Selbstgespräche sind ein überaus nützlicher Zeitvertreib. Man kann ausreden, ohne dauernd unterbrochen zu werden, hat stets einen interessierten Zuhörer und gerät nur selten in Streit, weil man seine eigene Meinung ja üblicherweise teilt. Davon abgesehen, tut man auch seinen Mitmenschen etwas Gutes, wenn man ihnen nicht jeden seiner unausgegorenen Gedanken umgehend mitteilt.
Leider ist diese Haltung gesellschaftlich kaum akzeptiert. Der Konsens verlangt Gespräche mit mehreren Teilnehmern und mindestens einem Zuhörer. Was zur Folge hat, dass dieser sich selbst mit dem größten Unsinn auseinandersetzen muss, wenn er den Vorwurf mangelnder Dialogbereitschaft vermeiden will. Hier setzt eine subtile Marketingmethode an. Weil man sich Dialogen nicht verweigern kann, gibt es auf einmal ganz viele davon.
Die Leute, die einem in der Fußgängerzone Mitgliedschaften oder Abos verkaufen wollen, heißen sogar so: Dialoger. Nicht etwa Überreder oder Aufschwatzer, obwohl das auch zuträfe. Sie möchten mit uns in Dialoge eintreten, die mit echten Gesprächen aber nur so viel gemein haben wie die Unterhaltung mit einem Chatbot oder der Plausch mit der Hotline-Frau, die zwischen der Musik so nett sagt: "Bleiben Sie dran, Ihr Anruf ist wichtig für uns." Im Briefkasten liegt dann schon die neue Dialogpost. So heißt das Spezialangebot der Deutschen Post für Werbetreibende, die "Cross- oder Upselling" betreiben, sich also exakt so lange für fremde Meinungen interessieren, bis sie etwas verkauft haben.
Die Konventionen haben sogar Speisen in Dialogbereitschaft versetzt, wie Leserin Angelika K. bemerkte. Der Dialog der trocken gereiften Havelländer Flugente mit sautierten Schwarzwurzeln, Lauch, Quitte und Schupfnudeln beispielsweise auf der Karte eines Hamburger Bio-Restaurants. Darüber könnte man lachen, wenn man sich damit nicht schon ernsthaft auseinandersetzen würde.
Kommentare
Unabhängig vom Thema „Dialog“ würde mich eine Sammlung von Speisekartenprosa ehrlich interessieren. In vielen Subgenres der Gastronomie ist ein Hang zur gewundenen Ausdrucksweise mit einer leicht pathologischen Euphemisierungstendenz nichts Neues. Der letzte Trend, den ich wahrgenommen habe, war eine Art ikonisch beschriebene Dreifaltigkeit. Das Biorestaurantgericht hätte nach der Diktion „Ente-Schwarzwurzel-Schupfnudel“ geheissen. Drei Hauptkomponenten, 1-2-3.Da liesst sich manche McDonalds-Lyrik wie ein in tausend Jahren verfeinertes Feengedicht. Der Dialog von Marlboro, Twix und Nescafe ist doch längst ein uralter Hut.
Kantine 1970 bis 2005:
1. Zigeunerschnitzel mit Pommes frites
2. Rindsroulade mit Kartoffelbrei
Kantine 2016:
1.Unser hausgemachtes Schnitzel vom Rheingauer Landschwein an pikanter Tomaten-Paprikasauce und knusprigen Pommes frites.
2. Roulade vom Rhöner Weidevieh nach "Hausfrauen Art" an kräftiger Spätburgunderjus auf Kartoffel-Blumenkohlpüree und gelben Honigmöhren mit Zuckerschoten
Diese FuZo-Dialoger... Egal was für einen guten Zweck die haben wollen, bei mir kommt da nur: Nein. Wenn die das nicht akzeptieren, kommt von mir: Ich will nicht angequatscht werden. Basta.
Das geht mir auch so. Ich reagiere richtig unwirsch, wenn ich allzu hartnäckig angesprochen werde. Für mich sind es in der Tat alles nur "Aufschwatzer". Das brauche ich nicht.
Aber ich habe schon oft beobachtet, wie Mitmenschen aus diesen Gesprächen aus Höflichkeit nicht mehr herauskommen.
Heutzutage muss man wirklich aufpassen. Besonders findig sind die Anbieter, wenn es zum Beispiel um den Abschluss von Kaufverträgen geht. Klickt man auf eine SMS oder Mail kann das juristisch schon als wirksames Angebot durchgehen.
Viel anders ist es dann auch nicht auf der Straße.
Nein, kann es nicht.
Schlimm ist vor allem, dass hier zu Geldmachzwecken Prinzipien für Notfälle verwendet werden: "Sie da mit der roten Jacke".
So werden echte Notfälle nicht mehr ernst genommen. Außerdem muss man bei jedem, der einen anspricht, inzwischen davon ausgehen, dass er einem etwas verkaufen, oder einen beklauen will. Keine schöne Sache.