DIE ZEIT: Frau Friederici, ist die Wissenschaft besonders anfällig für Machtmissbrauch?
Angela D. Friederici: Wo es Abhängigkeiten gibt, da gibt es auch Versuche, diese Macht auszunutzen. In der Wirtschaft, der Politik, im Journalismus, beim Film. Und auch in der Wissenschaft, ja.
ZEIT: Wie kann man Abhängigkeitsverhältnisse demontieren?
Friederici:
Erstens muss man immer deutlich machen, dass nur die Leistung zählt. Wer spürt, dass die
eigene Leistung nicht anerkannt wird, muss das kommunizieren. Zweitens kann man Macht
verteilen. Unsere Doktoranden an den Max-Planck-Instituten haben inzwischen nicht mehr nur
eine Betreuungsperson. Es gibt stattdessen ein Komitee von drei Personen, die die
Doktoranden selbst auswählen können, darunter auch eine Vertrauensperson. Gespräche über die
Dissertation werden gemeinsam geführt. Doktoranden, die hinter verschlossenen Türen immer
nur mit einem Zuständigen reden – das finde ich nicht mehr angemessen. Wir brauchen mehr
Transparenz. Die jungen Leute fordern das heute auch ein.
Sich zu beschweren, ist riskant
ZEIT: Wir haben vor einigen Wochen in der ZEIT (Nr. 46/17) über Machtmissbrauch in der Wissenschaft berichtet. Über unterschwelligen Sexismus, aber auch Arbeitsausbeutung und Abhängigkeiten. Uns hat daraufhin viel Post erreicht. Ein Professor, der zur Max-Planck-Gesellschaft gehört, schrieb uns, das Machtgefälle in vielen Instituten sei gewaltig – aus Sorge vor Ansehensverlust betrieben aber viele Kollegen "Selbstzensur". Sich einzumischen sei "riskant" für die Karriere.
Friederici: Ich kann mir gut vorstellen, dass viele denken, es sei riskant, sich einzumischen. Ich wäre allerdings froh, wenn solche Probleme häufiger an mich herangetragen würden – statt zu raunen, dass mal irgendwo irgendetwas passiert ist. Nur wenn die Fälle auf meinem Tisch landen, kann ich offen damit umgehen und nach einer Lösung suchen.
ZEIT: Ein anderer Forscher schrieb uns: "Deutschland hat eine sehr autoritär geprägte Wissenschaftstradition, die sich eher an das Kaiserreich anlehnt als an eine freie, demokratische Gesellschaft."
Friederici: Ja, diese Tradition haben wir. Und wir müssen sie aufbrechen, an allen Forschungseinrichtungen – den außeruniversitären wie auch den Universitäten. Bei großen Institutionen ist es nicht immer leicht, die Zuständigkeiten und Verantwortungen zu lokalisieren. Das aber ist notwendig, um handeln zu können. Unsere Doktoranden haben seit Neuestem jeder einen Buddy, eine Art freundschaftlichen Begleiter durch die Promotionsphase. Es hat sich viel getan. Manchmal denke ich sogar: Oje, noch ein neues Instrument, noch ein neues Programm?
Das Frauenlabel kommt nicht immer gut an
ZEIT: Das heißt, Förderprogramme können auch kontraproduktiv sein?
Friederici: Wir hatten ein Programm für junge Frauen in der Wissenschaft, das jedoch bald sehr unbeliebt war. Das Frauenlabel wurde als Malus wahrgenommen. Ich sage deswegen: Solche Förderungen müssen so hochkarätig sein, dass auch Männer Schlange stehen würden, wenn sie sich bewerben könnten. Mit unserem neuen Lise-Meitner-Programm wollen wir die künftigen weiblichen Stars in ihrem Forschungsfeld ansprechen, und das möglichst früh in ihrer Karriere. Sie erhalten bei uns von Beginn an leitende Positionen mit einer Perspektive auf dauerhafte Beschäftigung. Und wer sich im Wettbewerb durchsetzt, hat anschließend die Chance, Direktorin an einem Max-Planck-Institut zu werden.
ZEIT: Wie wichtig ist Ihren männlichen Kollegen das Thema? Der Präsident der TU München, Wolfgang Herrmann, sagte neulich mal, Frauenförderung sei Männersache.
Friederici: Die Unterstützung der männlichen Direktoren in den Gremien ist massiv. Sie sehen natürlich auch, dass es in den vergangenen Jahren nicht optimal gelaufen ist.
ZEIT: Sind gute und geschlechtergerechte Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft ein internationaler Wettbewerbsvorteil?
Friederici: Ja, und das gilt für die Max-Planck-Gesellschaft in besonderem Maße. Die Hälfte unserer Doktoranden und Postdocs kommen aus dem Ausland, die fordern es ein, gut betreut zu werden. Die Frauen müssen wir besonders umwerben. Wir haben daher neue Auswahlverfahren und sozialversicherungspflichtige Förderverträge für Doktorandinnen und Doktoranden eingeführt, und wir kümmern uns um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aber noch gibt es nicht genug Forscherinnen auf dem obersten Berufungslevel. Deswegen können diese Frauen sich ihre Stellen inzwischen weltweit aussuchen. Wir müssen ihnen anbieten, was sie im Ausland auch vorfinden: ein gutes Gehalt, eine super Ausstattung mit Geräten, natürlich Ganztagsbetreuung für die Kinder. Und wir haben heute fast in jeder Berufung ein Dual-Career-Problem zu lösen. Dann müssen wir dem Partner der Frau, die wir berufen wollen, auch eine Stelle besorgen. Aber nicht in derselben Abteilung, sonst geraten Privates und Berufliches in Konflikt.
Kommentare
> Ich sage deswegen: Solche Förderungen müssen so hochkarätig sein, dass auch Männer Schlange stehen würden, wenn sie sich bewerben könnten.
Wie kann man eigentlich soetwas fordern und gleichzeitig angeblich für Gleichberechtigung sein?
"Wie kann man eigentlich soetwas fordern und gleichzeitig angeblich für Gleichberechtigung sein?"
Ehrlich, ich bin inzwischen auch völlig ratlos und frage mich das bei so ziemlich jedem Artikel. Vielleicht ist das tatsächlich die viel zitierte "weibliche Logik"?
"Mit unserem neuen Lise-Meitner-Programm wollen wir die künftigen weiblichen Stars in ihrem Forschungsfeld ansprechen, und das möglichst früh in ihrer Karriere. Sie erhalten bei uns von Beginn an leitende Positionen mit einer Perspektive auf dauerhafte Beschäftigung" ... "Bei Max Planck sind deshalb jetzt alle angehalten, die Keynotes 50/50 zu verteilen."
Die Max-Planck-Gesellschaft steht in meinen Augen für Spitzenforschung und es scheint mir falsch, wenn auch hier eine aktive Frauenförderung zum Nachteil einer neutralen Bestenauslese betrieben wird. Das kann man von mir aus in der Politik machen, aber bitte nicht in der gehobenen Wissenschaft, welche per se objektiv und unpolitisch sein sollte. Ein solche Einflussnahme auf die Auswahl führt m.E. zwangsläufig zu einer Niveauabsenkung. Ich möchte sogar noch weiter gehen und den Gedanken aufwerfen, dass in manchen Forschungsfeldern die weiblichen Spitzen - warum auch immer - im Durchschnitt schlicht nicht den männlichen Spitzen entsprechen.
"Ich möchte sogar noch weiter gehen und den Gedanken aufwerfen, dass in manchen Forschungsfeldern die weiblichen Spitzen - warum auch immer - im Durchschnitt schlicht nicht den männlichen Spitzen entsprechen"
Es wäre jedenfalls sehr seltsam, wenn beim stärkeren Priorisieren des Kriteriums Geschlecht und derartiger beinahe Nötigung der Damen zur Karrierewahl die Qualität aufgrund eben zwingender zurückgehender Bedeutung anderer Kriterien (eben bspw. Spitzenleistung) nicht leiden würde.
"Solche Förderungen müssen so hochkarätig sein, dass auch Männer Schlange stehen würden, wenn sie sich bewerben könnten"
Aber können sie nicht, ha, Pech gehabt. Schließlich hat man selbst auch keine Förderung verdient wenn andere Menschen desselben Geschlechts erfolgreich und selbstbewusst sind.
"Als ich 1994 Max-Planck-Direktorin wurde, gab es noch zwei weitere Frauen – und 248 Direktoren. Da muss man sich schon durchsetzen"
Ich wette, als Mann musste man sich nicht durchsetzen, da wurde einem mit Eintritt ins Erwachsenenalter alles auf dem Silbertablett serviert und alle männlichen Konkurrenten sagten: "hier, nimm alles das ich habe"?
Oder gehts auch irgendwie konkreter mit der angeblichen Benachteiligung?
Es tut mir wirklich Leid, dass ich Jäger die man so arg zum Jagen tragen muss nicht ernst nehmen kann - wie sollte man auch?
Und ein Problem wäre für mich nicht zu wenige Frauen zu bekommen, geringer Frauenanteil etc. (wieso eigentlich 50/50 als Keynote-Ziel bei geringerem Frauenanteil, soll das gerecht sein?) sondern zu wenige gut geeignete Personen.
Darüber stand nichts. Feste Quoten respektieren nicht die unterschiedlichen und individuellen Entscheidungen der Menschen und Ziel sollte stets sein ausreichend gutes Personal zu haben - egal(!) welchen Geschlechts.
Wie soll eine 50/50 Verteilung überhaupt gehen wenn angeblich nur die Leistung zählt?
http://www.oecd.org/gender/d…
Eine Statistik, die die Geschlechterverteilung in unterschiedlichen Studienrichtungen der OECD-Länder zeigt. Interessanterweise sind in skandinavischen Länder, welche am weitesten fortgeschritten sind im Bereich Gleichberechtigung, die ungleichmäßige Verteilung der Geschlechter in den Studiengängen viel stärker ausgeprägt.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf überzogene Polemik. Danke, die Redaktion/as
Suchen sie mal auf Youtube nach dem Beitrag des norwegischen TV-Moderator-gewordenen-Soziologen, der genau dieses Phänomen bei der Gesellschaft Norwegens festgestellt hatte - seine elegante, weil schlicht einfache Erklärung: Je freier eine Gesellschaft und je höher das allgemeine Lohnniveau, umso eher folgen Menschen ihren Interessensneigungen in Bezug auf arbeitsmarktbezogene Ausbildung. Und die Interessen sind nun mal geschlechterabhängig und evolutionspsychologisch belegt. Es gibt dann berufliche Präferenzen, abhängig des Geschlechts. Sie können sich vorstellen, welch krude Theorien da FeministInnen trotz der statistischen Tatsachen aufgestellt haben...
Haben Sie zufällig den Link oder das Stichwort, wo nach ich suchen muss? Bin erst auf diese Statistik gekommen, als Jordan Peterson davon geredet hat.
Glaube ich habe es gefunden :)
Titel: The Gender Equality Paradox - Documentary NRK - 2011 - Feminism / Gender Studies
Genau das ist es, hervorragender Beitrag.
Die Feministinnen gehen eben von der Fehlannahme aus, dass Gleichberechtigung zu Ergebnisgleichheit führt.
Genauso naiv schließen sie von fehlender Ergebnisgleichheit auf fehlende Gleichberechtigung.
Ja, diese Sendung ist wirklich interessant.
Besonders witzig sind aber die Verrenkungen, die dann die Gegenseite vornimmt, um die Ergebnisse zu erklären. Total abstrus.
Harald Eia, Gehirnwäsche: Das Gleichstellungsparadox (wird das selbe sein).
https://www.youtube.com/watc…