Wissenschaftlerinnen zeigen sich zu selten in der Öffentlichkeit – und schaden sich damit selbst. Unsere Redakteurin Anna-Lena Scholz fragt sich: Warum bloß?
Neulich, während einer Recherche. Tolle Studie entdeckt, die Verfasserin kontaktiert. Ob sie als Expertin in meinem Artikel auftreten wolle? "Ich weiß nicht, ob ich zu dem Thema etwas sagen kann." – "Ihre Studie ist wirklich überzeugend und wird eine breite Leserschaft interessieren." – "Na ja, aber ich bin ja kein Stephen Hawking."
Noch während wir telefonieren, treffen drei E-Mails bei mir ein. Hier, mein neues Buch! Hier, meine Meinung zu Ihrem letzten Artikel! Hier, mein Gastbeitrag! Drei Wissenschaftler. Alle keine Stephen Hawkings.
Dieses Erlebnis ist symptomatisch für die Wissenschaft und ihre Repräsentation in der Öffentlichkeit. Können Frauen studieren, promovieren, Professorinnen und große Geister werden? Natürlich. Zwar sind Lehrstühle, akademische Leitungsposten und Wissenschaftspreise zu einem beschämend hohen Teil in Männerhand. Doch Frauen sind aus den Hochschulen nicht mehr wegzudenken, Wissenschaft ist auch ihr Terrain.
"Die Frau, noch ganz erstaunt und geschmeichelt, zu dieser Welt des Denkens und der Kunst, die eine Männerwelt ist, überhaupt zugelassen zu sein, zeigt ein wohlanständiges Benehmen. Sie traut sich nicht, zu stören, zu forschen, aus sich herauszugehen." Simone de Beauvoir, "Das andere Geschlecht"
Man kann darüber streiten, wie präsent Wissenschaftler in der Öffentlichkeit sein sollten. Das ändert aber nichts daran, dass sich Frauen dort viel zu selten zeigen. Denn eins beherrschen sie noch nicht: die Welt – und sich selbst – davon in Kenntnis zu setzen, dass es sie gibt.
Hinter dieser These steht die Geschichte einer Enttäuschung. Sie beginnt mit einem Aufkleber, den ich mir als feministisch bewegte Studentin an den Kühlschrank klebte. "Well behaved women seldom make history" steht darauf, Frauen, die sich gut benehmen, schreiben keine Geschichte. Guter Leitsatz, fand ich und übte mich in intellektueller Widerspenstigkeit. Als Doktorandin wollte ich es genauer wissen. Ich las Türme von Büchern, die vom systematischen Ausschluss von Frauen aus unserer Wissensgeschichte berichten. Ich rollte genervt die Augen, wenn in Zeitungen und Talkshows wieder nur Männer ihre Weltentwürfe besprachen. Klare Sache: Ich würde das anders machen.
"Der große Mann erhebt sich aus der Masse und wird von den Umständen getragen: Die Masse der Frauen steht außerhalb der Geschichte, und die Umstände sind für jede von ihnen ein Hindernis und kein Sprungbrett. Um das Gesicht der Welt zu verändern, muss man zunächst einmal fest in ihr verankert sein."
Jetzt kann ich zeigen, dass es geht. Als ZEIT-Redakteurin entscheide ich mit, was in der Zeitung steht. Und wer. Emanzipation und Diversität, wir schaffen das! Dachte ich jedenfalls. Stattdessen erhalte ich Nachrichten wie diese: Bin ich wirklich die richtige Expertin? Kann ich noch mal drüber schlafen? Danke für Ihre Anfrage, aber ich möchte mich lieber nicht exponieren. Das Format behagt mir nicht. Ich schaffe das nicht.
Die Zaghaftigkeit, mit der viele Wissenschaftlerinnen vor der Schwelle zur medialen Sichtbarkeit verharren, hat mich erst überrascht und dann verstört. Sie wirkt wie eine Selbstkannibalisierung ausgerechnet jener Frauen, die schon weit gekommen sind.
"Wenn Sie das so schreiben", warnt mich eine Hochschulrektorin per E-Mail, "stoßen Sie genau diejenigen vor den Kopf, die sich bemühen, etwas zu verändern." Die Namen derer, die sich bemühen, die in Medien auftreten oder auf Twitter die Debatten mitbestimmen, die als Rektorinnen oder Kanzlerinnen Entscheidungen treffen, hüte ich wie einen Schatz. Ich sammle sie in einer Liste, "Frauen.doc". Und ich tue, was Frauen typischerweise so tun: Ich kümmere mich. Ermutige, ermuntere, erkläre, bitte. Recherchiere oft dreimal so viele Expertinnen wie Experten – und habe anschließend oft nur eine einzige Frau an Bord.
Ich mache das nicht, weil Frauen toller forschen als Männer, sondern weil Homogenität Unwuchten des Erkenntnisgewinns erzeugt. Denn Studienergebnisse sind objektiv – Fragestellungen sind es nicht. Was eine Gesellschaft für erforschungswürdig hält, was sie in Studien herausfinden und worüber sie debattieren möchte, hängt auch ab von dem Blick auf die Welt, den jemand hat. Der aber ist unterschiedlich, und "Geschlecht" ist dabei nur eine Kategorie. Auch hinter jedem Alter, jeder kulturellen, religiösen und ethnischen Herkunft, jedem Bildungshintergrund steht ein spezifisch geformtes Wissensreservoir, das eine je andere Neugier und Erkenntnis zeitigt.
Kommentare
Was hier nicht erwähnt wird: Wissenschaftlerinnen müssen sich oft nach der eigentlichen Arbeit auch noch um die alltäglichen Dinge des Haushalts, der Familie kümmern. Die männlichen Professoren müssen dies dagegen oft nicht und haben dann mehr Zeit, sich in den Medien ins rechte Licht zu setzen. Währenddessen scheut der weibliche Professor oft das Risiko, nur halb vorbereitet ein Radio-Interview zu geben und dann zum Schluß noch als Quotenfrau abqualifiziert zu werden. Und diejenigen Wissenschaftlerinnen, die sich dann doch in den Medien nach vorn drängen, werden oft von den männlichen Platzhirschen (wie auch von den schüchterneren Kolleginnen) als karrieregeile Mannweiber kritisch beäugt.
Die Wissenschaftlerinnen, die ich kenne, haben selten Kinder, um die sie sich extra kümmern müssten. Dafür ist während des harten und langen Wegs zur eigenen Professur nur wenig Zeit. Vom Gehalt eines Professors kann auch frau sich locker eine Haushaltshilfe leisten, insbesondere wenn ihr Lebenspartner ähnlich gut verdient. Zumal frau solche Interviews ja nicht täglich geben muss, wenn frau will ist das mit Sicherheit möglich - und sei es während der Arbeitszeit, die frau sich als Wissenschaftlerin ohnehin beliebig einteilen kann. Wirklich feste Arbeitszeiten gibt es in diesem Beruf nicht.
"Die Herren Professoren haben ihnen nichts geschenkt von ihrem Teil der Macht."
Dieser Satz ist genauso falsch wie die gesamte Perspektive des Artikels. Tatsächlich ist es doch so, dass die heutige Form der Gleichberechtigung nicht ohne die aktive Teilhabe von Männern möglich gewesen wäre und ist.
Tatsächlich geht aber mit der Emanzipation einher, dass Frau auch wirklich Verantwortung für sich übernimmt. Genau an diesem Ausgang der Frau aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit hapert es aber vielen Feministinnen. Daher ist es tröstend, dass die Autorin zum Schluß kommt, dass es an ihr und anderen Frauen selbst liegt, sich in der Welt der Wissenschaft durch Leistung emporzuarbeiten.
Selbstverständlich sind nicht "die" Männer "schuld".
Es reicht allerdings schon, wenn, sagen wir, zwei Drittel aller Männer in den Wissenschaften sich den idealen Wissenschaftler unhinterfragt als Mann denken und entsprechend - unbewusst in aller Regel - vorgehen.
Und selbst wenn es nur ein Viertel wäre - meiner Beobachtung nach wäre das allerdings eine sehr grobe Unterschätzung - dann wäre es immer noch ein objektives Hindernis, das sich selbstverständlich in der statistischen Wahrscheinlichkeit, Anerkennung, Zitierfähigkeit, Jobs, gute Bezahlung oder Drittmittel zu ergattern auswirkt.
"Ich mache das nicht, weil Frauen toller forschen als Männer, sondern weil Homogenität Unwuchten des Erkenntnisgewinns erzeugt."
Bin Ich zu doof das zu verstehen oder soll hier "Heterogenität" stehen?
Unwuchten sind etwas unerwünschtes und führen bei mechanischen Bauteilen zu erhöhtem Verschleiß. Hier soll das Wort Unwucht einfach eine Analogie sein, die etwas negatives steht, das oft aus ungleich verteilter Masse entsteht.
Homogenität bedeutet, dass etwas nur aus gleichartigem besteht.
Heterogenität bedeutet, das etwas aus gerschiedenartigem besteht.
Die Gleichartigkeit/Verschiedenartigkeit kann sich auf beliebige Eigenschaften beziehen.
Hier natürlich das Geschlecht.
Da Feministen reine Männergruppen(homogen) doof finden (reine Frauengruppen irgendwie nicht), ist Homogenität schon das richtige Wort.
Das ausgeprägte berufliche Selbstbewusstsein der Männer ist das Ergebnis jahrtausendalter sexueller Zuchtwahl durch die Frauen oder Sippe. Man wollte eben keinen Mann oder Schwiegersohn, der sagt: "Ich soll jagen? Ich möchte mich ungern so exponieren, ich kann eigentlich auch nicht gut Bogenschießen oder Speerwerfen".
Umgekehrt mögen Männer keine Frauen, die chronisch oder grundsätzlich deren Entscheidungs- oder Tatkraft in Zweifel ziehen. Sehr intelligente Frauen haben es auch schwer, einen Mann zu finden.
Der Feminismus sollte dringend mehr unsere biologische condition humana berücksichtigen. Wir kommen nicht als tabula rasa auf die Welt, sondern entwickeln uns tendenziell geschlechtsspezifisch, dazu gehört auch das Erlernen geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen. Dazu gehört auch, das Frauen eher keine dominante Führungsrolle, sondern eher eine vermittelnde und indirekt einflussnehmenden Rolle anstreben, während Männer typischerweise danach streben, der Beste zu sein und leader zu werden.
Es gibt Ausnahmen und eine große Variationsbreite, die geschlechtsspezifische Tendenz ist aber deutlich.
"Dazu gehört auch, das Frauen eher keine dominante Führungsrolle, sondern eher eine vermittelnde und indirekt einflussnehmenden Rolle anstreben, während Männer typischerweise danach streben, der Beste zu sein und leader zu werden."
Nein, Frauen (und Männern) wird genau eben das gesellschaftlich vorgelebt. Allerdings ist dies kein Beweis, dass es ein geschlechtsspezifischer auf Biologie basierender Fakt ist. Man will den Status Quo, der (nicht allen, aber vielen) Männern passt einfach beibehalten und hält sich an solchen biologistischen Dogmen fest.
Es ist so wie Jaylo es beschreibt (Kommentar 2.1). Im Übrigen, wenn ich mir meinen Freundeskreis anschaue, bestätigt sich ihre Behauptung keineswegs.
Frauen wird immer noch von klein auf beigebracht sich in eine bestimmte Richtung zu entwickeln, Männern auch. Ich wohne hier an einem Park wo bei schönem Wetter viele Kinder spielen. Alle Kinder sind lebhaft, zum Teil auch wild, klettern und rennen herum egal ob Mädchen oder Junge. Ich erlebe aber wie immer wieder, dass nur die Mädchen ermahnt werden nicht so wild zu toben. Bei Jungen hält man sich da zurück. Das mag banal klingen, aber das ist schon große Einflussnahme in die Entwicklungsrichtung des Kindes. Sie sieht außerdem ja auch, dass Jungs diese Ermahnung nicht (oder nicht so oft) zu hören bekommen. Es ist in erster Linie der Gesellschaft und deren Strukturen geschuldet, dass es so ist wie im Artikel beschrieben und solche Einstellungen wie die Ihre tragen dazu bei.