Der Mann will kein öffentliches Wort mehr verlieren. Nicht in dieser Angelegenheit. Er, der einem der umkämpftesten deutschen Justizfälle eine irrwitzige Wendung gegeben hat, schweigt – auch zur Frage, weshalb er nach zwölf Jahren seine Meinung komplett änderte. Der Mann ist Folker Bittmann, Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Dessau, Sachsen-Anhalt. Über ein Jahrzehnt ging er davon aus, dass sich ein Schwarzafrikaner namens Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeistation selbst verbrannt hat. Nun hält er plötzlich für möglich, was kaum zu glauben ist: dass deutsche Polizisten auf einem deutschen Polizeirevier den verhafteten Oury Jalloh mit Brandbeschleuniger übergossen und angezündet haben könnten. Kein Selbstmord, sondern Mord.
Aber Bittmann spricht nicht mehr, ihm wurde das Verfahren entzogen – kurz nach Anfertigung eines Aktenvermerks, in dem er seinen Sinneswandel begründet. Bittmanns Vermerk – er liegt der ZEIT vor – steht für eine weitere spektakuläre Wendung im Fall des toten Oury Jalloh.
Der Fall ist so verworren, von Lügen durchsetzt und mit Fehlern gespickt, dass er sich womöglich nie mehr aufklären lässt. Sicher ist nur, dass der Rechtsstaat sich dieses Desaster selber zuzuschreiben hat. Der Name Jalloh könnte auf ewig als trauriges Beispiel miserabler Polizeiarbeit dastehen. Oder als Beispiel für bösartigen Korpsgeist bei der Polizei.
Oury Jalloh, 36 Jahre alt, aus Sierra Leone, starb am 7. Januar 2005 in der Gewahrsamszelle des Dessauer Reviers. Sein Körper, fixiert auf einer Schaumstoffmatratze in einem gefliesten Raum, ging in Flammen auf. Die lang verfochtene Selbsttötungsthese der Ermittler geht so: Jalloh hat, an Armen und Beinen gefesselt, stark alkoholisiert und eventuell auch unter Kokaineinfluss, irgendwie ein Feuerzeug aus der Hosentasche gefummelt und seine Matratze angezündet. Allein das wäre ein Polizeiskandal: Wie kann ein Mensch in einer Polizeistation, also in staatlicher Obhut, verbrennen? Und wie kann es sein, dass manche Polizisten alles unternehmen, um die Aufklärung des Falles zu verhindern?
Zwei Prozesse hat es gegeben, Hunderte Zeitungsartikel und Fernsehbeiträge. Seit Jahren beschäftigt Jallohs Schicksal Gerichte, Gutachter, Staatsanwälte, das Justizministerium, Landtagsabgeordnete und Aktivisten. Und das öffentliche Interesse sinkt nicht – im Gegenteil. "Ein Mensch ist zu Tode gekommen im Gewahrsam des Staates", sagt die Landesjustizministerin Anne-Marie Keding (CDU) heute, "das darf man nicht einfach hinnehmen, das ist eine klaffende Wunde unseres Landes." Und sie verspricht, dass allen Hinweisen nachgegangen werde. Dass Keding sich nun an die Spitze der Aufklärer stellt, ist politisch klug. Die jüngsten Ereignisse haben dafür gesorgt, dass die Sache Jalloh nun auch sie, die Justizministerin, wieder beschäftigt – weitaus mehr, als sie das bei Amtsantritt 2016 für möglich gehalten hat.
An seinem Todestag ist Jalloh – ein abgelehnter Asylbewerber, in Deutschland lediglich geduldet – in den Morgenstunden nach einem Discobesuch in der Dessauer Innenstadt unterwegs. Kurz zuvor wurde er wegen Rauschgifthandels zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, aber das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Jalloh ist mehr als betrunken, 2,98 Promille wird man später in seinem Blut feststellen, nebst Spuren von Kokain. Er spricht zwei Mitarbeiterinnen der Stadtreinigung mehrfach an und bittet sie, ihm ihr Handy zu leihen. Die Frauen fühlen sich belästigt und rufen die Polizei. Jalloh kann sich nicht ausweisen, daher nehmen ihn zwei Beamte mit aufs Revier. Er wehrt sich heftig, weshalb er in Gewahrsamszelle 5 gebracht wird. Dort wird er mit Händen und Füßen an Metallbügeln gefesselt, die in Boden und Wand eingelassen sind. Das ist illegal, weil kein Richter hinzugezogen wird. Die Polizeibeamten, die teilweise schon zu DDR-Zeiten im Dienst waren, behaupten, das hätten sie nicht gewusst.
Die Matratze, auf der Jalloh die nächsten Stunden verbringt, hat einen kunstledernen, eigentlich feuerfesten Bezug. Jalloh ist zuvor von einem der Beamten durchsucht worden. In seinen Hosentaschen waren angeblich nichts als ein Handy und Taschentücher. Von da an gibt es keine gesicherten Erkenntnisse mehr, bloß Mutmaßungen.
Kommentare
Der Fall stinkt so dermaßen zum Himmel daß man eigentlich das komplette Polizeirevier direkt in U-Haft nehmen müßte bis restlos _alles_ aufgeklärt ist. Und alle, die versucht haben, die Ermittlungen zu behindern, dazu.
Alle in U-Haft, wenn nötig auf Jahre?
Ihr Demokratie- und Rechtsstaatsverständnis haben Sie auch aus der DDR, habe ich recht?
Der Scherz ist ja: Wenn die Polizei wirklich unschuldig gewesen wäre, wäre die ganze Sache ganz einfach gewesen:
Alles ordentlich aufklären, lückenlos durchleuchten, die Beweise aufheben wie in jedem ähnlichen Fall, und gut ist.
Wenn Beweise verschwinden, von Anfang an gelogen wird und Kritiker eingeschüchtert werden, dann können sie so unschuldig sein wie sie wollen: Niemand glaubt ihnen.
Unschuldige Menschen verhalten sich nicht so. Und haben nicht zufällig weitere "unglückliche" Todesfälle zu verschulden.
Warum nochmal ist Fargo einer der berühmtesten Krimis-Thriller geworden, nebst der Serie Fargo? Weil sie ganz banale Typen, in Middle West zeigen anhand realer Crimes, die an Absurdität von sämtlichen Fiction-Autoren kaum überboten werden können - die Banalität des Bösen ist oft erschreckend.
Entfernt. Bitte verfassen Sie konstruktive Kommentare. Danke, die Redaktion/ja
Nein, womöglich stecken tatsächlich Polizisten dahinter. Aber das ändert nichts an dem Grundsatz der Unschuldsvermutung.
Wenn es da Falschaussage von Polizisten gab, warum gibt es eigentlich kein Verfahren gegen die? Falschaussagen als Zeugen sind sowohl unter Eid als auch uneidlich empfindlich strafbar!
Weil wir in Deutschland sind und weiße Polizisten einen farbigen Menschen getöten haben. Und dann schimpfen wir über die Polizeigewalt in den USA.
Man könnte es auch von der wirtschaftlichen Seite sehen. Die deutsche Polizei ist "too big to fail". Der darf man nicht ans Bein pissen...
1. Stellen Sie eine Behauptung auf ( die zwar naheliegend aber nicht bewiesen ist)
2. Behaupten Sie auch noch, daß Polizisten straflos Dunkelhäutige töten dürfen.
Im Zusammenhang mit dieser Station sind übrigens noch zwei Männer verstorben: Weiße.
Und nun?
"Der darf man nicht ans Bein pissen..."
Doch, aber erst, wenn es schon lichterloh brennt... ;-)
Ich dachte Farbe und Herkunft spielen keine Rolle und Verallgemeinerungen sind unsachlich.
Wenn, dann haben Menschen in einem Einzelfall einen Menschen umgebracht.
Oder was nun.
Ja ich stelle eine Behauptung auf. Ist mein gutes Recht, denn wissen tut es nur diejenigen die schweigen und lügen. Warum sollten Sie denn schweigen und lügen wenn nicht etwas vertuscht werden sollte?
Und ja, weiße Polizisten töten auch weiße Menschen, aber bei farbigen Menschen wird noch weniger hingesehen.
Farbe und Herkunft sollten nie eine Rolle spielen, aber in diesem Fall fand ich es angebracht mich so zu äussern.
Falschaussagen muss man beweisen können, um sie zu bestrafen.
Im moment ist es "nur" sehr warscheinlich, dass es Falschaussagen waren, Beweisen kann man es leider nicht.
Ich sehe allerdings durchaus, dass gerade die sächsische Polizei und Justiz des öfteren dadurch auffallen, deutlich parteiisch zum Vorteil der Rechten zu sein. Da allerdings müsste man mal ganz dringend durch die Systeme Kärchern. Da müssen EINIGE Richter, Staatsanwälte und Polizisten den Hut nehmen, bevor in Sachsen normalität einkehrt.
Wie gesagt: Man muss das alles Beweisen können. Und das ist gerade bei den Polizeibehörden und bei der Justiz oft sehr schwer, weswegen es auch absolut widerwärtig ist, wenn in diesen Behörden Verbrechen vertuschen, also die Macht des Staates durch seine Beamten missbraucht wird.
Sie können eine Vermutung anstellen.
"Und ja, weiße Polizisten töten auch weiße Menschen, aber bei farbigen Menschen wird noch weniger hingesehen."
Das wage ich in diesem Land aber sehr zu bezweifeln. Welche Lobby haben denn die anderen beiden Männer? Sehen Sie.
Ich denke nicht, daß diese Tat fremdenfeindlich begründet ist, gerade, weil es die beiden anderen Fälle gibt. Für naheliegender halte ich den Frust gegenüber sperrigen, betrunkenen oder bedrogten Menschen und daraus resultierende übermäßiger Gewaltanwendung, die ihre Folgen hatte.
Richtig. Einen.
Dieser Fall ist tatsächlich das einzige Beispiel ungerechtfertigter Gewaltausbrüche in Deutschland über Jahre. Schlimm genug, aber etwas anderes als die USA, wo das verprügeln und teilweise auch Ermorden von Farbigen absolut an der Tagesordnung ist.
Er wurde mehrmals Verhandelt, und das ganze ist sicher noch nicht vorbei.
Ich bezweifle allerdings, dass ein weisses Opfer zu erheblich mehr Aufwand bei den Ermittlungen geführt hätte.
Der Obdachlose weisse, der mutmaßlich im selben Revier ermordet wurde, wird wohl niemals Gerechtigkeit erfahren. Denn der hatte keine Freunde, die Geld sammeln und einen Verein gründen können, und er war arm. Er wandert nicht nurch die Nachrichten, sondern Ouri Jalloh tut es.
Und damit will ich nicht sagen, dass "Ausländer bevorzugt werden", das wäre wirklich zynisch, sondern ich will sagen, dass die Lage in Deutschland lange nicht so schlimm ist wie in den USA, und das die diskriminierung Armer in diesem Land immernoch verbreiteter ist als Rassismus.
Die Verbrechen, die in dieser Polizeistation mutmaßlich stattgefunden haben müssen aber dringend aufgeklärt werden. Polizisten, die einem solchen, ungeklärten Verdacht ausgesetzt sind darf sich ein Staat nicht erlauben. Dass mus restlos aufgeklärt werden. Alle Fälle.
Ich zB kannte zwar den Namen Oury Jalloh seit Jahren, aber nicht den des (mutmaßlich weißen) Obdachlosen. Für den es übrigens meines Wissens auch keine Initiative mit „unzähligen“ Mitgliedern gibt.
Ich verstehe zwar, was Sie meinen, aber in diesem speziellen Fall war es vielleicht gerade die Tatsache, dass das mutmaßliche Opfer Afrikaner war, die das Ganze so lange am
Laufen bzw überhaupt erst ins Rollen gebracht hat.
Ich denke jetzt pauschal die weißen deutschen Polizisten unter Generalverdacht zu stellen hilft auch nicht weiter. Dieser tragische Fall muss ergebnisoffen von einem unabhängigen Gremium neu untersucht werden.
Der Gedanke, dass die zuständigen Polizeibeamten O. Jalloh vorsätzlich getötet, also ermordet haben ist nur schwer erträglich. Nach meiner persönlichen Einschätzung, der den Fall etwas verfolgt hat, halte ich jedoch eine fahrlässige Tötung oder zumindest eine unterlassene Hilfeleistung für wahrscheinlicher. Aber dies ist wohlgemerkt nur eine rein persönliche Spekulation.
Die Polizei ist nicht "too Big to fail".
Sie ist eine Behörde mit einem enormen Machtpotential.
Darum muss da kontrolliert und ermittelt werden, bei jedem Verdacht. Die Beamten müssen lernen, dass es sich nicht lohnt, einander zu decken.
Im Moment ist der Machtmissbrauch bei der Polizei schlicht noch viel zu einfach zu machen und zu vertuschen. Sowas darf nicht toleriert werden, und da müssen wir noch sehr viel tun. Gerade in Sachsen, aber auch anderswo.
Wir sollten demnach dringend mehr Geld in die Dienstaufsicht der Polizei stecken. Und die Dienstaufsicht sollte sehr unabhängig von der Polizei sein.
Dessau = Sachsen-Anhalt
England = Angelsachsen
Norderney = Niedersachsen
"Für naheliegender halte ich den Frust gegenüber sperrigen, betrunkenen oder bedrogten Menschen und daraus resultierende übermäßiger Gewaltanwendung, die ihre Folgen hatte."
Macht es nicht wirklich besser. Hört sich sich für mich jetzt an als würde ich auf den Philippinen leben.
http://www.sueddeutsche.de/p…
Das ist eine gute Frage. Nur ist das juristisch so nicht zu lösen. Da müssen sie Beweisen, warscheinlichkeiten dürfen nicht zuv erurteilungen führen, und das hat gute Gründe. Ich fidne allerdings, ich habe es ja schon vorher gesagt, dass eine vertiefte ermittlung von der Dienstaufsicht hier zwingend erforderlich gewesen wäre. Ein Fallenlassen der Ermuittlungen aus Mangel an beweisen, für den vermutlich die Polizei, also der Mutmaßliche Täter, selbst verantwortlich ist ist ein SEHR unbefriedigendes Ergebnis.
"Und ja, weiße Polizisten töten auch weiße Menschen, aber bei farbigen Menschen wird noch weniger hingesehen."
Die beiden wiessen kommen im Artikel nichtmal Namentlich vor.
Die beiden haben auch keinen Unterstützerverein und sie erscheinen nur als Randnotiz beim Fall Jalloh.
In diesem Konkreten fall kann man also sagen, dass bei dem Ausländischen Opfer noch genauer hingesehen wird. Und ehrlich gesagt habe ich dieses Geühl auch öfters. Das st auch nicht schlimm, es ist schön, dass unsere Gesellschaft gerade bei verbrechen an schwächeren genau hinsieht. Aber Armut ist immernoch ein sehr viel "schlagenderes Argument" für Diskriminierung als die Herkunft.
Hartz IV Empfänger haben es definitiv schwwerer als Ausländer. Allerdings, das folgt daraus auch, ausländische Hartz IV Empfänger haben es doppelt schwer. Das aufzuwiegen macht aber nichts besser.
Ach, alles Sachsen, is doch egal !
Nein, sie haben natürlich Recht und ich entschuldige mich für meinen Fehler.
Trotzdem bleibt alles was ich gesagt habe richtig, bis auf die geographie, und die ist hier nicht so wichtig, und die bemerkung, das sachsen da besonders auffällt, was zwar stimmt, aber zugegebenermaßen dann mit diesem Fall nichts mehr zu tun hat.
"Für naheliegender halte ich den Frust gegenüber sperrigen, betrunkenen oder bedrogten Menschen und daraus resultierende übermäßiger Gewaltanwendung, die ihre Folgen hatte."
Damit haben Sie zumindest einen Erklärungsversuch gestartet und sind somit auch der Auffassung, dass Oury Jalloh von fremder Hand ums Leben gebracht wurde, indem man ihn bei lebendigem Leib verbrannte.
Ich würde dies als Mord aus niedrigen Beweggründen bezeichnen.
Sorry: Dessau>>>Sachsen-Anhalt. ;-)
Ansonsten, wie ich hier in dem Thread schon mehrfach anmerkte: Bei der Polizisten, die ( vermutllich auf Druck) ihre Aussage geändert hat ansetzen. Massiv. Ich glaube, das ist die einzige Möglichkeit.
Genau.
http://www.spiegel.de/video/…
mich wundert da nichts mehr.
Ich kann, nein ich darf es nur vermuten.
Das sind die Gedanken, die ich mir darüber gemacht habe. Nicht das erste Mal :-)
Ja ok, us-amerikanische Verhältnisse, da saß der Colt schon immer zu locker. Von diesen Zuständen sind wir jedoch zum Glück noch ein gutes Stück entfernt.
Hm. Jalloh hat einen Nasenbeinbruch gehabt - das deutet auf Gewaltanwendung hin.
Mag wohl sein, daß die Tötung nicht geplant war - aber mir zumindest scheint es, als ob manche Polizisten da vielleicht ihr Mütchen an Jalloh kühlen wollten, genauso wie bei den vorherigen Todesfällen. Und das geht nicht.
Und ich halte es auch für möglich, daß man das Ganze hinterher verschleiern wollte. Deswegen wurde die Matratze in Brand gesteckt.
"In diesem Konkreten fall kann man also sagen, dass bei dem Ausländischen Opfer noch genauer hingesehen wird. Und ehrlich gesagt habe ich dieses Geühl auch öfters."
Ich stimme Ihnen in diesem Fall uneingeschränkt zu. Wäre da nicht ein Ausländer, obendrein ein abgelehnter Asylbewerber, obendrein ein Schwarzer, obendrein im Osten umgekommen, das wäre eine Randnotiz in der Lokalpresse geblieben.
Auch bei dem ganzen Bums um die Essener Tafel kann man das wieder beobachten.
In anderen Fällen, in den Ausländer die Opfer sind wird auch ganz genau hingeguckt.
Aber in die falsche Richtung:
https://de.wikipedia.org/wik…
https://de.wikipedia.org/wik…
"Falschaussagen muss man beweisen können, um sie zu bestrafen."
Ja. Und dazu setzt man ein Verfahren in Gang, das ermittelt, ob es Beweise gibt.
Von so einem Verfahren ist aber weit und breit nichts zu sehen, obwohl der Anfangsverdacht eklatant ist. Das alleine müßte man eigentlich schon als Strafvereitelung werten.