Lesen Sie hier das türkische Original. Der Text ist für die deutsche Version redaktionell leicht bearbeitet worden.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat beschlossen, die Türkei unter Beobachtung zu stellen. Erst 2004 hatte sie wegen ihrer demokratischen Schritte diesen Status ablegen können, jetzt ist sie das erste Land, das erneut unter Beobachtung gestellt wird.
Erdoğan erklärte, den Beschluss nicht anerkennen zu wollen, doch zu seiner Umsetzung ist die Zustimmung des Staatspräsidenten gar nicht nötig. Er muss vielmehr entscheiden, ob er die Zukunft der Türkei in Europa sieht oder nicht. Nach dem Referendum, das Beobachter des Europarats als "möglicherweise manipuliert" einstuften, zog Erdoğan erst einmal gen Osten: Er flog von Indien nach Russland und reiste von dort weiter nach China. Vor einigen Monaten bereits sprach er von der Möglichkeit, die Türkei könnte sich den "Shanghai Five" anschließen, zu denen auch Russland und China gehören.
Steckt darin eine Botschaft an Europa, von wegen "Wir haben auch andere Alternativen"? Oder hat Erdoğan tatsächlich seine Hoffnung auf Europa aufgegeben und sucht nun neue Partner, die ihn nicht nach dem unlauteren Referendum, den inhaftierten Journalisten und der Unabhängigkeit der Justiz fragen? Ich gehe davon aus, dass sowohl Ankara wie auch Brüssel bluffen.
Nach dem Beschluss des Europarats sagte Erdoğan: "Wenn sie uns noch drei, vier Jahre länger hinhalten, machen wir ein Referendum zur EU." In derselben Rede ergänzte er jedoch: "So abhängig wir von der EU sind, so abhängig ist die EU von uns." Damit meinte er nicht nur das Flüchtlingsabkommen. In der Regierungszeit der AKP stammten 92 Prozent der Direktinvestitionen aus Europa. Umgekehrt ist die Türkei der fünftgrößte Handelspartner der EU. Diese Daten weisen darauf hin, dass eine eventuelle Scheidung beiden Seiten kaum recht sein kann. Vor allem für die türkische Wirtschaft in ihrer derzeit schwierigen Lage wäre Isolation ein schwerer Schlag. Andererseits nützt der Anschein von Konfrontation beiden Seiten innenpolitisch: Erdoğan gibt angesichts des Europaratsbeschlusses den nicht gedemütigten Staatschef – und die europäischen Regierungschefs lindern den Druck des populistischen Diskurses, indem sie über den Ausschluss der Türkei spekulieren.
Allerdings ist das ein gefährliches Spiel. Denn parallel zur Erdoğan-Gegnerschaft in Europa wächst die EU-Feindlichkeit in der Türkei. Um sich 2000 beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof anhängige Klagen vom Hals zu schaffen, braucht Erdoğan nur die Todesstrafe per Volksentscheid wieder einzuführen. Das käme dem Abschied von Europa gleich und würde eine neue Türkei bedeuten. Offenbar war dieses Szenario letzte Woche beim Gipfel der EU-Außenminister auf Malta Thema, vor allem Deutschland aber sprach sich dagegen aus.
Für beide Seiten hat ein langer Nervenkrieg eingesetzt. Bis er beendet sein wird, dürften die Beziehungen auf Eis liegen.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
Kommentare
"Andererseits nützt der Anschein von Konfrontation beiden Seiten innenpolitisch..."
Dieser Satz verdeutlicht die ganze Situation zwischen der EU und der Türkei.
Kulturell betrachtet passen selbst Staaten Asiens (z.B. Japan) eher zur EU als die Türkei.
Die Türkei sollte mit den Staaten des Nahen Ostens eine eigene Union bilden, nach dem Vorbild der EU.
Ob eine Scheidung für die Türkei positiv sein wird oder nicht, ist für Erdogan völlig unerheblich.
Er möchte einzig und allein seine Haut retten, nur darum geht es.
Natürlich ist sich Erdogan der wirtschaftlichen Folgen bewusst, die ein vollständiges Ende der EU-Beziehungen bedeuten würde, aber ich denke so weit wird es nicht kommen.
Die EU und die Türkei (Erdogan) werden sich darauf einigen, dass ein neues Partnerschaftsmodell (die von der Bundeskanzlerin von Anfang an präferierte privilegierte Partnerschaft) ins Leben gerufen wird, in dem die gegenseitigen wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt und die Beziehungen in diesem Rahmen aufrecht erhalten werden, ohne das Erdogan sich jedoch an die lästigen Menschenrechtsabkommen etc. halten muss.
Erdogan wäre zufrieden und die EU wäre zufrieden.
Das türkische Volk?
Na ja, wen interessiert das schon.....
Ich finde, der Ausdruck "Scheidung" ist unglücklich gewählt; sonderlich emotional aufgeladen war die Beziehung zwischen EU und Türkei auch zu guten Zeiten nicht. Man war befreundet, kooperierte in vielen Bereichen - der Artikel liefert ja auch wirtschaftliche Zahlen, die deutlich machen, warum es sinnvoll war - aber das war es. Schon damals waren die Beitrittsverhandlungen meiner Ansicht nach, mit der ich mich in guter Gesellschaft zahlreicher früherer EU-Regierungschefs befinde, keine gute Idee, und dass sich das jetzt erledigt hat, ist kein Schaden.
Im Ergebnis schließe ich mich daher an: eine formalisierte Partnerschaft, bei der man zusammenarbeitet, sich aber politisch - von ein paar Mindeststandards, die ohnehin selbstverständlich sind - in Frieden lässt, sollte beide Seiten eigentlich zufriedenstellen. Auch dem türkischen Volk schadet das nicht. Die schaden sich ohnehin lieber selbst... nun ja, anderes Thema.
Die Türkei, die bisher auch ohne die EU überlebt hat, wird ihren eigenen Weg einschlagen, ohne den „Ostmarkt" zu vernachlässigen, der mehr als die Hälfte der Welt ausmacht.Zweifellos werden die Beziehungen der Türkei zu den USA in der Zeit von Präsident Donald Trump fruchtbarer sein als zuvor.Wie man daraus erkennen kann, sollte sich eher die EU Sorgen um die Zukunft machen.Denn die EU, die nach der Loslösung eines „Riesenmitglieds", wie Großbritannien ihre Macht in der Weltordnung und Politik völlig verloren hat, ist kein Anziehungspunkt mehr. Sie ist nur ein nutzloser Klub, die seine Mitglieder mit Quoten und finanziellen sowie politischen Verpflichtungen erstickt,das ist fakt.Es gibt eine neue politische Tendenz, bilaterale Abkommen zu schließen und zugleich die Fessel der EU loszuwerden, so hat es auch Großbritannien vorgemacht.Angesicht all dessen scheint die einzige Lösung, an die die EU denken kann, um die Lage zu retten, Zugeständnisse an die aufsteigende Rechte, den Populismus und den Radikalismus zu machen.Dabei verletzt sie universelle Werte, die Europa am Leben erhalten. Auch Erweiterungspolitik wird aufgegeben und man zieht sich ins Schneckenhäuschen zurück. Sie verdeutlichen auch ihre Arroganz durch Aussagen wie „Der EU-Traum der Türkei ist vorbei", so EU-Kommissar Johannes Hahn.Die Türkei ist gerüstet und dazu bereit bis 2030 eines der 15 größten Volkswirtschaften der Welt zu werden.Die Türkei ist aufgewacht und das hat nichts mehr --
>>Es gibt eine neue politische Tendenz, bilaterale Abkommen zu schließen und zugleich die Fessel der EU loszuwerden, so hat es auch Großbritannien vorgemacht.<<
...und scheitert dabei gerade phänomenal.
>>Die Türkei ist gerüstet und dazu bereit bis 2030 eines der 15 größten Volkswirtschaften der Welt zu werden.<<
Die Türkei bricht gerade wirtschaftlich auseinander. Stand jetzt reicht es wohl für die 15 größten Volkswirtschaften im Nahen Osten.
mit Märchen und Träumen zu tun.Wenn die EU ihre verwöhnte Haltung fortsetzt, wird sie nicht einmal davon träumen können, sich mit viel versprechenden, jungen und dynamischen Kandidaten wie der Türkei zu stärken.Es gibt viele Alternativen für die Türkei.Ankara wird neue Wege finden,Indien,Russland und die bevorstehenden Besuche in China, und den USA im Mai sind Indikatoren für dieses Streben.Da sie die Hoffnung so gut wie aufgegeben hat der EU beizutreten.Grund dafür sind wie oben benannt die Aussagen der EU-Akteure,wie Lächerlich obwohl Europa-- so-- schon viele Probleme hat erzeugt sie sich ein neues, In den meisten europäischen Ländern sind die rechtsextremen und rassistischen Parteien auf dem Vormarsch. Diese Parteien erhöhen allmählich ihre Stimmabgabe bei jeder Wahl. Keiner in Europa und der EU diskutiert drüber, dass die Befürworter solcher Parteien Probleme mit der Demokratie haben scheint keinen zu stören. Das ist interessant zu beobachten. Es wäre überzeugender, wenn sie in ihren eigenen Ländern eine Besorgnis für die Demokratie zeigen würden .Es wäre widerum aber auch sinnvoll,und nur fair wenn diejenigen, die Europas Werte hoch halten, ehrlich zur Türkei sind. Andernfalls haben sie keine Glaubwürdigkeit mehr.
"Die Türkei ist aufgewacht und das hat nichts mehr mit Märchen und Träumen zu tun."
Ihr Kommentar beweist das genaue Gegenteil!