Don Winslow ist ein Autor, der seine Leserschaft weder mit widersprüchlichen Figuren noch mit komplizierten Formulierungen anstrengt. Winslows beste Romane (Tage der Toten, Zeit des Zorns) sind prima recherchiert, seine schlechteren sind bisher nur auf Deutsch und nicht in den USA veröffentlicht und von reaktionärer Schlichtheit. Dennoch hat der Bestsellerautor wegen seines Gespürs für Themen immer einen zweiten Blick verdient. Er kennt sich aus mit Corruption. So hat Winslows deutscher Verlag seine jüngste Bullenoper (im Original The Force) betitelt. Auch wenn Winslow behauptet, er habe diesen Roman schon sein Leben lang schreiben wollen, ist er kenntlich als Reaktion auf die Polizeiübergriffe gegen Afroamerikaner und die reziproken Rachefeldzüge gegen Polizisten.
Korruption ist so alt wie die New Yorker Polizei. Die wird alle 20 Jahre von einer Antikorruptionswelle durchgepustet, deren einziges Ergebnis eine neue Polizeiführung ist. Bisher wurden die Antikorruptionsromane und -filme, die diese Reinigungswellen begleiteten – etwa Serpico oder Prince of the City –, eher aus der ins Heldenhafte überhöhten Perspektive der Polizisten erzählt, die die Korruption aufdeckten.
Im Jahre 2016 erzählt Winslow seine Saga aus der Perspektive eines korrupten Bullen. Denny Malone (treu bei ihm sein hollywoodkorrekt gemischt-ethnisches Team) ist der King von Nord-Manhattan. Die "Schmierseife" kleiner Gefälligkeiten hat er längst hinter sich. Der Untergang des dirty cop beginnt mit dem Mord an einem dominikanischen Drogendealer, dem Denny und Team zwei Millionen Cash und 20 Kilo Heroin klauen. Für die "gefundenen" restlichen 50 Kilo des "größten Drogenfunds aller Zeiten" werden sie als Superheros gefeiert.
Kurz darauf benutzt das FBI ein Observationsvideo, um Denny umzudrehen. Der mächtige Sergeant, der Millionen für sich und die Erziehung seiner Kinder, für die Kinder seiner Kollegen, für den Drogenentzug seiner Geliebten und andere edle Zwecke gebunkert hat, nicht ohne seinen Vorgesetzten, Rechts- und Staatsanwälten und Politikern etwas abzugeben, wird zur "Ratte", zum Verräter. Einmal in den Fängen des FBI, kämpft Denny erst nur um Vermögen und Familie, dann um seine Freiheit und ständig um sein Leben. Winslow erzählt spannend, aber völlig aus der eindimensionalen Perspektive seiner Cops. Das Establishment ist noch viel korrupter als sie. Cops machen die grausliche Drecksarbeit, kriegen vom großen Kuchen nix ab und müssen auch noch für die Bosse den Kopf hinhalten. Als wäre das was Neues. Die Wähler von Mr. Trump sehen das schon lange so. Es ist das System, das alle fertigmacht.
Don Winslow: "Corruption". Droemer Knaur, 544 S., 22,99 €
Kommentare
"Winslows beste Romane (Tage der Toten, Zeit des Zorns)"
Ist sicher Geschmackssache: Tage der Toten definitiv, Zeit des Zorns finde ich etwas langatmig.
Stimmt.
"Die Wähler von Mr. Trump sehen das schon lange so. Es ist das System, das alle fertigmacht."
Mir wird es immer ein Rätsel bleiben, wie man seine politischen Hoffnungen in jemand wie Trump setzen kann, aber dass das System verrottet ist, ist mehr Fakt als Meinung.
Wir sehen es doch jeden Tag, auch in Deutschland und bei uns sind die Perversionen noch lange nicht so ausgeprägt wie in den USA...
"Tage der Toten" und "Zeit des Zorns" sind ohne Zweifel eine ausgezeichnete Darstellung des Drogenkriegs in Mexiko und den USA. Wobei man sagen muss, dass die Wirklichkeit die Fiktion noch übertrifft.
Herr Gohlis macht es sich zu leicht, die restlichen Bücher von Don Winslow mit "reaktionärer Schlichtheit" abzuqualifizieren.
Es stimmt zwar, dass einige kaum erwähnswert sind. Bei einem hätte man stattdessen auch die Werbebroschüren einer US-Waffenmesse abdrucken können.
Aber in "Pacific Private" oder "Pacific Paradise" - spannende Krimis aus der Surfer-Szene - geht er sehr nachdenklich der Frage nach, wem gehören die Wellen vor der Pazifikküste. Das ist lesenswert und keineswegs schlicht.
Übrigens: Nur durch Zufall habe ich erfahren, dass die "10 besten Krimis des Monats" von der ZEIT zur FAZ umgezogen sind.
In Köln gab es bis vor wenigen Jahren den Krimi-Buchladen Alibi von Manfred Sarrazin, der leider gestorben ist. Er hatte ein enzyklopädisches Wissen über die Kriminalliteratur, aber daneben auch weitgesteckte Interessenfelder.
Noch im Hospiz hat er für fast zwanzig Zuhörer eine Vorlesung über den Mexiko-USA-Drogenkrieg gehalten. Dass dabei die Recherchen von Don Winslow auch eine Rolle spielten, kann man sich vorstellen. Er sah übrigens nur in der Freigabe der "leichten" Droge eine Lösung.
Für viele Krime-Rezensenten hatte er nur Spott übrig, sie verstünden nichts von dieser Literaturgattung.