DIE ZEIT: "Neun feministische Knaller", so nennt die Plattenfirma die Songs auf Ihrem neuen Album Record. Was hat man sich denn darunter vorzustellen?
Tracey Thorn: "Knaller", weil die Songs mehr Schmiss haben als die auf meinen letzten Platten. Das war mir wichtig: mehr Energie in tristen Zeiten! "Feministisch", weil ich in meinen Liedern immer Geschichten aus dem Alltag von Frauen beschreibe, Kleinigkeiten, die sonst kaum beachtet werden.
ZEIT: Auf Ihrem neuen Album besingen Sie zum Beispiel Verhütungsmethoden: "Every morning of the month you push a little tablet through the foil / Cleverest of all inventions, better than a condom or a coil".
Thorn: Deswegen haben die Texte einen feministischen Beigeschmack. Aber natürlich ist nicht jeder Song gleich eine Hymne auf den Feminismus. Mein Ansatz ist dezenter.
ZEIT: Sie haben zwei Töchter, beide sind jetzt 19. Haben Sie denen denn irgendwann erklärt, was das bedeutet: Feminismus?
Thorn: Das musste ich gar nicht. Was Feminismus bedeutet, haben die ohne meine Hilfe rausgefunden. Die verfolgen aufmerksam, was um sie herum geschieht. Sie sind online aufgewachsen, die nutzen das gesamte Wissen, das ihnen zur Verfügung steht. Als eine der beiden 15 war, teilte sie mir mit, dass sie sich einer feminist society an ihrer Schule angeschlossen habe. Ich war ziemlich beeindruckt. Ich dachte: Denen kann ich zu dem Thema nicht mehr viel erzählen. Im Gegenteil, ich habe einiges von ihnen gelernt.
ZEIT: Als Sie selbst 18 waren, hatten Sie gerade mit anderen Studentinnen die Band Marine Girls gegründet. Hatte die Gruppe als Frauenband mit Vorurteilen im männlichen Indie-Rock-Alltag zu kämpfen?
Thorn: Ich habe nie erlebt, dass Männer mich körperlich bedrängt haben. Allerdings sah man uns als seltsames Kuriosum, weil wir Frauen waren und noch sehr jung. Aber wir ließen uns nicht einschüchtern. Wir hätten damals nicht genau sagen können, was unser Plan ist, wir hatten kein raffiniertes, intellektuelles Konzept. Einfach aus reinem Instinkt rebellierten wir dagegen, so von oben herab behandelt zu werden. Ohne dass wir über das angemessene Vokabular dafür verfügt hätten.
ZEIT: Welches Vokabular?
Thorn: Wir waren jung, und ich hatte noch nichts über Feminismus gelesen oder mich mit den entsprechenden Theorien vertraut gemacht. Ich wollte einfach nur das Gleiche machen, was die Jungs machen durften. Und ich habe nicht eingesehen, dass das, was die Jungs machten, besser sein sollte als das, was wir Mädchen machten.
ZEIT: Hatten Sie damals Vorbilder? Frauen, die sich in der Rockmusik durchgesetzt hatten?
Thorn: Die Raincoats und Poly Styrene, die Sängerin der X-Ray-Spex – das waren natürlich Punk-Heldinnen für mich. Die theoretischen Grundlagen des Feminismus eignete ich mir aber erst im Laufe meines Studiums an, wo ich Sylvia Plath, Kate Millett und Audre Lorde las. Da hatte ich dann einige Aha-Erlebnisse, die mich die Vorgänge und Rituale der Musikindustrie besser verstehen ließen.
ZEIT: Bevor Sie bei den Marine Girls auftraten, spielten Sie kurze Zeit auch in einer Band zusammen mit Jungs.
Thorn: Ich erinnere mich, wie sich das angefühlt hat – so als würde man plötzlich Teil einer größeren Sache. Als wäre man einer coolen Gang beigetreten. Von außen wirkte diese Jungs-Gang so reizvoll, ich wollte unbedingt auch aufgenommen werden. Eine Weile hat mich das auch enorm euphorisiert. Dass wir gemeinsam am Nachmittag im Übungsraum Spaß hatten und dann abends in den Pub oder zu einem Konzert gingen.
ZEIT: Aber dann hatten Sie genug von den Jungs?
Kommentare
"Große Fortschritte hat die Musik ja in den vergangenen Jahrzehnten nicht gemacht."
Stimmt. Dieser ganze angestrengte Mist, der seit ca. 15 Jahren produziert wird, weder eingängig ist noch irgendwie Lust auf irgendwas macht, kann es mit den meisten Songs der genialen 90er Jahre nicht aufnehmen.
Ich pflichte Ihnen gerne bei, dass ich die 80er und die 90er spannender finde. Sie sollten Sich aber die Frage stellen, ob das möglicherweise weniger mit der Musik, als mit Ihnen selbst zu tun hat.
Die Frage ist doch, welche Fortschritte kann Musik denn noch machen? Ich bin jetzt in Physik und Medizin nicht so bewandert, aber irgendwann sind doch alle (für den Menschen hörbaren) Töne, Tonfolgen und Instrument-Kombinationen ausgereizt?
Klar, kann man einen Beat mithilfe von Fortschritten der Rechensysteme noch ein Stück schneller oder langsamer Takten, aber auch da ist es ab einer bestimmten Schnelligkeit nur noch ein Fieben.
Vielleicht ist einfach auch schon alles erfunden? Ich höre viel elektronische Musik und da ist auch schon alles auskombiniert. Klassik+Dupstep, Techno+Pop, Punk+Grindcore, Metal+DnB...
Was soll noch kommen? Das innovativste, was ich die letzten paar Jahre hörte, war Grillenzirpen, welches so verlangsamt wurde, dass es wie eine Stimme klang. Aber vielleicht war das auch nur Fake.
Ihre Argumente mögen auf den ersten Blick einleuchten. Alleine dass ich mich daran erinnern kann, diese erstmals in den 70ern gehört zu haben, bestätigt mich darin, dass nichts dran sein kann. Glauben Sie mir, da geht noch ganz viel. Der Mensch ist kreativ und alleine was weltweit täglich musikalisch neu geschaffen wird, ist endlos.
Die fortschreitende Technik wird auch für die Popmusik neue Bereiche erschließen. Die Syntheziser konnte man in den 70ern schließlich auch nicht vorhersehen. Und dann Elektro. Und dann Autotune. Es wird immer neue Soundkulissen geben, in denen sich die jeweils nächste Generation austoben kann.
Was dann natürlich in haltlosem Krach und nervendem Getöse endet! Und früher war die Musik sowieso besser.
;)
Es gab keine Notwendigkeit, den Synthesizer in den 70ern vorherzusehen, da gab es den schon ein paar Jährchen.
Also mit anderen Worten: Nachdem die 80er-Jahre-Platten immer weniger Verkäufe hatten, hatten EBTG mit dem Remix von "Missing" pures Glück gehabt, Millionen verdient, sich zur Ruhe gesetzt und Tracey Thorn macht jetzt einen auf Feminismus.
Ganz toll...
Richtig. Der Riesenhit war ja auch "nur" der Remix und nicht die eigentliche Albumversion.
Aber anscheinend hatte Tracey schon vorher das Gefühl, raus zu müssen. Und "auf Feminismus gemacht" hatte sie vorher scheinbar auch schon. Verstehe daher Ihren Sarkasmus nicht.