Auch wenn er vom Internet keine Ahnung hatte, beschrieb er treffend das Wesen von Fake-News: Eine Lüge, so sagte Martin Luther, sei "wie ein Schneeball: Je länger man ihn wälzt, desto größer wird er." Da hilft es nicht einmal, die Lüge als solche zu kennzeichnen. Denn auch dadurch wälzt man den Ball weiter – und lässt ihn ungewollt immer mehr anwachsen.
So lautet, stark verkürzt, eines der ernüchternden Ergebnisse der jüngeren Fake-News-Forschung. Diese boomt spätestens seit Donald Trumps Wahlsieg. Nicht nur Politiker und Journalisten, sondern auch Psychologen und Kommunikationsforscher fragen sich seither, wie man Falschnachrichten am besten bekämpft. Die fatale Einsicht lautet: Selbst eine Widerlegung kann kontraproduktiv sein – weil auch sie Luthers Schneeball weiterwälzt.
Diesen Befund haben der Psychologe Gordon Pennycook und der Ökonom David G. Rand in einer Studie mit mehr als 1.800 Probanden experimentell untermauert. Sie legten ihren Testpersonen verschiedene Falschaussagen vor, die von reichlich absurd ("Trump will alle Fernsehsendungen verbieten, in denen es um Homosexualität geht") bis halbwegs plausibel klangen ("Bolivien grenzt an den Pazifischen Ozean"). Dabei stellten sie fest: Mit jeder Wiederholung dieser Aussagen wurden sie als glaubwürdiger empfunden. Das galt selbst für die Trump-Satire, die 95 Prozent der Probanden beim ersten Hören noch als falsch identifizierten. Wurde sie ihnen später erneut präsentiert, glaubten sie bereits doppelt so viele wie beim ersten Mal. Und mit jeder weiteren Wahrnehmung stieg die angenommene Glaubwürdigkeit.
Besonders fatal: Dieser Verstärkungseffekt trat selbst dann auf, wenn die Aussagen als "falsch" gekennzeichnet wurden. Der Hinweis "Von unabhängigen Fact-Checkern angefochten" – wie ihn etwa Facebook benutzt – erwies sich in der Studie als weitgehend wirkungslos. "Jeder Nutzen eines solchen Hinweises wird umgehend ausgelöscht durch den Effekt der wiederholten Darstellung", schreiben Pennycook und Rand – ein bestürzender Befund für all jene, die mit kritischer Faktenprüfung den Unsinn aus der Welt schaffen wollen. Für Fake-News gilt damit dasselbe Dilemma wie für den Umgang mit Terroranschlägen: Jeder ausführliche Bericht verstärkt die negative Botschaft und hilft damit ungewollt den Attentätern (siehe "Wir Terrorhelfer", ZEIT Nr. 35/17).
Was aber kann man dann tun? Wie soll man unter diesen Umständen mit Fake-News umgehen? Diese Frage treibt Pennycook und Rand ebenso um wie viele andere Forscher. Eine Patentlösung, um es gleich vorwegzunehmen, hat leider niemand anzubieten. Ein paar Vorschläge, was man besser machen kann, gibt es allerdings schon.
Der erste wäre: über Falschmeldungen möglichst sparsam berichten. Das rät ein Team um Kathleen Hall Jamieson, die Mitbegründerin der Website FactCheck.org. In der Zeitschrift Psychological Science präsentierten die Forscher kürzlich eine Metastudie, in der sie die einschlägige Forschung der letzten zwei Jahrzehnte resümieren. Dabei stellten auch sie fest, dass ausführliche (wenngleich kritische) Berichte über Fake-News unabsichtlich deren Wirkung verstärken können.
Zweitens: "Es hilft nicht, den Leuten einfach zu sagen, dass ihre Fakten falsch sind", meint Jamieson. Besser sei es, mit neuen Belegen und einer entschiedenen Gegenbotschaft aufzuwarten. Drittens empfehlen die Forscher, das Publikum einzubeziehen und es anzuregen, selbst kritisch nachzufragen und Behauptungen und Argumente zu prüfen – dieser fromme Wunsch dürfte indessen an der Wirklichkeit regelmäßig zerschellen.
Denn viele Konsumenten von Fake-News oder Verschwörungstheorien wollen sich auf einen kritischen Dialog gar nicht einlassen. Sie leben – wie der Digitalexperte Sascha Lobo kürzlich in Bezug auf AfD-Anhänger diagnostizierte – vom "Windrad-Prinzip": Man zieht seine "Energie aus der Empörung der Gegenseite und verwandelt sie in eine Form sozial ansteckender Identifikation". Da führen rationale Argumente selten weiter.
Doch neben den Überzeugten und Verbohrten gibt es ja die Sympathisanten, die Mitläufer und Unentschiedenen. Sie sind für Argumente durchaus erreichbar – wenn man ihnen richtig begegnet. Eine Gruppe deutscher Psychologen empfiehlt dazu etwa, den Dialog mit der Wertschätzung des Gegenübers zu beginnen. "Passionierte Videospieler waren zum Beispiel weniger kritisch gegenüber Befunden zur Schädlichkeit von Mediengewalt, wenn ihnen als Gruppe zuvor besondere Kompetenzen zugesprochen wurden", schreiben die Forscher um Tobias Rothmund und Mario Gollwitzer. "In den USA zeigte sich, dass Gegner des Klimawandels offener für kritische Befunde waren, wenn eine umweltbewusste Einstellung als patriotisch kommuniziert wurde."
Die vielleicht wichtigste Empfehlung, die nahezu alle Forscher teilen, richtet sich an Bildungseinrichtungen. In Schulen und Universitäten muss der kritische Umgang mit Informationen dringend mehr gelehrt und geübt werden. Leider besteht hier ein enormes Defizit. "Auf keiner Stufe des deutschen Schulsystems wird Nachrichtenkompetenz angemessen berücksichtigt", lautet das triste Ergebnis einer neuen Studie des Dresdner Kommunikationswissenschaftlers Lutz Hagen. Der findet klare Worte: Auch in der universitären Ausbildung von Lehrern spiele das Thema kaum eine Rolle. "Zwar halten Lehramtsstudierende Nachrichtenkompetenz für wichtig, faktisch fehlt sie ihnen aber in vielem und wird im Studium nicht vermittelt."
Wer also wissen will, wie man Fake-News bekämpft, findet hier eine mögliche Antwort: Die Grundlagen der Immunisierung müssen in der Schule gelegt werden. Höchste Zeit, damit zu beginnen.
Kommentare
Wer in der vordigitalen Zeit ein Gerücht gehört hat, hatte kaum eine Möglichkeit zu schnell überprüfen, ob es ein Fake ist oder nicht.
Heute ist es meist eine Sache von einigen Klicks, um zu sehen, wer und wie sonst über den Sachverhalt berichtet. Meist kann man daraus auch eine gute Einschätzung über deren Wahrheitsgehalt bekommen.
Das Netz erleichtert also nicht nur die Verbreitung von Fakes – es erleichtert auch die Enttarnung von Fakes.
Die relative Stärke diese gegenläufigen Effekte sollte mal wissenschaftlich untersucht werden.
Meine Hypothese: der zweite Effekt – die schnellere Enttarnung – wiegt stärker. Wir leben in einer Zeit, in der Fakes sich schneller verbreiten und sichtbarer sind – aber weit weniger Wirkung entfalten, als falsche Gerüchte in der Vergangenheit.
Das Netz an sich ist also schon ein gewaltiger Fake-Stopper, gemessen an der Situation in der vordigitalen Zeit.
"Meine Hypothese: der zweite Effekt – die schnellere Enttarnung – wiegt stärker."
ihr wort in gottes ohr.
allein die medienkompetenz einiger nutzer, die sich damit brüsten, ihre informationen ausschließlich aus ach-so-alternativen medien zu beziehen - und alle anderen quellen als "mainstream" und "lügenpresse" zu diskreditieren versuchen - läßt mich zweifeln.
"Bolivien grenzt an den Pazifischen Ozean"
Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Fragen Sie einen Bolivianer, und Sie werden hören, dass das eigentlich so ist. Es gibt nämlich erhebliche Grenzstreitigkeiten in dieser Frage. Halb Nordchile gehört demnach Bolivien, die andere Hälfte Perú, aus Sicht der Mehrheit der Bolivianer und einiger Peruaner.
Und bezüglich Trumps Verbot von Homosexualität im Fernsehen verhält es sich wohl ähnlich. Es ist sicher kein "Fakt", aber kann man kathegorisch ausschliessen, dass er es nicht trotzdem will, nur eben nicht kann? Einigermassen homophob soll er ja sein.
Als Metadiskussion sollte geführt werden, ob der Begriff "Fakten" und "Fake-News" nicht vollkommen aus der Diskussion gelassen werden sollte. Es gibt lediglich unterschiedliche Meinungen, die mehr oder weniger plausibel begründet werden können. Wer z.B. mit der Notwendigkeit von Zuwanderung zur genetischen Durchmischung argumentiert, der ist unplausibel. Natürlich würde die Bundesregierung aber jeden Vorwurf, mit "Fake-News" zu arbeiten, entschieden von sich weisen.
"Wer z.B. mit der Notwendigkeit von Zuwanderung zur genetischen Durchmischung argumentiert, der ist unplausibel. Natürlich würde die Bundesregierung aber jeden Vorwurf, mit "Fake-News" zu arbeiten, entschieden von sich weisen."
Ich bitte Sie um eine Quelle für die Behauptung, die Bundesregierung würde mit genetischer Durchmischung argumentieren.
Oder verbreiten Sie hier gerade Fake-News?
Das Beste ist Ignorieren. Einfach nicht beachten und diejenigen, die darauf angesprungen sind, nicht ernst nehmen.
Als jemand, der sich seit ein paar Jahren mit Verschwörungstheoretikern befaßt, kann ich bestätigen, daß Argumentations- und Diskussionsversuche mit VT-lern sinnlos sind.
Noch unsinniger ist der Versuch, gegen die VT oder Fake News vorzugehen.
Das reibt nur auf und bringt nichts, es kann sogar das Gegenteil bewirken, Stichwort Streisand-Effekt:
https://de.m.wikipedia.or...
Man kann sich den Spaß machen und die VT-Wichtel und Fake-News-Gläubigen veralbern und mit Fake-Fake-News und VT-Hoaxen reinlegen.
Aufgrund des stark ausgeprägten Mißtrauens dieser Klientel ist das nicht einfach und bedarf Sorgfalt und einer gewissen Geschicklichkeit.
"...es kann sogar das Gegenteil bewirken..."
Mir ist in solchen Gesprächen aufgefallen, dass die Erwiderung sehr schnell die Ebene des Wissens verlässt, um hilfsweise auf der des Glaubens zu landen. Und dort fühlt er sich wohler. "Glaubst Du etwa (dies und das).... ?"
Glauben kann schlecht bis nicht widerlegt werden kann. Da wird der Vortrag unscharf, nicht angreifbar.
Ich behaupte, es ist Identifikation (vgl. Artikel) und eine Lust auf Glauben. Eventuell weil Wissen überfordert oder einfach zu sehr anstrengt. Eine Flucht oder Gegenelite. Hier gibt es Unterhaltungen in denen Beweise anfordert werden, die sie mit drei Worten selbst im Netz erlangt hätten. Bequem.
Es gibt so viele schöne Narrative. Es wäre doch schade, wenn sie nicht wahr wären.
Das (der?) Narrativ ist die Fakenews der guten Seite. Sozusagen der Aktivist unter den Lügen.