Nun muss sich also auch Deutschland mit rechtspopulistischen Krakeelern rumschlagen. Viel Spaß, kann man da als Schweizer nur wünschen! Die Eidgenossenschaft ist seit über einem Vierteljahrhundert im geistigen Würgegriff der Rechtspopulisten. Seit 1992, als das Land über einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) abstimmte und ihn hauchdünn verwarf, diktiert die Schweizerische Volkspartei (SVP) häufig die politische Tagesordnung. Allen voran ihr Vordenker und Financier: der Multimilliardär Christoph Blocher.
Was also könnte Deutschland, sein Osten, was könnten seine Parteien, seine Medien von der Schweiz lernen? Vor allem eines: Die hierzulande gemachten Fehler vermeiden – und das waren beileibe nicht wenige.
Erstens: Nicht verdrängen. Die Rechtspopulisten sind gekommen, um zu bleiben. Bis heute hoffen ihre Gegner bei jedem Urnengang auf einen Totalabsturz der Volkspartei. Vergebens. In der Schweiz gaben bei den jüngsten nationalen Wahlen 26,6 Prozent der SVP ihre Stimme.
Zweitens: Keine Panik. Der Rechtspopulismus ist nicht der Untergang des Abendlandes. Über den Politologendaumen gepeilt, verfangen ihre Ideen zwar in jeder Gesellschaft bei rund einem Viertel bis einem Drittel der Wählerinnen und Wähler. Aber: Knapp drei Viertel aller Schweizer Bürger wählen nicht die SVP. Das ist eine satte Mehrheit. Sogar in einer halbdirekten Demokratie wie der Schweiz mit ihren ausgebauten Volksrechten. Also erst recht im parlamentarischen Deutschland.
Drittens: Position beziehen. Diese satte Mehrheit der Nicht-Rechtspopulisten-Wähler nützt allerdings nichts, solange man sie nicht ausspielt. Die Macht der Rechtspopulisten kann sich nämlich erst richtig entfalten, wenn sich die anderen Parteien ihnen anbiedern, also geblendet vom schnellen Erfolg versuchen, ihre einfachen Rezepte und Ideen zu kopieren. Dabei müssten sie sich ihnen entgegenstellen. Oder wie die bürgerliche Schweizer Politikberaterin Katja Gentinetta meinte: "Die radikale Politik der SVP zwingt zum ebenso radikalen Positionsbezug: Wer nicht gegen die SVP ist, ist für sie." Das beste Beispiel in der Schweiz ist die Europapolitik: Noch in den 1990er Jahren war der EU-Beitritt in den Programmen der bürgerlichen Parteien festgenagelt. Heute, ein Vierteljahrhundert später, ist er ein Tabu. Brüssel ist das Böse schlechthin. Die Saat der SVP ist aufgegangen. Die EU-feindliche Haltung fraß sich tiefer und tiefer in die bürgerlichen und linken Parteien – und vor einem Jahr geschah das Undenkbare: Die Schweizer setzten in einer Volksabstimmung die bilateralen Verträge mit der EU aufs Spiel. Also nichts weniger als ihren eigenen Wohlstand.
Viertens: Mehr Gespür. Populisten sind miserable Regierende und schlechte Gesetzesschöpfer, aber etwas beherrschen sie großmeisterlich: Sie haben ein Näschen für die echten Sorgen und latenten Ängste in der Bevölkerung. Und kochen diese zum Skandal hoch. Was dagegen hilft? Vorausschauen und mit Klartext und Fakten kontern. Die SVP macht Stimmung gegen die "Masseneinwanderung", ihre Gegner wiegeln ab, anstatt diese Wachstumsschmerzen mit politischen Mitteln zu lindern zu versuchen. Die SVP führt eine Kampagne gegen "Sozialschmarotzer", ihre Gegner blocken. Anstatt kühl nachzurechnen, wo es im Sozialhilfesystem tatsächlich hakt.
Fünftens: Mal nichts schreiben. Populisten lieben die Provokation, Medien lieben die Provokation – und bald können die einen nicht mehr ohne die anderen. Jede SVP-Schnapsidee wird in der Schweiz heute zum Großereignis hochgeschrieben. Und Christoph Blocher zieht eine Journalistengeneration um die andere in seinen Bann. Ein politmediales Perpetuum mobile.
Sechstens: Begriffe erobern. Der Einfluss der Populisten reicht indes weit über die Parlamente und Parteizentralen hinaus. In der Schweiz definiert die SVP seit Jahren, was "schweizerisch" oder was der "Volkswille" ist. Was tun? Der Politologe Michael Hermann schrieb dazu in der ZEIT: "Die Auseinandersetzung um Deutungsmacht findet in der Mitte der Gesellschaft statt. Nur an der Bruchlinie zwischen Ja und Nein sind Geländegewinne möglich. Es ist die SVP, die dies instinktiv begriffen hat." Das heißt: Populisten schlägt man am besten mit ihren eigenen Begriffen. Es ist nämlich zutiefst "unschweizerisch", wie die SVP versucht, die Macht an sich zu reißen. In einem Land der langsamen, breit abgestützten Entscheidungsprozesse. Und der viel beschworene "Volkswille" zeigt sich nicht nur im Resultat einer SVP-Initiative, sondern in sämtlichen Rechtsnormen und Institutionen.
Ob dies reicht, um den Populisten erfolgreich entgegenzutreten? Nein. Aber es ist ein Anfang.
Österreichs Politik hat zu lange vor der Gefahr von Rechtsaußen gekuscht. Nur langsam wird sie kreativ. Dazu lesen Sie hier Joachim Riedls Text "Ausgrenzen genügt nicht".
Kommentare
Und wer sind diese ominösen Rechtspopulisten in Deutschland?
Irgendwie wird mir nicht klar, worüber dort überhaupt gesprochen wird. Etwa über Pegida? Diese paartausend-hundert-Leute, diese Schrumpfzwerge aus Dresden? Oder die AfD - die Partei, die gerade dabei ist, durch innere, direkte Demokratie Farbe zu bekennen und offen aufzutun, wie viele ihrer Mitglieder tatsächlich dem stumpfen Rechtspopulismus zuneigen, während keine offizielle tatsächlich rechtspopulistische Forderung der AfD bekannt ist?
Was allerdings die Schweiz angeht: Pflanzen wachsen am besten auf geeignetem Boden. Oder ist der Verfasser dieses Artikels tatsächlich so geringschätzig gegenüber dem Schweizer Durchschnittsbürger, dass er glaubt, dessen Meinung wäre nur eine Füllung der führenden politischen Köpfe und der Medien, denen er seinen leeren Schädel zur Verfügung stellt?
Nein, die Schweizer müssen erstens mit einer extrem hohen Ausländerquote leben und zweitens sind sie, verglichen mit anderen Völkern, überdurchschnittlich an Selbstbestimmugn interessierte, aber auch intolerante, konservative, ängstliche und ressentimentgeladene Menschen (man konsultiere etwa die Bertelsmannstudien zum sozialen Zusammenhalt in OECD-Ländern). Das führt zu den Ergebnissen der entzscheidenden Referenden der letzten Jahre. Man kann nicht gegen Blocher "aufklären", wer wie Blocher denkt und fühlt.
Antwort auf 1. Wer sind diese ominösen Rechtspopulisten in D?
Zitat: „Und wer sind diese ominösen Rechtspopulisten in Deutschland?
Irgendwie wird mir nicht klar, worüber dort überhaupt gesprochen wird. [...] Oder die AfD - die Partei, die gerade dabei ist, durch innere, direkte Demokratie Farbe zu bekennen und offen aufzutun, wie viele ihrer Mitglieder tatsächlich dem stumpfen Rechtspopulismus zuneigen, während keine offizielle tatsächlich rechtspopulistische Forderung der AfD bekannt ist?“
In Bezug auf die AfD ist diese Frage berechtigt, denn die führenden Köpfe der AfD treten seriös auf: Bernd Lucke scheint für viele AfD-Anhänger mit seiner Kritik am Euro alleine deshalb Recht zu haben, weil er Professor für Makroökonomie ist.
Frauke Petry vertritt zwar den „national-konservativen“ Flügel, der keine Berührungsängste zum äußeren rechten Rand zu haben scheint. Allerdings vermeidet sie sehr bewusst rhetorische Entgleisungen, die anderen AfD-Köpfen immer wieder vorgehalten werden.
Zur Veranschaulichung des rechtspopulistischen Potenzials der AfD empfehle ich die Website http://afdodernpd.de/ sowie den Artikel „Der rechte Populismus der AfD in zwölf Zitaten“, der am 25.03.2014 in der Huffington Post erschien.
Deutschland hat die Fehler schon gemacht
Gäbe es nicht die spezielle historische Situation, und hätten " die Rechten" einen ähnlich publikumswirksamen Anführer wie z.B, Haider oder Wilders, dann hätte sich auch bei uns schon längst eine politische Kraft, rechts von der CDU etabliert.
Auch bei uns gibt es das "unflexible und unverrückbar erscheinendes Machtkartell", das alternativlose Politik predigt, wo alternative Antworten gefragt sind.
Auch bei uns wird versucht, durch Ausgrenzung und Verdrängung den Aufstieg neuer politischer Kräfte zu verhindern, was im Falle von Grünen und Linken mittlerweile schon zweimal nicht funktioniert hat, und auch bei einer rechtspopulistischen Partei scheitern wird, wenn die etablierten Parteien keine besseren und vor allem überzeugendere Antworten geben können/wollen.
Auch bei uns biedert man sich zum Teil an - Ausländermaut
Auch bei uns wird jeder Pups von Pegida zum Orkan hochgeschrieben, existiert ein "politmediales Perpetuum mobile".
Auch bei uns fehlt es den Etablierten an Gespür "für die echten Sorgen und latenten Ängste in der Bevölkerung", wird zu wenig getan, um die Menschen im Land zu überzeugen und mitzunehmen.
Stattdessen wird das Basta, was in der Merkel Version "alternativlos" heißt, gepredigt und überdies, wie in der TTIP Debatte, der Wähler beschimpft.
Und letztlich herrscht auch bei uns zu viel Panik vor Alternativen, die dort wo sie besonders populistisch waren, bisher noch immer entzaubert wurden, wenn sie in Verantwortung gekommen sind.
Eine Analyse mit Schlagseite
Rechtspopulismus ist als politischer Kampfbegriff kein geeigneter Ansatz für eine Analyse. Die SVP ist in erster Linie eine wertkonservative, wirtschaftsliberale Partei, die vielerorts seit langem im Milieu der Gewerbler, Bauern und "kleinen Leute" verwurzelt ist. Das Naserümpfen intellektueller Milieus war ihr stets sicher.
Ihr Erfolg ist jedoch eine Folge davon, dass sich die anderen Regierungsparteien von links bis rechts sich seit den 90erjahren von Teilen ihrer Wählerbasis entfremdet haben. In der Schweiz haben alle Regierungsparteien ausser der SVP seit 25 Jahren versucht, die Integration in die EU bis hin zum Beitritt zu forcieren. Mit einer Propagandawalze von windigen Versprechen, Drohungen und Geschichtsklitterung (die absurde Behauptung des Autors, der Wohlstand der Schweiz gründe auf den "bilateralen Verträgen", ist nur ein Beispiel dafür) sind sie auf diesem Weg recht weit gekommen. Nun scheint vorläufig aber das Ende der Fahnenstange erreicht.
Dazu muss man wissen, dass die Schweizer Europapolitik weit über das Milieu der SVP hinaus auf Ablehnung stösst. Selbst die "Bilateralen I", die noch von der SVP mitgetragen wurden (auch das nicht ganz zum Schlagwort des "Populismus" passend), wurden von einem Drittel der Stimmenden abgelehnt. Jene 25% Wähler, die nicht SVP wählen, aber der "Masseneinwanderungsinitiative" zu einer Mehrheit verholfen haben, finden sich von keiner Partei vertreten. Das kann in einer Demokratie kein Dauerzustand sein.
Ermüdend....
Die notorische Geisselung angeblicher "Rechtspopulisten" ist stereotyp und ermüdend. Man ersetze "rechts" durch "links" und erwähne Abzocher-, 1:12-, Mindestlohn-, Ferieninitiative etc. und behaupte, der Linkspopulismus habe die Schweiz im Griff. Es wäre ebenso ermüdend und stereotyp. Von einer einst intelligenten Zeitung erwarte ich mehr.