Journalisten, politische zumal, haben in diesen Tagen keine gute Presse. Sie gelten als korrupt und skandalversessen. Merkwürdig gleichförmig, heißt es, sei ihr Urteil, ganz so, als gäbe es geheime Absprachen und Kodizes, die eine einheitliche Front der politischen Berichterstattung prägen. In die laufende Debatte, die mal von dumpfer Medienverdrossenheit, dann wieder von berechtigter Medienkritik geprägt ist, hat sich der Dortmunder Politikwissenschaftler Thomas Meyer mit einem eigenen Buch zugeschaltet. Die Unbelangbaren kommt als Analyse daher, zeigt aber in der Summe, wie man auf immerhin aufschlussreiche Weise entschieden danebenliegen kann. Worum geht es? Meyer beschreibt die Attacken auf den einstigen Bundespräsidenten Christian Wulff. Er erregt sich über die mitunter ins Lächerliche abgleitende journalistische Auseinandersetzung mit Peer Steinbrück im Wahlkampf 2013 und greift Einzelinterviews heraus, die ihm als Beispiel eines anmaßenden Eskalationsjournalismus dienen. Es habe sich eine Kaste von politischen Alpha-Journalisten gebildet, die bei Spiegel, ZEIT und anderen Blättern oder beim ZDF arbeiten, mit dem Wunsch, selbst Politik zu machen, freilich ohne Mandat. Diese "Unbelangbaren" und "Co-Politiker" würden versuchen, steuernd in Wahlen einzugreifen, und in letzter Instanz als "Gatekeeper" an der Pforte zur Öffentlichkeit darüber bestimmen, was überhaupt Thema sein darf und was nicht. So weit die These, so weit der Verdacht. Meyer versucht ihn, kurios genug, vor allem durch die selbstkritischen Essays sogenannter Alpha-Journalisten zu belegen, die er zitiert. Hinzu kommt eine Fehlinterpretation von Niklas Luhmanns Analyse der Massenmedien, die grimmig zur Manipulationstheorie mit Wahrheitsanspruch umgedeutet wird.
Zeitdiagnostisch aufschlussreich ist dieses Buch aber dann doch, als Paradebeispiel für das gegenwärtig populäre Genre der journalismuskritischen Abrechnungsliteratur. Hier wird, wie auch in anderen Büchern, Macht strikt vordigital gedacht, als isoliert, personalisiert, orientiert an einem klar identifizierbaren Monopol. Es sind, so heißt es, stets ein paar einflussreiche Einzelne, die der breiten Herde die Richtung vorgeben. Und natürlich muss man zugeben: Es gibt Kampagnen, Grenzüberschreitungen, individuelle Verfehlungen. Aber die eigentümliche, systemisch bedingte Grausamkeit der Mediengesellschaft offenbart sich heute in einem plötzlich aufschäumenden, hochnervösen Wirkungsnetz, einem Exzess der Erregung, der sich erst aus dem Zusammenspiel alter und neuer Medien ergibt. Sie zeigt sich in einem Geschwindigkeitsrausch, der alle in Getriebene verwandelt, auch die gescholtenen Journalisten. Und sie wird in der Allgegenwart von Kameraaugen und Handyvideos offenbar, die jede Fehlleistung unerbittlich dokumentieren. Eine Medienkritik auf der Höhe der digitalen Zeit müsste in Rechnung stellen, dass die angeblich so mächtigen Gatekeeper, selbst wenn sie denn wollten, das Feld längst nicht mehr alleine regieren. Das Lamento über böse Großjournalisten wirkt im Angesicht diffus-unkontrollierbarer Netzwerkeffekte daher fast romantisch, wie eine einfache Gut-böse-Erzählung aus einer längst vergangenen Zeit.
Kommentare
"Journalisten, politische zumal, haben in diesen Tagen keine gute Presse. "
Nicht nur in diesen Tagen. Der deutsche Belehrungsjournalismus ist seit einigen Jahren unerträglich geworden. Es gibt keine opositionnelle Presse, es gibt keine Kritik an Regierenden, die überwiegend grün gefärbten Journalisten himmeln die berliner Geisterfahrer kritiklos an, ... .
Sie stützen Schwarz-Rot, weil sie grün sind?
Es ist in der Tat so, dass Netzwerke unkontrollierbar sind - allerdings erst nachdem sie sich auf ein Ziel eingeschossen haben. Und das Zielen an sich, das wird ja nicht von einer Gruppe gemacht, sondern von Einzelpersonen, die die Netzwerke dann zumeist auf emotionaler Ebene für ihre jeweiligen Ziele für sich aktivieren. Und das ist quer durchs gesamte politische Spektrum der Fall, wie man an der Hetze gegen Flüchtlinge von rechter Seite oder aber der Möchtegernjakobiner von linker Seite, die grundsätzlich alles mit dem Titel "rechts" bezeichnen, was auch nur im Ansatz ihrer Meinung widerspricht.
Die dominanten Gefühle auf dem rechten Spektrum sind Angst und Hass, auf dem linken Spektrum blinde Sympathie und unbedingte Hilfsbereitschaft - und beide verhindern eine rationale, vernunftbasierte Auseinandersetzung mit jedweder Thematik und verhindern so die Lösung von Problemen.
Gefühl ohne Vernunft ist blind, Vernunft ohne Gefühl ist tödlich.
*schulterzuck*
Solange man sich nicht darüber imKlaren ist, was die Aufgabe des Journalisten ist, ist sowieso jede Erörterung müssig.
Allerdings gibt es ein deutliches Indeiz,
„Das hab’ ich in meinen fünf Jahren bei der BBC in London gelernt: Distanz halten, sich nicht gemein machen mit einer Sache, auch nicht mit einer guten, nicht in öffentliche Betroffenheit versinken, im Umgang mit Katastrophen cool bleiben, ohne kalt zu sein. Nur so schaffst du es, daß die Zuschauer dir vertrauen, dich zu einem Familienmitglied machen, dich jeden Abend einschalten und dir zuhören.“
– Hanns Joachim Friedrichs: Interview mit dem Spiegel
Ein Journalist kann nicht gut sein, der "Wir" ("uns" usw.;) verwendet.
Sondern eher Heizer für die Empörungskultur dieser Zeit.
Das Zitat von Herrn Friedrich beschreibt es wirklich sehr gut. Nun kenne ich ja das Buch von Herrn Meyer nicht, weshalb ich dessen Qualitäten auch nicht gut durch das Lesen von Sekundärliteratur beurteilen kann, aber ein wenig scheint es allerdings schon so, daß eben auch Herr Meyer einen Markt bedient, der sich in jüngerer Zeit aufgetan hat.
Das Phänomen ist vielleicht nicht so durchgängig wie er beschreibt, aber andererseits sind schon etliche Hinweise dafür vorhanden, daß Journalismus inzwischen eher einer Agenda dienen möchte als der Berichterstattung.
Seit ich hier kommentiere, beklage ich die mangelnde Trennung zwischen Kommentar und Bericht oder die teilweise wirklich nervtötende Verwendung stereotyper charakterisierender Adjektive und Faktenerzeugung durch Wiederholung.
"Glühende" Anhänger "erblühender" Demokratien oder die Herleitung gedachter Motive, auch wenn diese plausibel erscheinen, sowas ist im Kommentar völlig in Ordnung, hat aber in einem Bericht absolut nichts verloren und es erweckt eben beim aufmerksamen Leser den Verdacht der Indoktrination, der brutaleren Schwester des Beitrags zur Meinungsbildung.
"... dann wieder von berechtigter Medienkritik geprägt ist, ..."
genau das ist die attitüde, die mehr und mehr sauer aufstößt, die dazu führt, daß der leser sich belehrt fühlt, daß der leser sich oft mit grauen abwendet.
Sie meinen, die deutungshoheit zu besitzen. Sie wissen, welche kritik berechtigt ist und welche nicht und verbalisieren das dann in einem gnadenakt. das fühlt sich an, wie das politbüro der sed: "ja, genossen, es sind auch fehler gemacht worden, aber ..."
nein - ohne das liberale forum bei zon wäre ich längst weg. es ist ärgerlich, bereits beim lesen der halben überschrift zu wissen, wohin der zug fahren soll. wieder und wieder und wieder.