Heute wird Aaron Winborn sterben – vorerst, wenn es nach ihm geht. Es ist ein grauer Dienstagmorgen Ende März 2015. Aus Harrisburg, einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Pennsylvania, ist der Winter schon fort, aber der Frühling ist noch nicht da. Im Vorgarten der Winborns liegen letzte, schmutzverkrustete Schneereste. Das Windspiel über der Eingangstür hängt still. Das einzige Geräusch kommt von nebenan, wo ein Nachbar sein Auto saugt.
Drinnen liegt Aaron Winborn, 47 Jahre alt, in seinem Bett, der einst stattliche Körper reglos, seit Monaten gelähmt von der Nervenkrankheit ALS. Auf dem Nachtschränkchen brennen vier Kerzen. Die Jalousien sind zugezogen. Neben dem Bett stehen seine Frau Gwen, seine beiden kleinen Töchter, seine Schwägerin. Es sind ihre letzten Stunden als Familie. Auch ein Arzt ist da. Winborn hat lange gekämpft. Heute wird es zu Ende gehen. So hat er es arrangiert. Was nicht heißt, dass er aufgegeben hat.
Draußen vor dem Haus sitzt Dennis Kowalski in seinem hellblauen Transporter und wartet. Im Kofferraum 14 Säcke Eis à 7,2 Kilogramm. Er hat sie an diesem Morgen im Supermarkt um die Ecke gekauft. Kowalski sagt: "Wenn Aaron erst mal im Eis liegt, bin ich froh."
Kowalski ist nervös. Sobald Winborn tot ist, muss er schnell sein, sehr schnell. Keine Zeit für Trauer am Totenbett. Kowalski weiß, dass der Familie das nicht gefallen wird. Es ist normal, dass Menschen um einen verstorbenen Angehörigen weinen wollen, dass sie noch mal seine Hand halten, ihn anschauen, ihm noch einmal die Stirn küssen wollen. Ihm ist unwohl bei dem Gedanken. Aber er hat Winborn versprochen, so schnell wie möglich zu sein.
Deswegen wird Kowalski gleich dabei sein, um 12.30 Uhr, wenn der Arzt Winborns Wunsch erfüllt und das Atemgerät abstellt. Der Arzt wird Winborns Puls fühlen und den Totenschein unterschreiben.
Dann wird für Kowalski ein Rennen gegen die Zeit beginnen. Aber jetzt, um kurz nach elf, sitzt er in seinem parkenden Wagen, angespannt, die Hände am Steuer, und sagt: "Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass es nicht funktioniert. Dann haben wir wenigstens einem sterbenden Mann Hoffnung gegeben."
Marcus Aurelius, Philosoph und Kaiser im alten Rom, sagte: Der Tod lächelt uns alle an. Das Einzige, was wir tun können, ist zurücklächeln.
Vielleicht geht ja auch noch mehr?
Aaron Winborn hat verfügt, dass sein kranker Körper eingefroren wird – in der Hoffnung, dass Ärzte ihn in 50, 100, 500 Jahren, wer weiß das schon, wiederbeleben und heilen können. Oder wie Kowalski sagt: to bring him back.
Dennis Kowalski stellt sich das "Zurückbringen" ein bisschen vor wie in seinem eigentlichen Job. Er arbeitet als Rettungssanitäter in Milwaukee, einer Großstadt im Mittleren Westen. Nicht wenige Menschen sterben hier bei Messerstechereien und Bandenkriegen, dazu kommen die normalen Unfälle und Herzinfarkte. Fast jede Woche reanimiert Kowalski einen Menschen. Herzmassage, 100 Mal die Minute. Beatmung alle 20 Sekunden. Der Körper ist für ihn eine Maschine. Wenn er kann, startet er sie neu. Er weiß nicht genau, wie viele Menschen er schon zurückgebracht hat. Einige waren fast eine Stunde – nein, nicht tot, aber nicht mehr am Leben. Ein Obdachloser im Schnee. Ein im Eis eingebrochenes Mädchen. Kowalski bringt ihre Herzen wieder zum Schlagen, ihre Lungen zum Atmen, dann fährt er sie ins Krankenhaus.
Im Prinzip mache er hier in Harrisburg nichts anderes, sagt er: den ersten Schritt einer Wiederbelebung.
Dennis Kowalski ist ein sympathischer Typ. Blaues Poloshirt über dem gewaltigen Bauch, schwarze Jogginghose, Turnschuhe, dichter Schnauzer. Er mag Fischen, Jagen und Bier auf der Veranda. Er war Soldat bei den Marines, arbeitete bei der Post, wurde Feuerwehrmann, dann machte er die Ausbildung zum Rettungssanitäter, seine einzige medizinische Qualifikation. Seit vier Jahren leitet Kowalski nebenher das Cryonics Institute (CI) in der Nähe von Detroit. Um nach Harrisburg zu fahren, hat er sich Urlaub genommen.
Die Kryonik ist eine alte Fantasie, verarbeitet in unzähligen Science-Fiction-Stoffen. Aber das hier ist real. Heute soll Aaron Winborn eingefroren werden: CI-Patient Nummer 132. Früher, als die Religion noch das Bild von der Welt bestimmte, glaubten nahezu alle Menschen daran, den Tod durch Gottes Hilfe zu überwinden. Heute regiert der Glaube an die Allmacht der Wissenschaft, und manche Menschen gehen so weit, dass sie der Wissenschaft zutrauen, den Tod auszuhebeln. Ihre Hoffnung ist die gleiche wie die aller Gottesfürchtigen früher und heute: Auferstehung.
Kommentare
Wenn man sich einfrieren lässt, dann hat man das Sterben eh schon hinter sich.
Wozu soll man wiederbelebt werden?
Um dann ein zweites Mal zu sterben?
Für die alten Ägypter (und einige Islamisten) ist Sterben das Allergrößte.
Vielleicht müssen wir einfach mal unsere Einstellung zum Tod überdenken.
Da gebe ich doch mein Geld lieber im Diesseits aus, als für's Jenseits.
Noch mal richtig auf den Putz hauen bevor man im Frauenkörper aufwacht.
Vielleicht kann man in Zukunft nicht alle Krankheiten heilen, aber dafür Gehirne transplantieren.
Die Menschheit hat schon immer gemogelt und sich mit nix abgefunden.
Selbst mit dem Unausweichlichen wie dem Tod, können wir uns nicht abfinden.
Der biologische Tod ist Unauswechlich! selbst wenn man das gehrin in einen jüngeren Körper transplantieren könnte, bleiben die alten Hirnzellen die gleichen und deren Telomere sind irgendwann aufgebraucht - d.h. aus einem 90 Jährigen wird so kein 19 Jähriger sondern ein Mensch in scheinbar Jungen Körper, der anfangen wird zunehmend geistig abzubauen und dennoch zu sterben...
...mit der fortschreitenden Medizin werden wir in Zukunft sicher mehr hundertjährige haben, aber dennoch so gut wie keine 150 Jährigen.
Auch die Idee Bewusstseinsbildende zu digitalisieren, würde (so es möglich wird) vermutlich nur zu einem besonders beeindruckenden Tagebuch führen, die Neuronenverknüpfungen und Plastizität des Ausgangsgehirns nachzustellen, wird hingegen schwieriger.
All das heutige Scifi ist im Grunde als ein Next-Gen Herzschrittmacher - damit verhindert man nicht den Tod ansich sondern nur die ein oder andere Form des Sterbens - solange man aber Telomere nicht verlängern kann, ist der biologische Tod unausweichlich und selbst wenn man aus Stammzellen ein genetisch identisches Gehirn Klonen könnte, wäre es dass einer anderen Person - das alte Bewusstsein würde genauso wenig hineinpassen, wie unser Körper in unsere alten Kindersachen passt...
Ich denke also, dass Unsterblichkeit noch lange Fiktion bleiben wird; aber es wird uns zunehmend möglich sein erst im hohen alter zu sterben.
Das Einfrieren sollte nich belächelt werden, sondern als einmalige Gelegenheit für die Forschung in weiterer Zukunft, die dann auf diese Organismen zurückgreifen können wird. Wenn wir heute derart konservierte Körper von vor vierhundert Jahren hätten, wäre das der Forschung heute sicher recht. Die Unsterblichkeit des Menschen ist keine Utopie. Denkt man den wissenschaftlichen Fortschritt der letzten 150 Jahre nochmal in die Zukunft, dürfte das Geheimnis des Alterns bald entschlüsselt sein und Menschen eine open-end Lebenserwartung haben.
Nun ja, ob sich diese Körper als Forschungsobjekt einfrieren lassen sei mal dahin gestellt.
Auch ob ein eine höhere Lebenserwartung systembedingt erwünscht ist, ist mehr als fraglich. Insbesondere wenn man den Durst des Systems nach zwar äußerst unerfahrenen aber dafür extrem willigen jungen Leuten betrachtet. Da gehört Mensch ab 35 schon zum alten Eisen.
Das ist in einer Kriegkultur auch nicht zu erwarten auch wenn die Kriege mehrheitlich auf wirtschaftlicher Ebene ausgetragen werden. Wer braucht schon alte Soldaten, die sich weigern.
Auch ich verstehe die Skepsis nicht ganz - wir sind jetzt schon in der Lage über 3D-Druck gewisse Organe zu replizieren, zu klonen usw. Wir haben Nanoroboter, die bald durch Adern schwimmen und Schäden reparieren können. Warum dann nicht in 200 Jahren einen Toten aufwecken und wieder in Stand setzen?
Im Fall im Artikel sehe ich leider ein Problem:
"Er sagt: "Das wird eine der besten Kryopräservationen der Geschichte." Die Bedingungen sind nahezu ideal, weil er sofort nach dem Tod mit der Kühlung angefangen hat."
Winborn hat ALS im Endstadium, hat extrem viel Muskelmasse verloren kann nicht einmal mehr seine Augenlider steuern. Ihn nach dem Auftauen wieder auf Vordermann zu bringen, könnte selbst in 200 Jahren schwer sein. Man muss ja nicht nur die ALS heilen, sondern auch die bereits angerichteten Schäden reparieren.
ALS wird kaum das Problem sein. Das Einfrieren (in Wirklichkeit Vitrifizierung) verursacht weitaus mehr Schäden als ALS. Eine Technologie, die Menschen aus diesem Stadium zurückholen will, muss gewaltige Zellschäden reparieren können. Für so eine Technologie wäre ALS sehr wahrscheinlich ein Klacks.
" Heute wissen wir es besser."
Was die Wiederbelebungsmaßnahmen bei einem Herzstillstand anbelangen: Ja!
"Wir glauben, dass die Persönlichkeit überdauert, wenn es uns gelingt, das Gehirn zu konservieren. "
Glauben die Toten wirklich, man kann ihr Gehirn mal eben ein paar Jahrzehnte ausschalten, dann kommt Dr. Wunder vorbei und holt sie mit moderner Medzin zurück in die Zukunft? Meine Vermutung geht doch eher dahin: Zieht man den Stecker, fängt das Gehirn an sein Gedächnisfähigkeiten auf Null zu fahren. Das gespeicherte Wissen geht verloren, so wie ein Computer bei Verlust sämtlicher Energie für seine Speicheraufgabe. Da wird sicherlich außer Matschgewebe nicht viel Denkpotential vorhanden sein, wenn Dr. Wunder den Jesus mimt. :)
In Zeit des Umweltschutzes würde es mich wirklich interessieren, was für einen Energieaufwand diese Toten jährlich mit ihrer Einfrieraktion verschlingen.
Also meine Festplatten und USB-Sticks verlieren ihre Daten nicht, wenn sie keine Energie mehr haben. Im Gegenteil die liegen bei mir ganz ungekühlt im Schrank - und oh Wunder - nach Jahren kann ich die Speicher immer noch auslesen.
Weil unter unserem Schädeldach ja auch eine Festplatte verbaut ist, gelle?
“Also meine Festplatten und USB-Sticks verlieren ihre Daten nicht, wenn sie keine Energie mehr haben.“
Ist zwar ein wenig off topic, aber allzu sicher sollten Sie sich da nicht sein. Ich denke, für mehr als 30 Jahre legt da niemand seine Hand ins Feuer.
Ernüchterung wird eintreten, wenn Sie diesen Link aufrufen und unten unter "Lebensdauer einiger Datenträger bei 20 °C und 50 %" nachschauen:
https://de.wikipedia.org/wik…
Wenn Sie Daten länger aufbewahren wollen, ist der gute alte Meisel in Verbindung mit einer Steinplatte immer noch die beste Wahl, ganz sicher aber keine Festplatte oder ein USB-Stick. :)