1. Trugschluss: Wer AfD-Politikern nicht die Hand gibt, stärkt die Demokratie
Dies ist eine bittere Wahrheit: Nein, die AfD verschwindet nicht, nur weil man ihren Abgeordneten auf dem Flur den Guten-Morgen-Gruß verweigert. Schlimmer noch: Sie wird sogar stärker. Die Verweigerung zwischenmenschlicher Höflichkeitsformeln ist nicht praktische Politik, sondern praktizierte Feigheit. Aus dem Thüringer Landtag – jenem Parlament, in dem die AfD schon länger besonders radikal auftritt – ist überliefert, dass viele Abgeordnete, von Linken bis CDU, betreten zu Boden gucken, wenn ihnen AfD-Kollegen begegnen. Aber von Repräsentantenverachtung ist es nicht weit zur Verachtung der Repräsentierten. Mit der AfD ist der wütende Bürger in Truppenstärke in Sachsen-Anhalts Landtag eingezogen. Nur weil der Bürger wütend ist, hat er noch lange nicht sein Recht auf Freundlichkeit verwirkt. Außerdem wollen CDU, SPD oder Linke die AfD-Wähler am liebsten zurückgewinnen. Wer würde denn morgen einen wählen, der ihm gestern auf die Schuhe gespuckt hat?
2. Trugschluss: Wenn sich nur alle Demokraten verbünden, geht es der AfD schon an den Kragen
Wer in diesen Tagen Sachsen-Anhalts AfD-Strategen zuhört, der erfährt, was aus deren Sicht der größte Gefallen ist, den die etablierten Parteien der AfD jetzt tun könnten. Nämlich: eine Art Einheitsfront gegen die AfD zu bilden.
Das Problem ist, dass die etablierten Parteien gerade wirklich drauf und dran sind, genau das zu tun. Aber wenn CDU, Linke, SPD und Grüne in Sachsen-Anhalt jetzt in allen wesentlichen Punkten versuchen, gemeinsam gegen die AfD zu opponieren, dann bekommt die AfD genau das Image, das sie gerne hätte – die einzige echte Oppositionspartei zu sein. Und mancher wütende Bürger wird sich erst recht mit einer Fraktion solidarisieren, die zwar die zweitgrößte und allerlauteste ist, aber dennoch so tut, als sei sie das Opfer.
Ganz praktisch gesagt: Vermutlich gehört zum qualvollen Prozess der Erkenntnis in diesen Zeiten, dass es nicht zwangsläufig des Teufels ist, wenn die AfD fordert, ein Schlagloch möge beseitigt werden. Denn nur weil die AfD gegen ein Schlagloch ist, ist das Schlagloch noch lange nicht super. Und nur weil die AfD für eine Abwasserleitung kämpft, ist die Abwasserleitung noch lange nicht Mist. Man darf ja nicht vergessen: Landespolitik dreht sich zu 90 Prozent um Schlaglöcher und Abwasserleitungen.
Es müssen alle zu unterscheiden lernen: zwischen den nachvollziehbaren Vorschlägen dieser Partei – und den Momenten, in denen ihre Leute Unsinn erzählen oder gar geistig brandstiftend auftreten. Nur wer diese Unterscheidung macht, ist auch glaubhaft, wenn er den Unsinn und die Bösartigkeiten der AfD kritisiert.
Katrin Budde, die Spitzenkandidatin der SPD, sagte im Wahlkampf, die Demokraten müssten sich "alle gemeinsam positionieren gegen jede Form der Zusammenarbeit mit der AfD und gegen deren Einzug in den Landtag". Sie sagte auch: "Ich setze darauf, dass wir Demokraten uns in Sachen AfD genauso einig sind, wie wir es schon gegenüber der DVU und der NPD waren." Mit ziemlicher Sicherheit haben solche Sätze der AfD mehr geholfen als geschadet.
3. Trugschluss: Wären die Nichtwähler auch diesmal zu Hause geblieben, stünde es besser um unser Land
Historisch hohe Wahlbeteiligung in Sachsen-Anhalt – und trotzdem trifft man überall Journalisten und Politiker, die das unter der Hand zum Gruseln finden, weil aus ihrer Sicht die Falschen zur Wahl gegangen sind. Im Ernst? Die Falschen? Ist jetzt schon hohe Wahlbeteiligung ein Problem, wenn sie nicht einem selbst hilft? Erstmals – und das ist fast ein kleines ostdeutsches Wunder – ist in Sachsen-Anhalt ein beachtlicher Teil derjenigen zur Wahl gegangen, die für unsere Demokratie beinahe verloren schienen. Die Frustrierten haben sich selbst ermächtigt.
Dabei hatten viele sich schon damit abgefunden, dass ein Drittel der Ostdeutschen demokratiefern, abgemeldet, verloren ist.
Die Flüchtlingskrise hat die Ostdeutschen politisiert, wie nur ganz wenige Ereignisse seit der Wiedervereinigung es vermochten. Darin liegt eine Chance.
Kommentare
"Ganz praktisch gesagt: Vermutlich gehört zum qualvollen Prozess der Erkenntnis in diesen Zeiten, dass es nicht zwangsläufig des Teufels ist, wenn die AfD fordert, ein Schlagloch möge beseitigt werden. Denn nur weil die AfD gegen ein Schlagloch ist, ist das Schlagloch noch lange nicht super. Und nur weil die AfD für eine Abwasserleitung kämpft, ist die Abwasserleitung noch lange nicht Mist. Man darf ja nicht vergessen: Landespolitik dreht sich zu 90 Prozent um Schlaglöcher und Abwasserleitungen."
Nach bisherigen Erfahrungen stellen sich solche Probleme eher selten. Dass die AfD in Landtagen sitzt, heißt noch lange nicht, dass sie sich mit Landtagspolitik befasst. Jedenfalls nicht mit so lapidaren Dingen wie Schlaglöchern und Abwasserleitungen. Sie beschränkt sich lieber aufs Provozieren, wenn sie überhaupt was tut.
http://www.sueddeutsche.d...
http://www.welt.de/politi...
Es gibt auch eine andere Art die Wahlergebnisse der AfD einzuschätzen.
15% dürfte in etwa der Teil der Bevölkerung sein, der grundsätzlich mit den allermeisten Thesen und Inhalten der AfD übereinstimmt. Grob vereinfacht.
Ich glaube nicht, dass man die AfD "entdämonisieren" kann, oder "entlarven". Denn etwa diese 15% sind entweder überzeugte Wähler, oder haben ein diffuses rechtes Weltbild. Sowohl bei den überzeugten AfD-Wählern, als auch bei denen mit einem diffusen rechten Weltbild, gibt es Konservative, aber auch Rassisten, Homophobe, Islamophobe, Völkische, neue Nazis usw. usf. Die ganze Palette rechten bis ultra rechten Denkens.
Vielleicht sollte man das so konstatieren und nicht immer denken, es gäbe einen pädagogischen Ansatz, ein Heilmittel oder etwas zu beheben, an der Einstellung dieser Leute. Ressentiments sind sehr langlebig und kaum ohne Not zu ändern.
Es würde die Diskussion vereinfachen, statt immer die "Schuld" für die AfD zu suchen. Man sollte deren Wähler eben genau dort stehen lassen wo sie sind und es ihnen nicht so leicht machen mit diesem, "wir verstehen euch ja, ihr würdet ja eigentlich..."
"Erstmals – und das ist fast ein kleines ostdeutsches Wunder – ist in Sachsen-Anhalt ein beachtlicher Teil derjenigen zur Wahl gegangen, die für unsere Demokratie beinahe verloren schienen. ... Dabei hatten viele sich schon damit abgefunden, dass ein Drittel der Ostdeutschen demokratiefern, abgemeldet, verloren ist."
Ich bin mir wirklich nicht sicher, ob AfD-Wählen das Gegenteil von demokratiefern ist.
Bei Demokratie geht es fast immer um Leute, die was anderes denken. Deshalb heisst die so und deshalb ist auch die AfD demokratisch.
Alles in allem scheint mir dieser Artikel etwas hilflos, nicht anders als ähnliche Artikel von der Konkurrenz:
http://www.sueddeutsche.d...
http://www.faz.net/aktuel...
"Denn die Sache ist: Der AfD wird von ihren Wählern vieles verziehen, was anderen Parteien nie und nimmer verziehen würde. Zum Beispiel Widersprüche selbst innerhalb eines Satzes, Konzept- und Planlosigkeiten noch und nöcher, Debattenscheue nach außen . ... Und so wird der AfD noch der größte Unsinn als Widerstand gegen das Establishment ausgelegt."
Das sehe ich auch so. Aber welchen Sinn macht da die folgende Empfehlung:
"Die AfD-Wähler beobachten ab sofort ganz genau, was im Landtag passiert. Was aus ihrer Stimme wird. Man könnte ihnen, als CDU-Abgeordneter X oder Grünen-Abgeordnete Y, einfach zeigen, was man so draufhat. Ganz lässig.
Meinen Sie wirklich, die schauen da hin? Das bezweifle ich sehr. Und schon gar nicht werden sie dabei aufgeschlossen beobachten, was die Grünen machen, und sich davon beeindrucken lassen. Vielmehr werden sie weiter schlucken, was ihnen von Petry, Höcke & Co in der "Lügenpresse" aufgetischt wird - denn, oh Wunder, AfD-Wähler glauben, was in der Lügenpresse steht. Jedenfalls das, was in ihr Erwartungsschema passt.
Ich habe Herrn Höcke in den Thüringer Landtag gewählt und ich beobachte nicht nur seine Arbeit sondern auch die der anderen Fraktionen. Höcke und seine Kollegen haben es nicht leicht. Ihm werden alle erdenklichen Steine in den Weg geräumt um später behaupten zu können die AfD tue nichts. die AfD macht dabei trotzdem einen sehr guten Eindruck. Wir werden in Thüringen von Kommunisten regiert. Nicht auszudenken was die anstellen würden wenn denen nicht eine vernünftige Opposition auf die Finger schauen würde.
Drei Artikel in drei Leitmedien darüber, was nicht funktioniert, und keiner hat eine überzeugende Idee, was denn funktionieren würde.
Denn es ist doch so, dass die AfD in Parlamenten systematisch provokativ und destruktiv agiert und ihre Anhänger ihre Wahrnehmung immunisiert haben.
Die Medien analysieren aber keiner will etwas über die wirklichen Gründe wissen, warum AfD gewählt wird. Klar, einem Angst zu unterstellen und fertig ist viel bequemer als sich selbst in Frage zu stellen. Nun Fakt ist, wir holen uns eine neue Unterschicht ins Land, alle Statistiken über den Bildungs- und Ausbildungsstand der Leute belegen das, d.h. die Leute müssen massiv finanziert werden. Arbeitsversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung, Wohnkosten sowie diverse andere Dinge werden steigen. Teile unserer Gesellschaft die ohnehin schon wenig haben werden weiter abrutschen und da habe ich die nicht mögliche Integration von Teilen der Neuankömmlinge, steigende Krininalität usw. noch gar nicht eingepreist.
http://www.zeit.de/2015/4...
http://www.focus.de/finan...