Tatsächlich gibt es Zeiten, in denen die Weltläufte, wenn schon nicht große, so doch wirkmächtige Männer – jawohl: Männer! – hervorbringen. Unsere Gegenwart, die Zeit der Globalisierung, gehört zweifelsohne dazu. Wer allerdings meint, mit Donald Trump habe eine Gestalt die Bühne betreten, wie es sie nie zuvor gegeben habe, irrt. Viele Aspekte seiner Herrschaft und der Situation, in der er an die Macht gekommen ist, finden sich historisch recht genau beschrieben.
"Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnten Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muß sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen. Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarkts die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander." – Sätze aus dem Kommunistischen Manifest, das Karl Marx und Friedrich Engels im europäischen Schlüsseljahr 1848 veröffentlichten, als Revolutionen den gesamten Kontinent erschütterten.
Es war abzusehen, dass das "Jagen über den Erdball" sozialen Protest auslösen würde. 1848 ließ sich dies noch mit der Hoffnung auf einen Umsturz verbinden. Doch bald schon stellte sich Ernüchterung ein. Nur vier Jahre später, im Mai 1852, publizierte der jetzt im Londoner Exil lebende Karl Marx in einer in New York erscheinenden deutschen Zeitschrift – sie trug den Namen Die Revolution – einen Aufsatz, in dem er das Scheitern seiner Hoffnung einräumte und zugleich eine Analyse lieferte, die uns Heutigen das Phänomen Donald Trump erklären kann.
In diesem Aufsatz – Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte – erörtert Marx die jüngsten Vorgänge in Frankreich. Dort hatte sich ein präsidialer Putsch ereignet, der Putsch eines Mannes, der schon seit Jahren als politischer Abenteurer Frankreich und Europa unsicher machte: Charles Louis Napoleon, der 1808 in Paris geborene Neffe Napoleons I.
Nach der Verbannung seines Onkels hatte man 1815 die gesamte Familie Bonaparte des Landes verwiesen. Charles Louis ging in Augsburg zur Schule, die meiste Zeit lebte er im Schweizer Exil, wo er eine Artillerieschule im Kanton Thurgau absolvierte. Als junger Mann schloss er sich einer antipäpstlichen italienischen Untergrundbewegung an, um kurz darauf, 1836, erfolglos gegen die französische Regierung zu putschen. Er wurde eingesperrt, schließlich begnadigt. 1840 unternahm er einen erneuten Anlauf gegen die Republik, diesmal von England aus, und erneut kam er in Haft. Insgesamt sechs Jahre lang saß er in der Festung von Ham an der Somme ein. Und wie Adolf Hitler in Landsberg schrieb er als Festungshäftling ein programmatisches Buch. 1844 erschien es unter dem Titel L’extinction de pauperisme (Die Vertilgung des Pauperismus).
Louis Bonaparte entfaltet darin ein Programm, das die in Frankreich tobenden Klassenkämpfe zwischen der industriellen Arbeiterschaft, den Bauern sowie einer gierigen, aufstrebenden Bourgeoisie beilegen und der Nation im Ganzen Sicherheit und Wohlstand bringen sollte – um den Preis eingeschränkter Freiheitsrechte. Französische Autoren der Gegenwart wie die Philosophin Chantal Delsol oder der Historiker Jean Sagnes charakterisieren diese Schrift als ein "Manifest des despotischen Sozialismus".
Es dauerte nicht lange, bis der Putschist zum Präsidenten wurde und damit begann, seine Ideen in die Tat umzusetzen: 1846 gelang es ihm, aus der Festungshaft zu fliehen und sich nach England abzusetzen, im Revolutionsjahr 1848 kehrte er nach Frankreich zurück, im Dezember des Jahres wurde er mit überwältigender Mehrheit zum republikanischen Staatspräsidenten gewählt. Als Wahlkämpfer verhieß er soziale Gerechtigkeit, einen Wiederaufstieg Frankreichs im Spiel der Mächte und solides Regieren.
Kommentare
>>Wer (…) meint, mit Donald Trump habe eine Gestalt die Bühne betreten, wie es sie nie zuvor gegeben habt, irrt.<< Zitatende
D. Trump wird das genau umgekehrt sehen. Einen von Gott gesandten Jobmotor sucht man in der Geschichte schließlich vergebens. Originelle Idee des Autors Micha Brumlik aber, eine Farce (Napoleon III.) mit der „Farce einer Farce“ (Donald Trump) zu vergleichen. Karl Marx schrieb über den Staatsstreich des Napoleon-Neffen übrigens noch, die Verfassung der Republik sei „nicht von einem Kopfe umgeworfen worden, sondern von der Berührung mit einem bloßen Hute“ umgefallen, dem „dreieckigen Napoleonshut“. Die amerikanische Verfassung dagegen steht noch. Es ist zu hoffen, dass sie nicht von der Berührung mit einer orange-gelben Haartolle ins Wanken gerät. Noch etwas: Napoleon III. ließ sich mit „Son Altesse Impériale“ (kaiserliche Hoheit) ansprechen. Nach seinem bisherigen Verhalten würde dem neuen US-Präsidenten die Anrede His Trumpness bestimmt zusagen.
Der unstete Kaiser, den Victor Hugo im Vergleich mit dessen Onkel als „Napoleon le Petit“ veralberte, hätte sich vielleicht noch länger an der Macht gehalten, wäre er nicht von Bismarck in die Emser Depeschenfalle mit dem nachfolgenden deutsch-französischen Krieg gelockt worden. Wo bleibt ein neuer Bismarck, der die „Doppelfarce“ D. Trump in die Falle lockt? Es muss schnell gehen. Napoleon III. „kaiserte“ knapp 18 Jahre lang. Bei Trump sind schon die paar Wochen zu viel!
> Einen von Gott gesandten Jobmotor sucht man in der Geschichte schließlich vergebens.
Mit Reagan gab es vor 30 Jahren erst einen. Alles für die Wirtschaft, die Folgen kann dann der übernächste und überübernächste Präsident ausbaden.
Sehr oberflächlich. Nach Luhmann ist eine wesentliche Voraussetzung für das Vorhandensein eines Systems ist die Fähigkeit, sich selbst (wieder-)herzustellen. Wenn es sich nicht selbst macht, ist es kein System. Ein System kann man also nicht zerstören. Vielleicht will Trump das System ja verbessern?
Wer wollte bestreiten, dass man ein System zerstören kann - von aussen aber auch von innen?
Selbst wenn ein System die Fähigkeit (!) haben sollte sich selbst zu regenrieren, bedeutet dies nicht zwangsläufig auch, dass es (immer) geschieht.
Dieser Artikel ist teilweise schon recht radikal und populistisch gegen Trump, z. B. wenn er die Wahl von Trump als Staatsstreich bezeichnet und meint, das System von Checks und Balances wäre dabei gescheitert - das Wahlsystem ist schlecht, aber es ist nun mal so.
"das Wahlsystem ist schlecht, aber es ist nun mal so"
Diese Feststellung "es ist so, wie es ist" trägt der Voraussetzung für die inzwischen enorm starke Abweichung von Wahlmännern und Wahlstimmen Verzerrung, dem Staatsstreich durch das Gerrymandering keine Rechnung.
Es mag so sein, wie es ist, aber nur ohne diese inzwischen absichtliche Verzerrung (durch beide Seiten) wäre es auch "gut so".
Napoleon III hatte bereits Schlägertrupps, die brutal gegen politische Gegner vorgingen, ähnlich der SA in Deutschland 1930, man kann ihn als ersten präfaschistische Diktator bezeichnen,
Mit dem "Prä-Faschismus" ist das so eine Sache - zumal wenn man ihn nur auf die Schlägerbanden abstellt. In der Spätphase der römischen Republik wimmelt es von bewaffneten "Klientelisten" ambitionierter Politiker (Volkstribunen, Marius, Catilina, Milo, Clodius) - der erste Diktator im eigentlichen Sinne war aber wohl Sulla (Proskriptionslisten!), den wiederum Pompeius beerbte - am erfolgreichsten gewiß aber Cäsar. In der Frühneuzeit sollte man nicht die Theodiktatur des Savonarola in Florenz (1492/94) vergessen, samt seiner "fanciulli", die die Stadt terrorisierten. Und was halten Sie vom Lordprotector Oliver Cromwell in England Mitte 17. Jh.? Dem Herrschaftsstil nach war das eindeutig eine religiös fundierte Militärdiktatur, die sogar erblich sein sollte.