Im besten Fall ist die Politik ein lernendes System. Sie beobachtet die Wirklichkeit, zieht aus Fehlern Konsequenzen, passt ihr Verhalten an. Meist geschieht das in Sprüngen und Schüben, nie nach einem großen Plan und fast immer reaktiv. Aber es passiert, und es gehört zu den Vorzügen der freien Gesellschaften des Westens, dass dieses Lernen in und mit der Öffentlichkeit geschieht.
Die Vorschläge für einen Umbau der Sicherheitsarchitektur dieses Landes, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière in einem Gastbeitrag für die FAZ gerade skizziert hat, sind Teil eines solchen Lernprozesses. Sie reagieren auf offenkundige Versäumnisse im Vorfeld des Berliner Anschlags kurz vor Weihnachten, aber fast mehr noch auf die Verwerfungen in der Welt: die Massenbewegungen von Flüchtlingen und Migranten rings um Europa; die Risiken (und Chancen) der Digitalisierung; die Bedrohungen durch ein zusehends aggressiver operierendes Russland.
De Maizières Vorschläge sind weniger ad-hoc-istisch als vieles, was derzeit sonst so diskutiert wird. Sie haben, bei allen offenen Fragen, eine klare, fast schon radikale Perspektive: die massive Zentralisierung der Sicherheitspolitik beim Bund. Das reicht von der Ausweitung der Zuständigkeiten der Bundespolizei über die Einrichtung sogenannter Ausreisezentren für abgewiesene Asylbewerber unter der Regie des Bundes bis zur Abschaffung der 16 Landesämter für Verfassungsschutz – weshalb die Länder sogleich aufheulten.
Vermutlich wird keiner der Vorschläge des Innenministers genau so verwirklicht werden, aber viele der Überlegungen sind vernünftig, und de Maizière wird bei der Realisierung getragen werden von einer politischen Stimmung, die eindeutig zu mehr Sicherheit, mehr Staat neigt. Das ist nicht bloß eine Reaktion auf die Bedrohung durch den islamistischen Terror. Es ist eine Reaktion auf die Erfahrung des Kontrollverlusts staatlicher Institutionen während der Flüchtlingskrise, in den Stürmen der Digitalisierung und auch der entfesselten Finanzmärkte. Nur wenn es dem Staat gelingt, aus der Position des Gehetzten in die Rolle des regulierenden Gestalters zu kommen, kann er seine Legitimation auf Dauer bewahren.
Kommentare
Vernünftige Aussagen, sogar Vorschläge, vom Minister der Misere?! Was denn hier los?!
2017 sind Wahlen. Da darf man die Lager nicht noch weiter spalten.
Es gibt nur ein Kriterium in der Sache, gegenüber dem partikulare Interessen oder auch Argumente für Föderalität zurückstehen müssen:
Effiziente Sicherheit (bei gleichzeitiger Wahrung der Bürger-, Freiheits- und Persönlichkeitsrechte selbstverständlich)
Es liegt auf der Hand, dass mehrere Dutzende von unabhängigen Institutionen in Sachen Terrorismus umständlicher, langsamer und fehleranfälliger sind.
Alles andere sind Partikularinteressen, die man auch so benennen sollte, denn sie müssen zurücktreten gegenüber dem übergeordneten Interesse an der Prävention und Aufdeckung von Verbrechen.
Weil der BfV deutlich bessere Arbeit leistet, als die jeweiligen Landesbehörden?
Und gibt es nicht auch sinnvolle Einsätze eines LfV?
Seine Überlegungen sind durchaus valide. Beim sogenannten Verfassungsschutz allerdings sehe ich auch mit einer einzigen Bundesbehörde kein Licht mehr am Ende des Tunnels.
Gerade mit einer einzigen Bundesbehörde für "Verfassungsschutz" sähe ich sogar im Gegenteil große Bohrmaschinen zur endlosen Verlängerung diverser Tunnel.
Abgesehen davon ist ein zentralisierter Staat nicht die bessere Variante. Frankreich bspw. ist stark zentralisiert, geholfen hat es nicht. Herrn de Maizière geht es letztlich schlichtweg darum, die Gunst der Stunde zu nutzen. Sicherheitserwägungen sind da nachrangig, wenn sie überhaupt eine Rolle spielen.
"Nur wenn es dem Staat gelingt, aus der Position des Gehetzten in die Rolle des regulierenden Gestalters zu kommen, kann er seine Legitimation auf Dauer bewahren.
Merkwürdig. Als Teaser steht da "Die Zeit ruft nach Staat", der Artikel trägt aber die Überschrift "Vom Gehetzten zum Gestalter".
Ist mit "der Zeit" Die ZEIT gemeint, die nach dem regulierenden Staat ruft? Lange Zeit galt doch das Unionsmantra von "Privat vor Staat" und jetzt ruft man nach dem starken Staat, der sich doch bitte "regulierend" einbringt?
Wie ist das gemeint? Geht es nur um die Strafverfolgung von Terroristen oder darf es ein wenig mehr sein?
Ein bisschen führsorglicher Überwachungsstaat im Sinne der "guten Sache"? DeMaizieres Vorschläge sind allesamt Aktionismussimulationen im Vorfeld der Bundestagswahl. Vorwärtsverteidigung um von der eigenen Unfähigkeit im Rahmen des "Kontrollverlusts im Rahmen der Flüchtlingskrise" abzulenken.
Interessant, dass der beklagte Kontrollverlust bisher als solcher eigentlich nicht bezeichnet wurde? Woher kommt der Umschwung?
> Ist mit "der Zeit" Die ZEIT gemeint, die nach dem regulierenden Staat ruft?
Lustig, ja. Wir haben das mal geändert, damit es klarer wird.
Christian Bangel
Chrf vom Dienst