Es ist tragisch. Der westliche Kapitalismus fiebert und hustet, aber an seinem Krankenbett sitzt kein Arzt, sondern der Lobbyist eines Pharmaunternehmens. Eigentlich eine gute Ausgangssituation für die Linke. Allerdings nur in der Theorie, denn sie ist geschwächt und taumelt. Begonnen hat die Krise der Linken schon lange vor der Flüchtlingskrise, sie hat sich mit dem Kapitalismus abgefunden – und ist deshalb zerrissen wie lange nicht mehr.
Vor allem die Sozialdemokraten stecken im Treibsand, jede Bewegung scheint sie nach unten zu ziehen. Falls sie keinen Weg der Erneuerung finden, droht der SPD das Schicksal ihrer europäischen Schwesterparteien: In Frankreich, Italien, den Niederlanden oder Griechenland sind sie von der Bedeutungslosigkeit nicht mehr weit entfernt. Die Linkspartei steckt nicht in einer vergleichbaren Existenzkrise, sie hat sich in stabiler Seitenlage behauptet. Aber der Schwung ist weg, die AfD hat ihr den Rang als größte Oppositionspartei abgelaufen.
Die Verdrossenheit in der Linkspartei ist so groß, dass jetzt eine neue linke Volkspartei aus den Unzufriedenen aus Linken, SPD und Grünen ins Spiel gebracht wird. Die Initiative ist in erster Linie Mittel des Machtkampfes innerhalb der Partei, politisch ist sie eher fragwürdig. Denn schließlich ist es gerade das Prinzip Volkspartei, das in der Krise ist. Gerade ihre Grundvoraussetzung, weltanschaulich dünn und vor allem auf die Maximierung von Macht aus zu sein, hat viele Wähler den alten Volksparteien entfremdet. Für sie wäre eine neue linke Sammlungsbewegung keine Alternative.
Wichtiger sind die politischen Ausrichtungen, um die gerade gerungen wird. Hier zeigen sich die Grundprobleme der linken Parteien der letzten Jahrzehnte: Man hat die dialektische Denkweise durch eine dualistische ersetzt. Die realen Widersprüche der Wirklichkeit will man in jeweils eine Richtung auflösen, statt den Widerspruch selbst anzugehen. Auf der einen Seite wollen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine mit einer Renationalisierung der Politik den Staat gegen den Sog der Globalisierung stärken. Dabei suchen sie der zuckrigen Versuchung des Nationalismus, der derzeit so viele Menschen erliegen, mit dem Surrogat der nationalen und demokratischen Souveränität zu begegnen. In der SPD wirbt Sigmar Gabriel für einen neuen Heimatbegriff. Auf der anderen Seite erstarkt ein libertärer Kosmopolitismus. Seine Anhänger betrachten mit der moralischen Überlegenheit des globalen Humanisten den Sozialstaat und den schmalen Lebensstandard, den die unteren Klassen im reichen Deutschland erreicht haben, in erster Linie als Etabliertenvorrechte gegenüber den Menschen aus dem globalen Süden.
Der Dualismus des linken Denkens zeigt sich auch im Streit um die Identitätspolitik, des Kampfes gegen die Diskriminierung einzelner Gruppen und deren Recht auf Anerkennung. Einige schließen sich der konservativen Erzählung an, die Linke habe die Abgehängten vernachlässigt. Die Kritiker der Identitätspolitik denken in kommunizierenden Röhren, wenn sie fordern, wieder mehr auf die soziale Frage und weniger die Identitätspolitik zu setzen. Sie vergessen, dass die gesamte Geschichte linker Bewegungen, nicht zuletzt der frühen Arbeiterbewegung, sich um die Frage von Identität, Anerkennung, Autonomie und Würde – und ja, auch Stolz – drehte. Soziale Ungleichheit wurde als Hindernis zur Verwirklichung dieser Ansprüche gedeutet. Das Problem der Identitätspolitik der letzten Jahre lag eben nicht in ihren vermeintlichen Exzessen (Sexismus zum Beispiel ist offensichtlich immer noch ein großes gesellschaftliches Problem), sondern im mangelnden Sinn für vertikale soziale Ungleichheiten. Man kämpfte für die Gleichstellung von Frauen in Aufsichtsräten, aber nicht gegen die schlechten Arbeitsbedingungen von Frauen im Dienstleistungsproletariat.
Kommentare
Der Kommentar enthält einige schöne Formulierungen. Ist aber im Detail etwas schwammig. Denn die Schlußfolgerung:
Programm eines demokratischen Gemeinwesens, das die wichtigsten Industrien der Daseinsvorsorge wie Wasser, Energie und die Bahn verstaatlicht, zu revitalisieren.
... ist das was Lafontaine/Wagenknecht seit Jahren immer wieder thematisieren.
Denn tatsächlich ist die Schwächung der staatlichen Aufgaben, eine Ursache für die meisten Probleme die die meisten Bürger umtreibt. Leider ist das mit den Finger aufeinander zeigen wesentlich einfacher, als die Ursachen zu benennen.
Wenn z.b. über BER berichtet wird ist nie die Rede davon, dass seit 20 Jahren die staatlichen Strukturen, um solche Projekte umzusetzen, massiv beschnitten wurden. Wenn über Kostenersparniss berichtet wird, wird nie gesagt das damit oft Tarifverträge und die Macht der Gewerkschaften beschnitten werden.
D.h. überall verliert die Gemeinschaft die Kontrolle über Entscheidungen die sie betrifft und immer häufiger geht es darum, dass Wenige daran verdienen.
Das sind Themen die Lafontaine zum Rücktritt als Finanzminister und Austritt aus der SPD brachte. Das dann solche Sätze daraus entstehen:
Auf der einen Seite wollen Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine mit einer Renationalisierung der Politik den Staat gegen den Sog der Globalisierung stärken. Dabei suchen sie der zuckrigen Versuchung des Nationalismus,...
zeigt wie die Propaganda gewirkt hat.
Wenn z.b. über BER berichtet wird ist nie die Rede davon, dass seit 20 Jahren die staatlichen Strukturen, um solche Projekte umzusetzen, massiv beschnitten wurden. Wenn über Kostenersparniss berichtet wird, wird nie gesagt das damit oft Tarifverträge und die Macht der Gewerkschaften beschnitten werden.
Wenn Sie wirklich der Ansicht sind, dass zu wenig Staat das Problem beim BER ist, dann kann man Ihnen vermutlich wirklich nicht mehr helfen.
Privat > Staat.
Entfernt. Bitte bleiben Sie beim Thema. Danke, die Redaktion/mp
Das kann man wohl sagen. Ich habe erst durch ihren Kommentar bemerkt, dass der Artikel schon drei Tage alt ist. Vielleicht bekommt er ja im zweiten Anlauf die verdiente Aufmerksamkeit.
Nun, die mit allerlei Posten versorgten irgendwie Linken [Grüne, Linke, SPD] sind bis in die Haarwurzelspitzen abgesichert und wohlversorgt, deshalb wohl forderen sie auf Kosten der einheimischen Arbeitnehmer einen unversalistisch-klerikalen Samaritismus, also einen aus "humanitären und christlichen Gründen" unbegrenzten Zuzug von Versorgungsforderern aus den Staaten des vorderasiatischen, arabischen und schwarzafrikanischen Islamgürtels.
Die Grünen und die Linke sind dafür von ihren wohlversorgten städtischen Wählern noch nicht abgestraft worden, bei der SPD zeigt aber die Abstrafung noch keine Wirkung, weil sie nicht hart genug war. Erst wenn die SPD bei Wahlen unter 10% sinkt, ist entweder ein Wandel und Neuanfang möglich oder eben der verdiente Untergang.
Mit Dialektik hat man es aber weder bei SPD noch den Grünen oder der Linken. Deshalb erfüllt man seitens der Linken [Grüne, SPD, Linke] mit seinen Forderungen nach offenen Grenzen für migratorische Versorgungsforderer eher eine andere Entwicklung: die Abschaffung des Sozialstaat, was ein feuchter Traum der Laissez-faire-Wirtschaftsliberalen ist.
Ein Politiker muss einen einigermaßen dotierten Posten haben, sonst kann er nicht an Politik mitwirken. Und jetzt überlegen wir mal, welche Parteien bei Nebenverdiensten und Lobbyismus sich zurückhalten resp. Transparenz üben...
Zudem: Die SPD ist nicht links. Und die Grünen sind es kaum. Dass Grüne und Linke nur von Wohlversorgten gewählt werden, ist ein beliebtes Mittel der Diskreditierung. Und zudem soll es auch unter den Wohlhabenden Leute geben, die das Richtige denken und tun. ZB. solidarisch sind.
Den Umweg über die These von der Abschaffung des Sozialstaates brauchen Sie nicht zu bemühen. Sagen Sie einfach, dass Ihnen das Leid der Flüchtlinge egal ist. Aber naja, das ist eh schon klargeworden.
Ein linker Block in Europa hat seine Daseinsberechtigung.
Was derzeit passiert,
erinnert an die Weimarer Republik,
als eine mögliche linke Einigkeit an eitlem Kleinklein scheiterte.
Es gibt so Vieles,
was der Erledigung (nicht nur in Deutschland) harrt,
wenn die Eitelkeit der Protagonisten hintangestellt und Sachpolitik betrieben würde.
"Ein linker Block in Europa hat seine Daseinsberechtigung. Was derzeit passiert, erinnert an die Weimarer Republik, als eine mögliche linke Einigkeit an eitlem Kleinklein scheiterte."
Wohl wahr, aber warten Sie ab, was passiert, wenn Merkels Baby (http://www.spiegel.de/pol...) - die AFD - dem Kindesalter entwachsen ist.