddächern, ein Spiel, das Häusern etwas Gemütvolles verleiht, auch etwas Behütendes, scheint die meisten Architekten kaum zu interessieren. Es regiert die kalte Logik des Funktionalismus, sie macht aus dem Wohnen eine Ware. Und da kann man sich Gemüt nicht leisten.
Dabei gibt es auch raffiniert gestaltete Flachdächer, schöne Staffelgeschosse, wohlproportionierte Krag- oder Kranzgesimse, die ohne großen Aufwand aus einer trüben Wohnkiste ein charaktervolles Haus machen. Aber auch das scheint schon der Baukunst zu viel. Die meisten Häuser von heute sind karge Stapelware.
Nur für eines können sich offenbar viele Architekten richtig begeistern, das sind Fenster mit grauen Rahmen, Fenster mit schwarzen Rahmen, Fenster, die auf jeden Fall nichts Leuchtendes, nichts Warmes an sich haben dürfen. Sie machen aus ohnehin drückenden Fassaden noch drückendere. Dass Hamburg unter schwerer Verdunkelungsgefahr leidet, wird ja niemand bestreiten. Auch die Architekten vor hundert Jahren, als Backstein erstmals richtig populär wurde, wussten das. Deswegen legten sie größten Wert auf helle Fensterrahmen, fein gegliedert, um ihren Häusern ein paar blinkende Augen zu gönnen. Viele ließen auch ihre Klinkerwände hell verfugen, denn oft reichen schon solche Feinheiten, um aus nackter Klobigkeit einen lebendigen Baukörper zu machen. Aber mit Feinheiten hält man sich heute nicht auf. Und mit einer klugen Planung im großen Maßstab leider auch nicht.
Kommentare
Armut als Konzept
Hanno Rautenbach bohrt schon wieder in derselben Wunde, das schmerzt ein bißchen, aber okay, er hat ja recht, nichts hat sich in den letzen Jahren verbessert, dann dürfen wir uns das eben noch ein paarmal anhören.
Wer Stadtplanung als Auftrag der Daseins-Vorsorge abschafft, wer sich eine Bausenatorin leistet, die weiter von Baukultur weg ist, als überhaupt denkbar schien, einen Baudirektor im Amt hält, der alles toll findet und nix gebacken bekommt, der hat wohl auch nichts anderes verdient, als diesen Würfel-Schrott. Natürlich stünde der FHH das gleiche baurechtliche Instrumentarium zur Verfügung wie zB Konstanz, eine Bauordnung, die gestalterische Vorgaben zuläßt, Grundstücksveräusserungen nach Konzept, Bürgerbeteiligung in Planungsfragen usf usf, alles geht, wenn man es gewollt hätte. Aber was zählen schon Funktion, Gestaltung und lokale Behaglichkeit, in Wahrheit sind Investoren doch die besseren Planer, die können noch was reissen, man muß sie nur locken und pampern, dann klappt das schon !? Armes Hamburg.
Schönen Gruß nach Celle
Kein Monat ohne Planerschelte. Man kennt's. Leider wiederholt man seinen Weltschmerz häufiger als dass man sich mal informiert. Dass viele Gebäude nicht anecken, liegt eben auch an Kompromissen, die durch partizipative Planungsinstrumente zustandekommen. Die An- und künftigen Bewohner wollen eben lieber Backstein als verschnörkelte Glaspaläste. Und ein künstliches Ottensen ohne Geschichte funktioniert auf der grünen Wiese eben nicht. Das liegt nicht an mangelnder Kreativität, sondern an den Faktoren, die das städtische Leben beeinflussen. Man sieht ja wie schwierig schon die Hafencity mit Vorurteilen zu kämpfen hat. Da helfen Lohsepark, Sozialwohnungen, gute Schulen, Kulturzentren usw. erstmal auch wenig, denn sowas dauert wie ein Baum eben viele Jahre bzw. Jahrzehnte.
Und festzulegen, welche Farbe die Fensterrahmen haben dürfen... meine Güte! Das können Sie vielleicht in einer niedersächsischen Kleinstadt machen, die mit ihren Fachwerkhäusern wirbt, aber doch nicht in einer vielfältigen Millionenstadt, die von ihren Gegensätzen lebt. Da man sich hier auch nur einen winzigen Ausschnitt eines einzigen Gebäudes herausgepickt hat, obwohl's genug Gegenbeispiele gibt, zeigt ja auch das alte Problem: Man will etwas sagen und beklagen. Und erst dann schaut man, wie man es begründen kann. Da können 99% der Neubauten anders sein: die 1% sind gefundenes Fressen, um die Ausnahme zur Regel und damit zum System zu erklären.
Achja, eine Ergänzung noch
Architekten und Planer bauen nicht für sich, sondern für ihre Auftraggeber. Wo sie persönlich bevorzugt leben, ist daher nicht der Maßstab dafür, was sie in ihren Plänen zeichnen. Und man sollte nicht denken, dass alle Hamburger unbedingt in der Schanze oder St. Georg wohnen wollen. Wer helleren Backstein wünscht, der könnte sich ja mal auf die Suche nach den Stadtteilen in der Vorstadt machen, die Herr Rauterberg so verteufelt, z.B. das Projekt "Stadtgärten" in Lokstedt. Vielleicht hilft da ein Gespräch mit Anwohnern um zu verstehen, warum ein Szeneviertel vom Reißbrett kurz vor der Landesgrenze nicht so gut funktioniert wie in gewachsenen Vierteln, die noch vor 20 Jahren gemieden wurden und erst durch die Gentrifizierung ihren temporär hippen Ruf bekamen. Aber das ist wohl schwierig, wenn man Immobilienwirtschaft und Stadtplanung meidet und lieber Ausschnitte präsentiert, um ohne Zusammenhang von einer Kleinigkeit aufs gesamte Städtewesen zu verweisen und sie zum Naturgesetz zu erklären.
Da ist es natürlich einfach, wenn man Singles vorwirft, sie sollen doch einfach schnell eine Familie gründen. Vor allem weil Singlewohnungen für dreiköpfige Familien so geeignet sind und die einfache Rechnung überzeugt. Dann muss man sich auch nicht anschauen, um was für Singles es sich denn handelt. Sonst käme man noch auf den Hinweis, dass es vor allem Witwen und Witwer in der älter werdenden Gesellschaft sind und Pendler sich schlecht eine Zweitfrau für die Zweitwohnung suchen können.
Optik ist nicht alles?
Wenn hier in München nicht die Mietpreise und die Preise für Eigentumswohnung (vgl. http://muenchen-sehen.com/20… ) zur Debatte stehen, sondern die optische Schönheit, dann hätte München ein Luxusproblem. Leider hat man als Kleinverdiener aus dem Mittelstand nicht die Qual der Wahl!