Forschen, Lehren, Publizieren unter immer größerem Druck – sieben Wissenschaftler setzen sich zur Wehr. Und Elisabeth von Thadden fragt, wie es so weit kommen konnte.
Sie sind mürbe und müde und wütend und sagen: Ich kann das kaum noch verantworten – so zu forschen, so zu lehren, so zu publizieren. Für viele Wissenschaftler ist ihre Arbeit ziemlich unerträglich geworden. Aber warum?
Es ist noch nicht lange her, da wäre in den Diskussionen darüber, ob Wissenschaft verantwortbar ist, zuallererst von der ethischen Fragwürdigkeit der Forschungsthemen die Rede gewesen: von problematischen Tierversuchen, der Erschließung heikler Energiequellen, von grenzüberschreitenden Eingriffen in die Bausätze des Lebens, von Manipulationen und Blindheit für die Folgen der Forschung.
Aber die alte kantische Frage, was moralisch erlaubt ist, wird heute zumeist durch eine andere überdeckt, eher hegelianisch gefärbt, und die heißt: Wie gefährden die akademischen Institutionen das, was sie hervorbringen sollten, nämlich die Wissenschaft? Was richten sie mit ihren Forschungsförderinstrumentarien und Wettbewerbsbedingungen an? Und was machen sie mit den Wissenschaftlern?
Wissenschaft als Beruf ist in Deutschland zur erschöpfenden Mühsal geworden. Die wenigsten sagen das öffentlich, doch auf den folgenden Seiten unseres Schwerpunkts sprechen die Forscher aus, was sie umtreibt.
Was ist schiefgelaufen?
Das lässt sich leicht an der Geschichte einer 28-jährigen Soziologin erzählen, die hier Sophie heißen soll, weil sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, schließlich will sie die Türen zu den Arbeitgebern nicht zuschlagen. Dabei hat Sophie alles richtig gemacht, und das mit großem Erfolg. Spitzenabitur, Stipendien, internationale Eliteuniversitäten und Topnoten, hochaktuelle Fragestellungen, begabt für die Lehre. Und dennoch verlässt sie jetzt die Universität. Weil sie den Wahnsinn nicht mehr ertragen will.
Sie rechnet es im Gespräch einfach mal vor, weil Zahlen die Not auf den Punkt bringen: Wenn eine junge Dozentin etwa 100 Studenten betreut und mit jedem in ihrer Sprechstunde auch nur eine halbe Stunde über eine Hausarbeit oder das Studium spricht, sind das allein 50 Stunden Gespräch pro Semester. Die Dozentin müsste diese Hausarbeiten, Klausuren, Bachelor- und Masterarbeiten aber zuvor auch noch gelesen haben, macht zusätzlich circa 300 Stunden. Sie will die Seminare durch Lektüre vorbereiten, jede Sitzung, macht zusätzlich zumindest – nun, kaum zählbare Stunden. Und außerdem soll sie ununterbrochen publizieren, sich habilitieren, auf Kongressen vortragen. Bis sie gut 40 ist, der Zeitpunkt, zu dem man mit viel Glück in Deutschland endlich Professor ist. Fast zu spät für Kinder.
Schwer erträglich, sagt Sophie, werde diese Arbeitslast vollends dadurch, dass die Wissenschaft ihr Wesen verliere: ihre Schönheit; ihre Substanz; ihre Bedeutung für die Gesellschaft, die schließlich das Geld dafür gibt. Der Wettbewerbsdruck ruiniert die Gemeinschaftlichkeit. Das Geldeinwerben ruiniert die Unbestechlichkeit. Und die existenziellen Sorgen eines fortwährenden Prekariats, weil nun mal fast keine Dauerstellen jenseits der Professuren geschaffen werden, binden allzu viele Energien, die in Forschung und Lehre dann fehlen.
Also gibt Sophie der Wissenschaft nun den Laufpass. Aber wie ist es dazu gekommen, dass eine glänzende Nachwuchswissenschaftlerin wie sie der Universität den Rücken kehrt?
Als Märchen beginnt die Geschichte, als zähflüssiger Roman geht sie weiter, als Farce endet sie: Es war einmal eine weltberühmte Institution, an der die Besten in aller Welt Maß nahmen, das war die deutsche Universität. Eine ihrer größten Stärken war die Freiheit. Dann verödete sie seit den siebziger Jahren durch ihre langlebige Lebenslüge, für Millionen Studierende in einer globalen Wissenschaftslandschaft unverändert funktionieren zu können. Also wurde sie um das Jahr 2000 gründlich reformiert.
Doch leider ging dabei manches schief, als hätten die List und Ironie der Geschichte selbst Hand angelegt. Die Universität sollte mit internationalen Standards gleichziehen, verstrickte sichast h aber in den Fangnetzen der deutschen provinziellen Mentalität. Nun droht sie in einer bizarren Mischung der deutschen und angelsächsischen Schwächen, in bürokratischer Kontrolle, ökonomischer Effizienz und falschem Leistungsdenken erneut zu erstarren. Die Stärke wurde schwächer, und die Schwächen gingen lauter unheilige Allianzen ein: Die große Freiheit hatte sich in möglichst effiziente Antragstaktik und verwaltete pädagogische Dienstleistung verwandelt.
Kommentare
Blühe im glanze
Schafft die ganzen Pseudowissenschaften, wie Gender-Studies, ab und die Wissenschaft in Deutschland wird wieder aufblühen.
Und ich hatte mich....
... noch gefragt, wann der erste dämliche Kommentar in diese Richtung kommen wird.... aber es ist Freitag und Sie bekommen einen Fisch von mir <°)((()<
Das Max Weber, den ich in erster Linie als Soziologen sehe, den Nagel ziemlich gut auf den Kopf getroffen hat, ist sogar doppelt bedauerlich, schließlich ist sein Text fast 100 Jahre alt.
Allerdings störe ich mich sehr an dem Mantra "Sinnlose Überproduktion von Doktoranden und Habilitanden" in Kombination mit der Bemerkung, dass nur 7,8% eine feste Stelle haben. Wer entscheidet wann eine Diss oder Habil sinnlos sind? Was (irgendwann mal) zielführend sein wird oder nicht? Die Autorin begeht den selben Fehler wie den, den sie kritisiert. Sie bewertet jenes Engagement mit Rationalitätsmaximen, Kosten-Nutzen-Rechnungen. Das ist aber genau das, was wissenschaftliche Forschung und Leidenschaft GERADE NICHT trägt und was auch KEINE INNOVATIONEN, egal auf welchem Feld, hervorbringen wird. Es steht auch nicht in Übereinstimmung mit dem, was Weber gesagt/geschrieben hat, denn wenn eine entsprechende Karriere aus Zufällen besteht, dann betreffen diese m.o.w. alle, selbst jene mit den besten Voraussetzungen!
Die Politik könnte mMn. hier sehr zur Entspannung beitragen, verschlimmbessert jedoch die Situation vieler. Es gibt seit Jahren nur leere Versprechungen und ich sehe auch keinen ernsthaften Willen an dieser Situation etwas zu verändern.
Eine perspektivlose Politik schafft eben auch keine Perspektiven... für niemanden.
Die angepassten Sophies, die „alles richtig gemacht haben“
„Dabei hat Sophie alles richtig gemacht, und das mit großem Erfolg. Spitzenabitur, Stipendien, internationale Eliteuniversitäten und Topnoten, hochaktuelle Fragestellungen, begabt für die Lehre.“
Genau hier liegt meines Erachtens der Hund begraben: an diesem riesigen Heer oben geschilderten Sophies, die ja sch so „alles richtig gemacht haben“ und brav und angepasst jahrelang alles tun, für eine "glatte „Karriere“ – und so die willenlosen Wasserträger jeder Form von Falschentwicklung und Korruption sind.
What?
> und so die willenlosen Wasserträger jeder Form von Falschentwicklung und Korruption sind.
Sie haben schon verstanden, dass die beschriebene Sophie eben gerade keine Wasserträgerin ist, sondern aus dem System aussteigt?
Lesen müsste man können.
Um das Jahr 2000
Warum erwähnen Sie nicht, wer damals Kanzler war und wer die verantwortliche Ministerin?
Was wir jetzt sehen ist das Ergebnis sozialdemokratischer Politik in Reinform. Die Befristungen waren von der Regierung Schröder so gewollt. Das lief unter dem Banner "verkrustete Strukturen aufbrechen", "Nachwuchswissenschaftler befreien", "Leistungsanreize schaffen". Man kann das alles nachlesen.
Man wollte die alten (und als konservativ verschrienen) Ordinarien entmachten, dabei auch noch die Haushalte entlasten (es waren die Jahre, in denen D das Defizitkriterium überschritt) und hat das Monster geschaffen.
romantisch durchsetzt und falsch gewickelt
Wenn Frau von Thadden glaubt, Universitäten seien einst ein Hord der Gelehrsamkeit und Glückseligkeit gewesen, dann sitzt sie einem Irrtum auf.
Die alma mater, die nährende Mutter, war schon immer ein Brandherd der Gesellschaft, in dem sich Missstände zuerst ankündigten, Anarchie und Autonomiedenken fröhliche Urständ feierte. Oder sie war ein Refugium für die Elite und Entrückten, die gerne unter sich zu bleiben beliebten.
Dass sie diesen Ansprüchen nicht mehr genügt und genügen darf, liegt daran, dass sie wie alle Institutionen der Gesellschaft auf den Prüfstand kommt.
Da mag es nicht wundern, wenn die Herren Professoren sich in ihrer Behaglichkeit gestört fühlen und den universitären Betrieb durch Dienst nach Vorschrift sabotieren.
Überdies scheint sich in der Bevölkerung der Irrglaube breit gemacht zu haben, nur ein Studium brächte ihre Zöglinge im globalen Wettstreit in Position. Eine fatale Einschätzung, auf die der Staat mangels finanzieller Mittel durch Beibehaltung des status quo ante reagiert, und damit höchst subtil die Zahl der Studenten gering zu halten versucht.
Eine fatale Methode, die den eigenlich Geeigneten zum Verhängnis wird und stattdessen ein Heer an Angepassten, Richtigtuern und Ja-sagern an vorderste Front spült.