Neulich Abend, kurz vor elf, habe ich mal wieder so richtig Hass empfunden, das war beinahe schön. Das Fernsehen, ARD, zeigte ein Reportageformat, Titel der Ausstrahlung: Go West, ihr Genies! Eine Sendung über Deutsche, die im Silicon Valley leben, in diesen paar Kleinstädten bei San Francisco also, wo die ganzen Internetunternehmen und Start-up-Finanzierer sitzen, die die Welt ständig von sich reden machen, als seien da nur noch lauter Mozarts und Picassos unterwegs, und in der ARD-Sendung wurde das auch wieder in genau diesem anhimmelnden Standard-Valley-Berichterstattungs-Sound wiedergegeben, den ich nicht mehr ausstehen kann.
In der ersten Minute ist schon die Rede von den "Talenten, Erfindern und Propheten" dort und vom "Tal der Zukunft", aus dem eine Revolution auf uns zurolle, bis nach Deutschland werde diese rollende Revolution, äh, rollen; es folgt in Minute zwei der Unternehmensgründer Stefan Groschupf, der wie ein untersetzter Papagei die üblichen Valley-Soundbits brabbelt, Start-ups seien die Revolution des 21. Jahrhunderts, das Silicon Valley habe mehr Innovationspotenzial als die Nasa, weil es Raketen ins All schieße (Herr Groschupf, bei allem Enthusiasmus – Contenance! Das hat sich doch schon Wernher von Braun 1942 ausgedacht, für die Nazis!), und Groschupf selbst hat gerade eine besonders feine App gebastelt, die das Kommunikationsprozedere beim Verkaufen von Pkw automatisieren soll, na, endlich gibt es so was, für die braucht er jetzt sechs bis zehn Millionen Dollar Finanzierung; und dann kommt in Minute drei die powermäßig joggende Margit Wennmachers daher, eine Frau immerhin und damit Exotin im Silicon Valley, sie ist Partnerin bei dem mächtigen Investment-Unternehmen Andreessen Horowitz und darf Schecks über Dutzende Millionen Dollar an Start-ups ausstellen, und als diese Frau in Minute fünf endlich wieder das sagt, was ich wirklich jedes Mal hören muss, wenn ich von den Leuten aus dem Valley was über das Valley erfahren soll, nämlich wie die erfolgreichsten Unternehmer dort die Welt verändern, da ist der Hass dann richtig schön und heiß und wonnevoll da.
Dahinter steckt in der Regel nämlich auch gleich die Behauptung, man wolle die Welt sogar besser machen. Alle sollen dank Google ihre Träume verwirklichen können, wünscht sich der Unternehmensgründer Sergey Brin. Peter Thiel, der berühmteste Investor im Valley, behauptet, kaum eine Frage sei für ihn wichtiger als die nach der Gestaltung einer besseren Zukunft. Mark Zuckerberg von Facebook wünscht sich eine offenere, verbundenere Welt und will seiner Tochter eine bessere Zukunft hinterlassen. All das kann das Valley schaffen, nicht wahr? Elon Musk, der Tesla-Gründer, behauptet ja gern, die Leute dort könnten alles erreichen.
Wie kann es sein, dass niemand dem Valley und seiner Aufgeblasenheit widerspricht? Wieso ist der Diskurs dermaßen devot?
Wie zur Hölle, frage ich mich hingegen, kommt es, dass die Menschen aus dem Valley so unheimlich selbstvernarrt und siegesgewiss dermaßen riesige Behauptungen aussprechen? Ja, das Smartphone war epochal und Google gigantisch, und Facebook hat auch echt vieles verändert, aber das ist alles mindestens ein Jahrzehnt her – und seitdem? Inwiefern haben jüngere Stars des Valley, der Taxidienst Uber zum Beispiel oder das soziale Netzwerk Instagram, die Welt verbessert? Wenn ich jetzt anfangen würde, im Internet Würmer für Angler zu verticken, sodass ein paar alte Lädchen dichtmachen müssten, dürfte ich im Valley wahrscheinlich auch behaupten, ich hätte die Welt verbessert. Überall sonst würde man mich auslachen.
In Wahrheit ist es doch so: Die "Weltverbesserung" des Valley beschränkt sich zumeist auf das Auffinden und Bearbeiten banaler Probleme. Die billigste Mikrowelle, sagt mir Google, gibt es bei resterampe.de; und dem Restaurant, das ich neulich so blöd fand, dem gebe ich dank Googles toller Bewertungsfunktion jetzt mal bloß einen Stern, weil voll langsamer Service, die Schweine! Aber die Probleme, deren Lösung tatsächlich die Welt verändern würde: das Problem sozialer Ungerechtigkeit zum Beispiel oder die Erwärmung des Humboldt-Stroms, die wirklich großen Probleme also werden vom Valley nicht bearbeitet.
Wie kann es sein, dass niemand dem Valley und seiner Aufgeblasenheit widerspricht? Wieso ist der Diskurs dermaßen devot? Es folgt an dieser Stelle keine lange Ausführung zu den wirklichen Konsequenzen der weltverändernden Ideen aus dem Valley. Es wird hier nicht viel gesagt zum Beispiel über Amazon und den siechen Einzelhandel, den Taxi-Ersatz Uber und die gewerkschaftslosen Auto-Kulis der amerikanischen Gegenwart, nichts über Airbnb und die steigenden Mietspiegel der Innenstädte oder die Verbannung von Normalverdienern aus dem von Start-up-Milliarden gefluteten San Francisco, auch nichts, neuestes Phänomen, über diese krasse Prekariats-Armada aus Deliveroo-Sklaven, die auf Klapperrädern durch die Stadtzentren hecheln. Ignorieren wir auch die groteske Arroganz, mit der das Valley seinen eigenen Blick auf die Dinge überbewertet, sodass bizarre Start-up-Weisheiten wie "Wenn du denkst, es sei zu früh, sich mit etwas zu befassen, dann ist es wahrscheinlich schon zu spät" von großäugigen Fanboys und überforderten Journalisten als Erfolgsgeheimnis in die Welt getragen werden, statt dass man sie in ein Buch mit Zen-Rätseln verbannt.
Man könnte über diese Dinge allerdings sehr lange reden, und durch sie wird evident, dass das Silicon Valley ethisch betrachtet kaum hübscher ist als die Wall Street, mit deren Milliarden aus dem Derivatehandel es reich geworden ist. Wenn es nicht sogar noch unangenehmer ist, wegen seiner grell geschminkten Bubblegum-Hippie-Fassade. Und während es inzwischen ganz leicht ist, als Politiker auf die Banker einzuprügeln, wenn man mal wieder die soziale Karte spielen will, werden die Kapitalisten aus dem Valley und ihre Ideen nach wie vor hofiert.
Kommentare
Vielen Dank für diesen Artikel. Mit Utopistischem Geschwätz über die Freiheit von Information fing es an. Mit Zerstörung von qualifizierten Arbeitsplätzen zu Gunsten schlecht bezahlter ging es weiter. Kunden der Versandhändler reflektieren das ohnehin nicht. Und dem Sog dieser wunderbaren Innovationen kann man sich immer weniger entziehen, sei es aufgrund beruflicher Anforderungen oder weil früher oder später keine "unsmarten" Produkte mehr auf dem Markt sind. Willkommen in der Diktatur der Nerds.
"Vielen Dank für diesen Artikel."
Tut mir leid, aber da kann ich nicht zustimmen. Die von Alard von Kittlitz zitierten Worthülsen der Silicon-Valley-Erfinder sind nur das in den USA übliche: es wird erwartet, dass ein Start-up-Unternehmer von sich überzeugt ist, dass er auch andere, insbesondere potentielle Geldgeber, die ja für die Start-up-Gründung gebraucht werden, von seiner Idee überzeugen kann.
"Mit Utopistischem Geschwätz über die Freiheit von Information fing es an. Mit Zerstörung von qualifizierten Arbeitsplätzen zu Gunsten schlecht bezahlter ging es weiter. "
Daran ist nicht das Silicon Valley schuld, daran sind die ArbeitGEBER schuld, die schon immer jede Entschuldigung genutzt haben, um die Löhne und Gehälter zu drücken. Und wenn man Arbeiter durch Maschinen ersetzen kann, dann sind halt ein paar tausend Menschen ihren Job los. Wenn es keine Gewerkschaft für die Angestellten gibt, dann reduziert der Boss die Gehälter...
Aus dem Artikel:
"das Problem sozialer Ungerechtigkeit zum Beispiel oder die Erwärmung des Humboldt-Stroms, die wirklich großen Probleme also werden vom Valley nicht bearbeitet."
Das sind auch keine technischen Probleme, die sich mit einem Automaten lösen liessen... Sie bellen den falschen Baum an.
Solange sie gegen Trump eingestellt sind, sind aktuell sogar die akzeptabel, die sonst eher "Datenkrake" u.ä. genannt werden, selbst wenn sie zwar nur so reden und hintenrum doch wieder ganz schnell bei Trump am Tisch sitzen.
https://www.wired.de/coll...
Die Welt ist 100% sicher daβ die technische Entwicklung wider Willen und Jammern des Autors beschleunigt fortgeführt werden wird.
Germany!
Bite tech! Bite world!
Was soll dieser unqualifizierte Hass auf die fortschreitende Technisierung der Welt.
Wen es stört, dass dadurch Arbeitsplätze wegfallen, der muss denen, deren Jobs jetzt von Robotern gemacht werden, sagen, dass sie etwas anderes lernen müssen.
Wer sich über sinkende Löhne beschwert, der muss von den Gewerkschaften fordern (so es diese gibt, in den USA eher nicht), dass sie sich für höhere Löhne einsetzen sollen.
Oder man muss sich an die Politiker wenden, damit diese für höhere Löhen sorgen. Etwa über Mindestlöhne, die bei Ausübung eines Vollzeit-Jobs zu einem Gehalt führen, von dem man leben kann. Über die Abschaffung prekärer Arbeitsplätze zugunsten einer Festanstellung in Vollzeit.
Aber da in den USA selbst bei vertraglicher Festanstellung schon immer eine Entlassung von heute auf morgen möglich war, ist dies in den USA sowieso eine utopische Forderung.
Und, nein, in den USA kehren die Arbeitplätze für Ungelernte so schnell nicht wieder. Außer US-Präsident Trump aktiviert die Kohle-Minen wieder, wie er gestern in seiner Rede in Florida ankündigte. Aber da frage ich Sie: würden Sie, wenn Sie ein ungelernter Arbeitsloser wären, Ihr Leben und Ihre Gesundheit in einem wiedereröffneten Kohlebergwerk ruinieren wollen?
Oder würden Sie vielleicht doch lieber etwas Neues lernen wollen, um fitr zu sein für einen modernen Arbeitsplatz, für den man allerdings Köpfchen braucht, nicht Muskeln?
Vielen Dank für diesen Artikel der mir aus dem Herzen spricht !
Mir nicht. Denn dass der Autor auf das Silicon Valley wütend wird zeigt mir nur dass er die Marketingsprüche über Weltverbesserungen tatsächlich irgendwann mal ernst genommen hat und jetzt enttäuscht darüber ist, dass es eben tatsächlich nur Sprüche waren.Ich fand das affige, selbstverliebte Getue, gerade von Leuten wie Steve Jobs schon immer lächerlich bis größenwahnsinnig aber vor allem leicht durchschaubar.
Sobald solche Leute anfangen mir zu erklären sie hätten nur mein Bestes im Sinn, schalte ich schon auf Durchzug.
War doch von Anfang an klar dass diese Leute nur hohle Phrasen absondern um Kohle zu scheffeln. Hätte zumindest jedem klar sein sollen