Am ersten Schultag beginnt der Albtraum mit einem kleinen Scherz. Ein Mitschüler dreht Daniels Namensschild um, und die Klasse lacht. Daniel lacht nicht. Am zweiten Schultag gehen die Scherze weiter, am dritten, vierten, fünften auch. Erst verschwinden nur die Schulbücher, irgendwann wird aus dem Klassenspott physische Gewalt. Daniel ist jetzt sieben Jahre alt, ein schmächtiger Junge, der sich gegen die geballte Bosheit nicht zu wehren weiß. Er wird immer verschlossener, geht nur mehr widerwillig in die Schule. Seine Mutter sucht erst das Gespräch mit der Klassenlehrerin, dann mit dem Schuldirektor. Aber dieser gibt zu verstehen, dass er sich nicht um die Probleme jedes einzelnen Kindes kümmern könne, Konflikte zwischen Schülern seien normal. Und außerdem: "Da gibt es Schlimmeres." Im folgenden Jahr werden die Schikanen für Daniel so unerträglich, dass er die Schule wechselt. Aber als "der Neue" wird der eingeschüchterte Junge, der seinen echten Namen nicht öffentlich machen will, auch in der nächsten Klasse nicht akzeptiert. Daniels Albtraum geht weiter.
Mehr als 200.000 Kindern und Jugendlichen an Österreichs Schulen geht es ähnlich: Sie werden von Mitschülern beleidigt, gedemütigt oder sogar körperlich attackiert. Jeder fünfte Bub zwischen elf und 15 Jahren ist nach einer Studie der OECD betroffen, bei den Mädchen sind es immerhin auch noch 14 Prozent. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der Kinder-Notruf "147 Rat auf Draht": Fast jeder zweite Schüler gab in einer Erhebung im vergangenen Jahr an, selbst schon mindestens einmal gemobbt worden zu sein. Unter den 9- bis 14-Jährigen sind es sogar über 70 Prozent.
Nirgendwo sonst gibt es so viele Attacken unter Schülern wie in Österreich. Laut OECD-Studie ist die Mobbingrate doppelt so hoch wie im Schnitt der 27 untersuchten Länder und sogar fünf Mal so hoch wie in Schweden. Dazu kommt: Während in Deutschland, Griechenland, Italien und selbst in Estland, nach Österreich das Land mit der zweithöchsten Mobbingquote, der Anteil der jungen Opfer im Fünfjahresvergleich gesunken ist, stieg er hier sogar noch an.
Von der Justiz können sich Schüler keine Hilfe erwarten
Besonders Kinder und Jugendliche aus ärmeren Familien werden dem OECD-Bericht zufolge häufig gequält. Während männliche Schüler mit einem niederen sozialen Status vor allem körperlich attackiert werden, äußert sich Mobbing, auch Bullying genannt, bei Mädchen und bei Schülern aus besser gestellten Familien subtiler. Hier geht es vor allem um Ausgrenzung, Bloßstellung und um die Verbreitung boshafter Gerüchte über die sozialen Netze.
"Grundsätzlich kann jeder Mobbingopfer werden", sagt der deutsche Psychotherapeut und Mobbingexperte Peter Teuschel. Die typischen Täter nennt er "die Kings und Queens der Klassen. Es sind meist intelligente, oft charismatische, in jedem Fall machtorientierte Personen, die von den anderen teils bewundert, teils gefürchtet werden. Sie nutzen Mobbing dann oft als Demonstration ihrer Macht oder zur Belustigung ihrer Gefolgschaft."
Rechtlich können jugendliche Opfer kaum etwas gegen ihre Peiniger unternehmen. Im Vorjahr hat erstmals ein Schüler gegen seine ehemalige Schule geklagt, nachdem er jahrelang systematisch gemobbt worden war. Der Vorwurf des mittlerweile 17-jährigen Vorarlbergers: Die Schule hätte zu wenig dagegen unternommen. Das Gericht solle feststellen, ob die Schule und damit die Republik als übergeordnete Instanz für die seelischen Schäden und die angefallenen Therapiestunden aufkommen müsse. Zu einem echten Präzendenzverfahren wurde der Fall allerdings nicht, das Verfahren endete mit einem außergerichtlichen Vergleich.
In Schweden, das mit gerade einmal vier Prozent die international niedrigste Mobbingrate aufweist, sind Schüler seit 2006 gegen Schikanen an der Schule gesetzlich geschützt. Die steigende Zahl der Anzeigen von gemobbten Schülern hatte die Regierung zu der Regelung veranlasst. Nun zwingt das Gesetz die Schulen, im Kampf gegen Diskriminierung und Mobbing aktiv zu werden – mit Erfolg, wie die Studie der OECD zeigt.
Kommentare
Ich war zu meiner Sekundarstufen-2-Zeit ebenfalls Mobbingopfer inklusive Suizidversuch und anschließender psychologischer Betreuung. Noch heute, mehr als ein Jahrzehnt später hallt so etwas nach und es gibt Sachen, die ich nie in den Griff bekommen habe - bei Vorträgen bin ich immer so nervös, mich zu blamieren, dass ich so stark zittere, als hätte ich Parkinson.
Ich bin froh, dass es zu meiner Zeit kein Social-Media-Gedöns gab und mir meine Schul-"Kameraden" nicht auch noch außerhalb der Schulzeit ans Leder konnten.
So sehr ich Schweden auch mit hochgezogener Augenbraue beobachte, was Migration usw. angeht, muss ich sagen, dass ich den Schritt richtig finde, dass durch Gesetze versucht einen Rahmen zu schaffen, in dem man an dem Problem arbeiten kann. Es scheint ja Erfolg zu haben. Zu meiner Zeit haben die Lehrer nur die Schultern gezuckt oder mir die Schuld in die Schuhe geschoben, wenn 7 Leute auf mich einprügelten - ich hätte ja laut Aussagen der anderen 7 provoziert oder gar angefangen.
Mein aufrichtiges Mitgefühl!
Man braucht, denke ich, einfach sehr lange um etwaige Traumata zu überwinden.
Ich mache gerade die Erfahrung, dass auf dem Land auch in Deutschland (Süden) Mobbing mehr praktiziert und geduldet wird als in der Stadt. Ich vermute, dass eher als die Lehrer-Schüler-Beziehung, die familiären Strukturen noch sehr autoritär geprägt sind.
Entfernt. Doppelposting. Die Redaktion/og
"Wehr dich halt!" Schon Kindern wird beigebracht, dass sie als Opfer die Schuld tragen. Die Täter werden belobigt. Sie seien stark, schlau, charismatisch. Auch später entsteht hier keine Einsicht Täter einer Gewalttat gewesen zu sein, wenn man sich der ach so lustigen Streiche erinnert. Besonders die witzigen schlüpfrigen. Dass dies beim Opfer tiefe Wunden hinterlassen haben könnte tut ihnen oft nichtmal leid. Soll sich halt nicht so anstellen, ist doch lange her.
Es hängt davon ab. Ich meine mich aus dem Studium zu erinnern, dass Mobbing definiert ist über einen gewissen Zeitraum, eine gewisse Intensität, und dadurch, dass es eine völlig unschuldige Person trifft. Viele Lehrer nehmen einfach an, dass es sich bei einem solchen Vorfall dann um einen Einzelfall handelt, und dass das Opfer vermutlich irgendwie provozierend dazu beigetragen hat. Was oft ja auch so ist, nicht jede Auseinandersetzung in der Schule, auch wenn sie etwas aus dem Ruder läuft, ist Mobbing. Woran es mE fehlt, ist eine ausreichende Sensibilisierung von Lehrern und pädagogischem Personal, solche Dinge im Auge zu behalten und nach einem Muster zu suchen, das auf Mobbing hinweist. Auch wenn das mit im 45-Minuten-Takt wechselnden Lehrern schwierig ist, aber die Fähigkeiten zur Unterscheidung von "kommt vor, ist normal" und "da stimmt was nicht" müssen besser werden.
Ich habe immer die Schwächere verteidigt als noch in der Schule war .Ich hasste es wenn Feiglinge Spass hatten diese Opfer zu "foltern".
Es gab kein gutes Gespräch nur eine voll auf der ....
Nun bin ich Erwachsen aber ich kann niemals vorbei gehen und nichts tun .
Ein Gespräch gibt es noch immer nicht, sofort intervenieren reicht schon.
leider sind solche Verhaltensweisen sehr sehr selten.
Die meisten halten sich in stiller Freude/Untätigkeit zurück.
Ich muss sagen als Schüler war ich da auch nicht anderst.
Heute bin ich da auf ihrem Weg eher unterwegs.