Ahmed Jama hebt zwei große Kartons mit Schwertfisch und Oktopus aus dem Kofferraum eines weißen Toyota. Es ist ein sonniger Dezembermorgen und schon früh sehr heiß, wie so oft. Ein russischer Mi-8-Hubschrauber fliegt tief und träge über die Greenzone, die Sicherheitszone von Mogadischu. Jama trägt die Fische in ein unscheinbares weißes Haus, eine Filiale der wahrscheinlich am meisten gefährdeten Restaurantkette der Welt. Später wird Jama daraus Linguine kochen, mit Calamari und Schwertfischsteaks an Risotto. Die somalische Küche ist noch immer beeinflusst von den ehemaligen italienischen Kolonialherren. Jamas Restaurant liegt am Rand des internationalen Flughafens, mitten auf einer Militärbasis der Afrikanischen Union, dem Hauptquartier für 18.000 Soldaten aus Kenia, Äthiopien, Uganda und Burundi. Vor der Tür parken Cougars, gepanzerte Militärfahrzeuge. Die Soldaten versuchen, den Bürgerkrieg im Land mit Waffen zu beenden. Ahmed Jama versucht es mit dem Kochlöffel.
Jahrelang galt Mogadischu als gefährlichster Ort der Welt. Langsam erholt sich die Stadt, baut sich aus Ruinen wieder auf, versucht, wieder normal zu sein. Dass Mogadischu heute die am zweitschnellsten wachsende Stadt der Welt ist, liegt auch an Ahmed Jama. Er kam aus dem Ausland zurück, um mit seinen Restaurants Inseln der Normalität zu schaffen. "Wo man essen gehen kann, kann nicht mehr alles schlecht sein", sagt er.
Jama inspiziert die Meeresfrüchte in den groben Jutesäcken, er nickt müde, aber zufrieden und schultert die tropfenden Hummer. Seine Linguine mit Hummer an Knoblauch-Basilikum-Soße sind eine Legende in Mogadischu. Nur selbst kaufen kann er den Hummer nicht. Der Fischmarkt liegt am alten Hafen, zwischen Ruinen, die wie faulige, schwarze Zähne von Kugeln zersiebt, die Straßen säumen. Der Weg dorthin ist noch immer zu gefährlich.
Gerade haben die wenigen Botschaften, die es im Land gibt, die Gefahrenwarnstufe in der Stadt angehoben. Jama weiß davon nichts, aber er hat ein Gespür entwickelt, ist lange genug hier. Wenn er durch die Stadt fährt, nimmt er nie zweimal nacheinander die gleiche Strecke. "Aber Rom, so sagen sie, wurde auch nicht an einem Tag erbaut. Auch da hat jemand angefangen", sagt er.
Er trägt den Fisch zur offenen Küche am Nordende des sonnigen Hofs, auf dem vier Tische unter Sonnenschirmen stehen. An den Tischen sitzen drei Parlamentssekretäre, Berater von Ministern, eine Frau, die einen Pizzalieferservice betreibt, sowie ein paar Soldaten. In großen, rußigen Eisentöpfen köchelt Brühe vor sich hin, unter einem Sonnenschirm sitzen zwei Offiziere mit dem Wappen Burundis auf dem Ärmel. Jama geht schnellen Schrittes durch den Laden, das Mittagsgeschäft rückt näher, hier und in seinen zwei anderen Filialen.
Seit 25 Jahren herrscht Bürgerkrieg in Somalia. 1991 stürzten Rebellen den Diktator Siad Barre. Seitdem gibt es keine funktionierende Regierung mehr, die das Land kontrollieren könnte. Die großen Clans kämpften gegeneinander und verwandelten Mogadischu in eine Ruinenstadt. Mehr als zweieinhalb Millionen Somalier wurden aus ihren Häusern vertrieben, eine Million floh ins Ausland, eine weitere Million, die meisten davon Zivilisten, kam um.
Schon lange ist der Staat zersplittert. Im Norden haben sich Somaliland und die ehemalige Piratenhochburg Puntland abgespalten. Seit dem 1. August 2012 sollen diese autonomen Teilstaaten nun Mitglieder der neuen Bundesrepublik Somalia sein – zumindest auf dem Papier. Doch außer in Somaliland flammen überall im Land immer wieder Gefechte auf. Der Süden wird zu großen Teilen von Al-Shabaab kontrolliert, einer mit Al-Kaida verbündeten Terrororganisation, die zusammen mit der kenianischen Armee den Kohle- und Zuckerschmuggel kontrolliert.
Während Jama an diesem Morgen seinen Fisch begutachtet und die Kamelbrühe abschmeckt, tagen Gesandte aus allen Teilen des Landes in Mogadischu, um über die in diesem Jahr bevorstehenden Wahlen zu sprechen. Sie wollen sich auf ein Wahlsystem einigen – auch wenn bis heute ungewiss ist, ob die Wahl überhaupt stattfinden wird. Der Präsident sprach sich unlängst für eine Verlängerung seines Mandats aus, die Gesandten Somalilands, der stabilsten und friedlichsten Region des Landes, wollen gar nicht zu Somalia gehören. Al-Shabaab sitzt gar nicht erst am Verhandlungstisch. Ahmed Jama soll für die Abschlussveranstaltung der Gesandten kochen. Wahrscheinlich wird er sein langsam gegartes Zicklein kredenzen.
Kommentare
Gut das mal wieder authentisch aus Afrika berichtet wird. Das passiert in Deutschland leider viel zu selten. Wir reden gerne über Afrika aber nicht mit Afrika und haben wenig Ahnung, was dort wirklich los ist.
"Ich und mein Clan gegen die Welt. Ich und meine Familie gegen meinen Clan. Ich und mein Bruder gegen meine Familie. Ich gegen meinen Bruder."
Wer darüber schmunzelt hat nicht verstanden welche Bedeutung ein funktionierender Rechtsstaat für die Entwicklung eines Landes hat. Davon ist Somalia noch Ewigkeiten weg. Ein wenig mehr an Sicherheit hat aber offenbar schon einiges in Bewegung gesetzt. Man muß Abwarten ob das weitergeht oder wieder zerschossen wird.
"Ich und mein Clan gegen die Welt. Ich und meine Familie gegen meinen Clan. Ich und mein Bruder gegen meine Familie. Ich gegen meinen Bruder."
Und die entwickelte Welt gegen Afrika.
Das Elend in Afrika ist ein strukturelles Problem. Afrikanische Länder sind gegenüber reichen Ausländern stets im Nachteil. Weltbank und IWF zwingen Sie, ihre Grenzen für ausländisch Ware zu öffnen und verbieten den Ländern gleichzeitig jegliche Subvention eigener Ware, wie das für (besonders landwirtschaftliche) Produkte in Europa oder den USA gang und gäbe ist.
Alleine durch das Land Grabbing riesiger Landstriche verliert Afrika jährlich doppelt so viel Produktivität ins Ausland wie es an Entwicklungshilfe von dort erhält.
Google: Afrika Land Grabbing strukturelle Armut Entwicklungshilfe
Internationale Rohstofffirmen halten mit Schützenhilfe von IWF und Weltbank die afrikanischen Ländern per legalisiertem Steuerbetrug am Boden und saugen jährliche 100 Milliarden Dollar aus Afrika ab.
https://www.oxfam.de/pres...
Somalien hat nicht wirklich eine Chance. Ebenso ist das in den meisten anderen Ländern Afrikas. Dazu kommen noch kriegsschürende ausländische Interessen wegen Öl und anderen Bodenschätzen wie im Sudan.
Dass die Afrikaner unfähig wären, ist nur die einleuchtend klingende und bequeme Nahelegung der selbstgerechten Profiteure.
"Oder ihn für einen Irren halten, so wie es seine Frau tut, die zwar mit den Kindern nachgekommen ist, aber kein Wort mehr mit ihm redet als nötig, genau wie seine Töchter."
Jugendliche, die im UK aufgewachsen sind, zu einem Leben in Somalia verdammen, ist aber auch starker Tobak.
Hammer Artikel, mmuooch respect an den VerfasserIN.
Sehr schöner bericht über einen heldenhaften mann. Kompliment.
Aber so viele universitäten? Vielleicht colleges. Na ja.
Spöttisch gesagt: ist Mogadischu nun das neue start-up, das Frau Merkel gerne herbeizaubern möchte, um die lebensbedingungen in den sog. herkunftsländern zu verbessern?
Mit KFW kredit, AK-47, schusssicherer weste, und empfehlungsschreiben aus dem deutschen wirtschaftsministerium ab ins wilde Kurdistan. Halt, die auslandskrankenversicherung zahlt aber nicht bei wohnsitz in Somalia...
Immerhin, immerhin hat die zahnlose Afrikanische Union aktiv eingegriffen. Das ist ein echter fortschritt.
Ich frage mich, wie Sie auf Frau Merkle kommen....