Wenn Simone Kalisch sagt, dass sie und ihr Mann jeden Tag daran erinnert werden, was alles schiefgelaufen ist, dann ist das wörtlich gemeint. Denn der Boden, auf dem Kalisch in diesem Moment steht, ist wirklich schief. Leider ist es der Fußboden ihres Wohnzimmers.
Die Kalischs haben gebaut. Beziehungsweise haben bauen lassen. Sie wollten es anders haben, als es sonst in Frankfurt-Seckbach aussieht, kein Fachwerk, keine bunten Fensterläden, sondern schlicht: ein geradliniges Design, große Fenster, viel Grau. Welchen Ärger das Ehepaar mit dem Bau hatte, erahnt man von außen nicht. Verbringt man allerdings einen Nachmittag im Inneren und unterhält sich mit den beiden, wundert man sich, dass das Haus überhaupt steht.
"Einen Hausbau, bei dem alles glatt läuft, gibt es nicht."
Am Ende wurde das Einfamilienhaus 100.000 Euro teurer als geplant, fast 30 Prozent mehr, als die Kalischs ursprünglich für den Bau hatten ausgeben wollen. Weil der Rohbauer pfuschte, der Parkettleger pfuschte, der Fliesenleger pfuschte – um nur drei Beispiele zu nennen. Mit solchen Problemen ist das Ehepaar nicht allein: "Einen Hausbau, bei dem alles glatt läuft, gibt es nicht", sagt Florian Becker, Vorstandmitglied des Bauherrenschutzbundes (BSB). Das war schon immer so – aber hat sich die Situation seit dem Bauboom verändert?
Fast 410.000 offene Stellen gab es im Dezember 2017 allein für Fachkräfte im Bauhandwerk, das berichtet die Arbeitsagentur in ihrer aktuellen
Fachkräfteengpassanalyse.
102 Tage dauerte es im Schnitt, eine Stelle zu besetzen. Im Hoch-, Tief-, Aus- und Trockenbau könne demnach in Rheinland-Pfalz, Bayern, Baden-Württemberg, Brandenburg und Sachsen von einem Fachkräftemangel gesprochen werden, heißt es, und auch in den übrigen Bundesländern seien Mängel erkennbar. Unbesetzte Helferstellen sind hier noch gar nicht mitgezählt. Die Knappheit zeigt sich auch in den Preisen: Diese sind für Neubauten im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozent gestiegen, so viel wie seit Ende 2007 nicht mehr. Heißt das, dass Handwerker mit den Großaufträgen heute so ausgelastet sind, dass sie nicht mehr am klassischen Kleinkundengeschäft interessiert sind? Dass die Qualität nachlässt?
Leser berichten von Pfusch und Abzocke am Bau
Um das herauszufinden, haben wir die ZEIT-Leser vor einigen Wochen aufgefordert, uns von ihren Erfahrungen zu berichten. Hunderte Zuschriften haben uns erreicht. Einige Leser sind zufrieden, schreiben von sauberen Baustellen, guter Arbeit und Pünktlichkeit. Die meisten Zuschriften allerdings handeln von Pfusch und Abzocke am Bau.
Das Ehepaar Kalisch – sie 52 Jahre alt, Innenarchitektin, er 52, IT-Architekt – hatte fast mit jedem Gewerk Ärger, und der fing schon beim Rohbau an: Der Grundriss ist um vier Zentimeter verschoben, weil die Maurer unsauber arbeiteten – das Haus ist also nicht mehr rechtwinklig. So kommt es, dass beispielsweise das Parkett nicht parallel zur Wand abschließt und ein Eckfenster nicht passte. Das neue, das nachbestellt werden musste, hat aber eine dunklere Tönung – und lässt die Außenwelt grauer erscheinen. "Wenn ein Handwerker etwas falsch ausgemessen hat, zieht sich der Ärger durch alle Gewerke", sagt Simone Kalisch.
Das gilt auch für die Verzögerungen am Bau. Weil der Maurer zum vereinbarten Baustart kein Gerüst auftreiben konnte, verzögerte sich allein der Bau der Grundmauern um zwei Monate. Am Ende zogen sie ein halbes Jahr später als geplant in ihr noch längst nicht fertiges Haus ein. Das geht vielen Bauherren so: Jedes zweite Eigenheim wurde in Deutschland nur mit Verzögerung fertig, das hat die Bauherren-Studie 2017 der Beratungsfirma Almondia ergeben. Ein Viertel der Eigenheime konnte danach erst drei Monate nach Plan oder noch später bezogen werden.
"Wenn Sie jetzt nicht gehen, bringe ich Sie um!"
Im Haus der Kalischs sind alle Holzböden uneben, das Abschleifen nahm der beauftragte Betrieb nicht so genau. Die Fußleisten haben nun mitunter einen Abstand von mehr als einem Zentimeter zum Parkett. Zudem verpassten die Handwerker allen bodentiefen Fenstern mit der Schleifmaschine einen Schlitz, der mit einer zusätzlichen Leiste kaschiert werden muss. Eines Tages konnte Simone Kalisch nicht mehr: "Wenn Sie jetzt nicht gehen, bringe ich Sie um!", ließ sie den gerade anwesenden – und schlecht arbeitenden – Parkettleger wissen. Ernst war das natürlich nicht gemeint.
Kommentare
Ja mit den Handwerkern der Wohnungsbaugesellschaft . Die bekommen ihre Aufträge sowieso. Beschwerden helfen auch nicht immer.
Der Immobilienboom in Deutschland ging mit der Bologna- und G8-Reform und dem OECD-Mantra, wir hätten zu wenig Akademiker, einher, was dazu führte, dass immer mehr Schüler zum Studieren in die Städte zogen und das (günstige) Wohnangebot knapp wurde.
Das war vor gut 10 Jahren, es gab damals schon etliche Fernsehreportagen über dieses neue Phänomen, welches seitdem kontinuierlich anhält. Ein Ende der Akademisierungswelle ist nicht in Sicht.
Ein anderes seit dem Ende der Bankenkriese, auch gut 10 Jahre her, ist die Nullzinspolitik der Zentralbanken, die dafür sorgt, dass billiges Geld den Mark überflutet und es keine Zinserträge mehr durch Finanzgeschäfte gibt. Somit flüchten nicht nur Kleinsparer, sondern auch große Fonds in "Betongold", was die Preise auf dem Immobilienmarkt explodieren lässt. Auch hier ist ein Ende nicht in Sicht.
Die haben wohl einen Vertrag mit der Wohnungsbaugesellschaft.
Sie werden sich daran gewöhnen müssen, dass ein guter Bauhandwerker mehr verdient als eine Produkt der verbilligten Massenbildung wie ein Journalist.
Nützlichkeit schlägt Schwätzerei.
Klar wünschen Sie sich als Handwerker, mehr zu verdienen. Aber wenn Sie Ihr Handwerk genauso gut beherrschen wie die Grammatik, dann sehe ich da schwarz für Sie
Ich kann jedem nur abraten, bei der aktuellen Situation größere Handwerksaufträge zu vergeben. Aus meiner beruflichen Praxis weiß ich, dass Baumängelprozesse keine Seltenheit sind und für den Kunden, der als Kläger in einer deutlich schlechteren Position ist als der Handwerker sind diese Prozesse kaum zu stemmen. Dabei sind die Honorare für die Anwälte und die Gerichtskosten das kleinste Problem, sondern der größte Posten sind die Gutachterkosten von locker 500 Euro/h. Das darf man als Kläger alles vorstrecken. Ohne gute Rechtsschutzversicherung zahlt man 5-stellige Beträge und bis der Prozess in 2-3 Jahren durch ist, ist der Handwerker im dümmsten Fall schon insolvent.
Gerade weil die Handwerker aktuell eine so marktbeherrschende Stellung haben, können sie sich die Kunden aussuchen und Pfusch sogar einkalkulieren. Aus eben diesen Gründen habe ich selbst bisher davon abgesehen, ein Haus zu bauen.
Aus eben diesen Gründen habe ich selbst bisher davon abgesehen, ein Haus zu bauen.
Ich bin gerade bei den Vorbereitungen für den Bau einer Immobilie und werde wieder einen Baugutachter engagieren, der jede einzelne Bauphase begutachtet - erst nach seinem OKAY gibt es Geld. Damit bin ich bisher sehr gut gefahren und glaube - vorausgesetzt, der Gutachter macht mir nichts vor - so vor echten Katastrophen verschont geblieben zu sein. So ein Gutachter kostet natürlich ordentlich Geld, ist aber jeden Cent wert.