The Lobster des griechischen Regisseurs Yorgos Lanthimos ist wohl einer der surrealsten, düstersten, aber auch ehrlichsten Filme über die Liebe der letzten Jahre. Es wäre kaum überraschend, wenn in diesem Film plötzlich Eva Illouz hinter einem Busch hervorspränge und "Ich hab’s ja gesagt!" rufen und mit ihrem knallpinken Bestseller Warum Liebe weh tut wedeln würde. Munitioniert mit Zitaten der israelischen Soziologin und Expertin für die Misere des Liebeslebens der späten Moderne, ließe sich ein Schutzschild aufbauen gegenüber dem Grauen des Singlelebens, das The Lobster großartig persifliert. Aber wir wollen keinen Abstand, wir wollen mitten hinein in den Schrecken.
Der Bierbauchträger David, dessen trauriger Schnurrbart nur unschwer verbirgt, dass es sich bei dieser genialen Castingentscheidung um das raubeinige Sexsymbol Colin Farrell handelt, checkt in ein Hotel ein. In diesem Hotel werden ihm 45 Tage Zeit gegeben, sich zu verlieben. Falls er nach Ablauf der Frist noch allein ist, wird er in ein Tier seiner Wahl verwandelt, bei ihm wäre das dann der titelgebende Hummer. Eine ausgezeichnete Entscheidung, lässt ihn die Hoteldirektorin wissen, die meisten Menschen wählten ein Haustier, weswegen es so viele Hunde auf der Welt gäbe. Jedenfalls habe man natürlich als Tier immer noch Chancen, einen Partner zu finden – nur müsse es eben dieselbe Spezies sein. "Ein Wolf und ein Pinguin können nie zusammenleben, auch kein Kamel und ein Nilpferd", erklärt sie. "Das wäre absurd!" Klingt alles wie ein sarkastischer Scherz der Drehbuchautoren, und tatsächlich ist dieser Film so absurd, dass man fast damit rechnet, dass sich alles Personal gleich in Nashörner verwandelt wie in Eugène Ionescos Groteske Rhinocéros.
Der Alltag im Hotel ist durchgetaktet. Die Gäste des Hotels (die Herren) tragen dieselben schlecht sitzenden blauen Sakkos oder (die Damen) erschreckend geblümte Kreuzfahrtkleidchen. Eine Hand wird hinter dem Rücken festgebunden, um daran zu erinnern, wie schwierig es ist, das Leben allein zu bewältigen. Masturbation wird bestraft, indem die unzüchtige Hand in einen Toaster gesteckt wird. John C. Riley trifft dieses harte Los, wo er doch schon lispelt und wohl nie eine Freundin finden wird. Auf einer Bühne müssen die Gäste eine sie definierende Schwäche offenbaren. Ben Whishaw verrät, wie er zu seinem Humpeln gekommen ist, nämlich durch einen Wolfsangriff im Zoo, wo er seine Mutter besuchen wollte, die nach ihrer Scheidung in eben diesem Hotel eingecheckt hatte, erfolglos, und danach in einen Wolf verwandelt wurde.
Die Singles führen auf gestelzten Tanzbällen hölzerne Gespräche. Stockende Konversation, nachdem man ein Alleinstellungsmerkmal in die Öffentlichkeit posaunt hat, das erinnert an die Schrecken des Onlinedatings, die hier allerdings nicht in Pixeln wie bei Tinder inszeniert sind, sondern als Metapher mit echten Menschen. Als der Ablauf der Frist naht, gehen einige Gäste dazu über, Gefühle vorzuspielen oder Gemeinsamkeiten vorzutäuschen, auch das erinnert an Tinder.
Liebesgroteske zu krass?
All dies mag noch als die Komödie durchgehen, als die The Lobster vermarktet wird, auch wenn das Lachen eher gequält kommt. Als dann Selbsttötungen, Mord und Gewalt in die Geschichte einziehen, wird klar, wie viel konsequenter der Film ist, als es das Marketingmaterial vermuten lässt. Unverständlich die Entscheidung des Verleihs, The Lobster in Deutschland nicht in Kinos spielen zu lassen, sondern nur auf DVD zu verramschen. Traut man dem Publikum eine so krasse Liebesgroteske nicht zu? The Lobster entfaltet jedenfalls erst auf der großen Leinwand die ganze deprimierende barocke Pracht des Banalen. In Zeitlupe taumeln die uniform gekleideten Singles auf der Jagd durch einen Wald, brutalistisch erheben sich die öden Büroneubauten einer Retortenstadt, im Hintergrund flattert ein einsamer Flamingo durchs Bild.
David flüchtet aus dem Hotel und schließt sich einer Gruppe militanter Singles an, die im Wald wohnen, wo sie von einer Lea Seydoux angeführt werden, die grausame Strafen fürs Verlieben vollstreckt. Den roten Kuss etwa, bei dem die Lippen mit einer Rasierklinge zerschnitten werden. Der Singlekult dieser "Loners" genannten Außenseiter ist ebenso radikal wie die Gesellschaft, in der die Polizei von Menschen, die allein einkaufen, eine Ehebescheinigung sehen will und damit droht, sie bei Nichtverfügbarkeit ins Hotel zu verfrachten. Die Polarisierung zwischen Gebundensein und Singledasein entspricht natürlich der heute verbreiteten Auffassung, dass man sich nur noch im Verhältnis zu seinem Beziehungsstatus definieren könne. Verpartnert oder militanter Single – auf dieses Gegensatzpaar ist die angeblich doch so multioptionale Zeit zusammengeschrumpft, zur Wahl stehen Monogamie und Ehe, zu der neuerdings sogar die Homosexuellen in die Vorstadt dürfen – oder die Leere von Datingapps und One-Night-Stands.
Ausgerechnet im Wald begegnet David einer kurzsichtigen Schönheit, gespielt von Rachel Weisz. Die aufkeimenden Gefühle mögen Hoffnung wecken, doch Hoffnung ist hier fehl am Platz. Genau das scheint das Konzept zu sein, das eine neue Generation von griechischen Filmemachern, zu denen auch Yorgos Lanthimos gehört, teilt. Mitten aus der griechischen Krise produzieren sie Filme, in denen sich eine Albtraumhaftigkeit des Alltags offenbart. Mal geht es um Familie (Kynodentos, ebenfalls von Lanthimos) mal um Männlichkeit (Chevalier von Athina Rachel Tsangaris), immer muss man nicht trotz der Groteske lachen, sondern wegen ihr.
Kommentare
Absolut brillianter Film!
Ja, finde ich auch. Brilliant, aber auch verstörend. Als ich aus dem Kino kam, war ich erstmal etwas sprachlos :-)
Der Film wurde vor einem Jahr oder was mehr bei 'ttt' oder 'aspekte' vorgestellt, weiß ich nicht mehr. Sehr interessant dachte ich mir, dafür gehste auch mal wieder ins Kino, hier in der Nähe gibt es ein schönes Programmkino, aber wie es so ist, ich habe den Film vergessen, was wohl auch daran lag, dass er nicht im Kino lief.
Gut, jetzt halt auf DVD, auch okay.
"Unverständlich die Entscheidung des Verleihs, The Lobster in Deutschland nicht in Kinos spielen zu lassen, sondern nur auf DVD zu verramschen. Traut man dem Publikum eine so krasse Liebesgroteske nicht zu?"
Ist ja leider öfters so, dass sich kein Verleiher für Filme findet, als Beispiel der Film 'Lucky Number Slevin' - ebenfalls ein großartiger Film und ebenfalls mit wirklich bekannten und sehr guten Schauspielern. Die Frage muss man dann hier wohl an Programmkinobetreiber stellen, warum sie manche Filme nicht ins Programm nehmen. Aber wahrscheinlich sind es die schnöden Kosten/Nutzen/Analysen/Prognosen/was weiß ich ...
"Traut man dem Publikum eine so krasse Liebesgroteske nicht zu?"
Ganz klares ja. Solche Filme liefen dann auch auf ARD/ZDF immer erst nach 23 Uhr. (Ist heute bestimmt immernoch so, oder?)
Für mich war das damals immer schon eine Auszeichnung für einen Film wenn man ihm nicht den 20 Uhr Publikum zumuten wollte. Dazu gehörten z.B. Zug des Lebens und Der Mondmann, die zu meinen absoluten Lieblingsfilmen gehören. Und da kann The Lobster locker mithalten. Lohnt sich wenn man sich für die etwas unkonventionellen Geschichten begeistern kann.
Recherche ist Alles: https://www.amazon.de/dp/...