Es ist ein starkes Bild. Da steht der neue bayerische Ministerpräsident und hält ein Kreuz an die Wand – wie ein Feldzeichen der Reconquista: Wir holen uns unsere Heimat zurück! Jetzt wissen wir endlich, worauf die bayerische Parallelaktion von Seehofer und Söder zielt. Im Bund wird ein Heimatministerium errichtet, im Freistaat werden die Symbole der Tradition wiederbelebt. Nach einem Kabinettsbeschluss sollen Behörden des Landes ein Kreuz zeigen, und der Ministerpräsident hat in der Staatskanzlei höchstselbst das Werk begonnen.
Die Reaktion, der Aufschrei, er war zu erwarten. Er erfolgte wie nach dem Münzeinwurf in einen Automaten: prompte Lieferung der bestellten Ware. "Populistische Effekthascherei" oder der "Kruzifix-Coup als Wahlkampf-Maßnahme" waren noch die kühleren Analysen, die Rede vom Missbrauch des Kreuzes als "Dominanzsymbol", der Vorwurf der "Verstaatlichung des Kreuzes" war im Bundestag zu hören, das wurde auch von der katholischen Kirche aufgenommen und von "Enteignung" gesprochen. Im Netz ging es teils schlichter, teils witziger zu, wenn vom drohenden weiß-blauen "Gottesstaat" oder von Söder, dem "Talibayern", die Rede war. Auch das Argument der Verfassungswidrigkeit ließ nicht auf sich warten: Verletzt der Freistaat das Neutralitätsprinzip, das dem säkularen Staat Distanz zu Glaubensinhalten und Glaubenssymbolen abverlangt?
Die verfassungsrechtliche Diskussion über das Kreuz in öffentlichen Räumen ist alt. Die USA mit einer religiös weit stärker durchwirkten politischen Landschaft handeln hier stellenweise beinah laizistisch rigide, und dort entstehen schon Probleme mit dem Aufstellen eines Weihnachtsbaums durch die Gemeinde. Man will, season’s greetings lassen grüßen, niemanden verletzen, niemanden ausgrenzen, der im Kreuz das Symbol des Anderen, des Fremden oder gar des Feindlichen sieht.
In Deutschland führen wir eine vergleichbare Diskussion seit 23 Jahren. Mit dem Kruzifix-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ging es um eine Regelung der Bayerischen Volksschulordnung von 1983, in der es hieß: "In jedem Klassenzimmer ist ein Kreuz anzubringen. Lehrer und Schüler sind verpflichtet, die religiösen Empfindungen aller zu achten." Nachdem diese Vorschrift als Eingriff in die negative Religionsfreiheit, also den Anspruch, von religiösen Bekundungen im Schulunterricht frei zu bleiben, beanstandet worden war, reagierte der bayerische Gesetzgeber mit folgender Vorschrift: "Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht." Ein Schalk, wer hier an bayerisch-fränkische Schlitzohrigkeit denkt. Neben diese Bestätigung der alten Anordnung wurde allerdings auch eine Konfliktregelung gesetzt, die bei Protest von Eltern gegen das Kreuz eine auf gütlichen Ausgleich zielende Verfahrensweise vorschreibt.
Darf das Rote Kreuz in Zukunft noch das religiöse Symbol nutzen?
Die Regelung hat bislang Bestand. Von einer klaren Verfassungswidrigkeit des Söderschen "Kreuzzugs" mit der verwaltungsinternen Vorschrift, im Eingangsbereich von Dienststellen des Landes ein Kreuz anzubringen, kann schon vor diesem Hintergrund keine Rede sein. Dies gilt umso mehr, als eine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg auf Beschwerden gegen italienische Schulkreuze zwar zuerst ganz so wie das Bundesverfassungsgericht optierte und sie also abgehängt wissen wollte, dann aber in letzter und verbindlicher Instanz die Große Kammer des Straßburger Gerichtshofs eine spektakuläre Wendung vollzog.
Mit Urteil vom 18. März 2011 hielt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine staatlich auferlegte Pflicht zur Anbringung von Schulkreuzen mit dem Prinzip des säkularen Staates für vereinbar. Der Gerichtshof sieht durchaus im Kreuz vor allem anderen ein religiöses Symbol und nicht lediglich ein kulturelles Zeichen eigener Herkunft und Identität. Und dennoch – so Straßburg – sei es keinem Staat versagt, das religiöse Zeichen für sich als Symbol eigener Herkunft und Identität zu nutzen, solange daraus keine weltanschauliche oder religiöse Indoktrination werde.
Der Gerichtshof hat dem bloßen Kreuz an der Wand einer staatlichen Schule eine solche suggestive Wirkung mit guten Gründen nicht zugesprochen. Die Bedeutung liegt eben sowohl im Symbol selbst wie auch im Auge des Betrachters. Während die Anbringung eines großen, ständig und unausweichlich im Blick liegenden Kruzifixes mit dem verkörperten, leidenden Jesus so symbolisch suggestiv wirken kann, dass die Schwelle zum unverhältnismäßigen Eingriff in die negative Religionsfreiheit überschritten wäre, so ist das schlichte Kreuz in öffentlichen Räumen frei von solch überwältigender Symbolkraft.
Kommentare
Weil das Rote Kreuz auch überhaupt nix mit Religion zu tun hat gibt es ja nun auch den Roten Halbmond. Religion spaltet auch hier gegen menschliche Interessen.
Im 1. Weltkrieg spielte das ja noch keine Rolle, aber auch damals ging es um Religion im KuK mit kriegstreiberischen Briefen der Bischöfe an den Ö.Kaiser.
Weil die religiösen Symbole beim Eintreten in Staatliche Behörden sowohl für heimelige Beruhigung als auch für Provokation sorgen können, gab es mal Weise die sich für sachliche Dialoge frei von Religion einsetzten.
Ganz offensichtlich gehören da weder Söder noch di Fabio dazu.
Übrigens steht Gott nicht im Grundgesetz sondern, man hat die Religion draussen in der Präambel stehen lassen. Heute wäre das Weglassen einer absurden Gottesbehauptung selbst in der Präambel allein schon aufgrund der verlorengegangenen christlichen Mehrheit adäquat.
Und mit christlicher Mehrheit meine ich nicht die Leute die gedankenlos akzeptieren was schon immer gesagt wurde, sondern die mal versucht haben sich ein eigenes Weltbild zu entwickeln.
"Heute wäre das Weglassen einer absurden Gottesbehauptung ..."
Wenn ich so etwas lese, wird immer mehr deutlich, dass man der Ex-DDR-Bevölkerung einst zuviel Kulturschock zugemutet hat.
Der dortige religiöse Analphabetismus und die rigide Staatsgläubigkeit hätte man zunächst ihrer eigenen Krise überlassen sollen, in der die dortige Bevölkerung möglicherweise eine eigene Entwicklung gemacht hätte. Die größtenteis infantile wir agressive Religionsfeindschaft und Intoleranz die von dort ebenso wie der politische Extremismus ausgeht, wäre weniger zerstörerisch.
"Schon die NSDAP hatte"
Die erste Aktion, bei der die Kreuze aus den Behörden und Schulen entfernt wurden, ging bekanntlich von den Nazis aus.
Bin ich jetzt also Nazi wenn ich mich dafür einsetze, das Söder keine Kreuze in Behörden aufhängt?
Man glaubt es nicht.
Nein.
Noch was?
+++Gott steht im Grundgesetz+++
Wir haben hier eine Wertedebatte, in der die mühsam erarbeiteten Fortschritte der Säkularisation über den Haufen geworfen werden.
Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der erste Islamvertreter um die Ecke kommt, von wegen:
Gott steht im Koran.
Und dann haben wir eine politische Religionsdebatte oder eine religiöse Politikdebatte Christentum / demokratische Werte / Islam.
Ein Bärendienst, die ganze Diskussion.
re: "Gott steht im Grundgesetz": das ist der Tradition geschuldet.
Die überwiegende Mehrheit der Menschen war 1949 christlich getauft und erzogen und Gottes-gläubig. Eide schwor man auf die Bibel, auch den Amtseid.
Heute hat das - sehr zum Bedauern der christlichen Kirchen - keine echte Bedeutung mehr. So steht der "Gottesbezug" auch nicht mehr in der EU-Verfassung:
http://www.bpb.de/nachsch...
"Den Gottesbezug forderten insbesondere Polen, die Kirchen und die Europäische Volkspartei. Dagegen wandten sich einige politische Gruppierungen sowie v. a. Frankreich mit seiner säkularen und laizistischen Staatsauffassung. "
Herr diFabio kann seine persönliche Gottesbeziehung halten, wie er will, für Europas Bürger ist sie nicht mehr wichtig.
Weiter: wenn es um die "Werte" in der EU geht, die es hochzuhalten gilt, dann sind dies die MENSCHENRECHTE.
Wie ich hier schon oft nachgewiesen habe, leht insbesondere die katholische Kirche die Menschenrechte ab. Der Vatikanstaat hat als einziger europäischer Staat die Menschenrechts-Charta der UN nicht unterzeichnet:
http://www.deutschlandfun...
"Der Vatikan ist einer der wenigen Staaten, die die Menschenrechtscharta der UNO bis heute ablehnen. Der Grund: Bis heute stellt die Katholische Kirche das Recht Gottes höher als das Menschenrecht."