Während ich diese Kolumne schreibe, sitze ich allein in einem Hotel im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo. Es ist noch früh, die Temperatur erträglich, der Nebel über dem Kivu-See kühlt die kleine Stadt Goma, während der Sabyinyo-Vulkan unablässig weißen Rauch ausspuckt. Es ist ein besonderer Ort, und ich hasse es, hier zu sein. Ich muss ein so starkes Wort wie "Hass" verwenden, weil es die Wahrheit ist. Ich bin allein hier, und deswegen finde ich es unerträglich.
Ich bin kein großer Freund des Alleinreisens, ich bevorzuge die Gruppe, die Freundin, den besten Freund. Gemeinsam reisen ist Urlaub, selbst wenn es Arbeit ist, allein reisen ist immer Arbeit, auch wenn es Urlaub ist. Wer allein reist, der beschäftigt sich mit sich selbst, mit seinen Gedanken. Es ist Therapie – und wer abbricht, empfindet ein seltenes Gefühl von echtem Versagen. Das Ticket umbuchen, früher zu Hause sein als geplant, der ständige Gedanke, etwas verpasst zu haben oder zu schwach zu sein. Es ist zermürbend, und trotzdem sage ich: Jeder sollte wenigstens ein Mal in seinem Leben allein gereist sein. Aus drei Gründen. Die Stille, das Überwinden von Problemen, ohne sich auf jemanden verlassen zu können – und das daraus resultierende Wachsen.
Das erste Mal habe ich mich allein auf den Weg gemacht, als ich fürchterlichen Liebeskummer hatte. Ich musste weg aus Berlin und bin in vier Monaten einmal um die Welt gefahren. Ich habe mich so wenig mit Menschen unterhalten, dass ich verstanden habe, warum alte Menschen immer so viel reden, wenn man sie lange nicht gesehen hat. Sie haben viel nachgedacht – und wollen nun ihre Gedanken teilen. Ich habe auf dieser Reise 17 Kilogramm abgenommen und gelernt, was Stille ist. Ich habe angefangen, ein Buch zu schreiben (das einen dummen Titel trägt, dafür kann ich aber nichts). Ich habe gelernt, andere reden zu lassen. Obwohl ich einsam war, kam ich als besserer Mensch zurück. Und der Liebeskummer war auch weg.
Auf anderen Reisen, auf denen ich allein war, hatte ich Infektionskrankheiten, hatte einen mittelschweren Verkehrsunfall, wurde bestohlen, habe Flüge verpasst, habe leere Versprechen gemacht; und daraus gelernt, wie man Probleme löst. Allein. Ohne Ratschläge von Freunden, ohne das Internet. Probleme auf Reisen sind oft äußerst individuell, ihre Lösung setzt voraus, dass man sich sehr konzentriert. Das gelernt zu haben bringt mir bis heute was. Es hat dazu geführt, dass ich im Kongo sein kann sowie am Kottbusser Tor in Berlin. Und tatsächlich hat es mir die Angst vor der Welt genommen: Was kommt morgen? Eine Frage, die im Heute nicht beantwortet werden kann. Die größte Sorge der westlichen Welt ist das Morgen. Im Rest der Welt zählt das Heute.
Und während ich hier sitze und das schreibe, mit meinem Fuß an meiner schusssicheren Weste, die ich unter dem Schreibtisch in meinem Zimmer versteckt habe, spüre ich auch, mal wieder, wie sehr ich das Alleinsein verabscheue. Vermutlich ist das mit allem so, was gelernt, geübt und verinnerlicht werden muss. Sprachen, Sport, Mathe, Kunst. Der Prozess des Lernens nervt, doch das Ergebnis überzeugt. Egal ob man allein im Kongo ist oder im Harz.
Kommentare
Alleine zu reisen muß doch keine Qual sein. Wenn man Kontakt will, ergibt es sich (fast) von allein. Will man Ruhe, geht das auch.
Dieser Mensch reist nicht, er bestraft sich selbst. Kongo, schusssichere Weste, Infektionskrankheiten...
Warum nicht einfach ein schönes Zimmer an der Ostsee nehmen. Z. Bsp. auf Zingst. Morgens gut frühstücken, dann eine Tour mit Radwanderkarte oder entspr. App planen und mit dem (Miet-)Fahrrad losfahren.
An einem schönen Strand absteigen und eine Runde schwimmen. Anschließend, je nach Tageszeit, ein Fischbrötchen mit Bier oder Kuchen und Kaffee genießen. Ein Museum oder einen Hafen besichtigen. Oder einfach etwas im Schatten sitzen und ein spannendes Buch lesen.
Später, wenn die Strände sich langsam leeren, mit dem Metalldetektor nach verlorenen Münzen und Schmuck suchen. Oder noch eine Runde schwimmen. Oder etwas flirten.
Abends gut essen gehen. Alleine findet man fast immer einen Platz. Man lässt sich irgend wo dazu setzen und hat so die Chance interessante Leute kennen zu lernen. Und falls nicht im Restaurant, dann später in einer Bar bei einem guten Glas Rotwein.
Gut gesättigt und mit gesunder Müdigkeit nach viel Bewegung an der frischen Luft geht es zufrieden ins Bett. Und niemand der nervt mit "Morgen will ich in die Sauna" oder "Ich habe Muskelkater. Morgen nehmen wir den Bus" oder "Zwei Bier sind genug. Wir gehen jetzt!"
Einfach herrlich! Und unser Autor muss noch viel lernen...
Die Gründe für's Alleinreisen: Stille und das Überwinden von Problemen, ohne sich auf jemanden verlassen zu können, finden sich auch in meinem Alltag. Beim Alleinreisen konnte ich jedenfalls diesbezüglich keinen Unterschied wahrnehmen.
Der Sinn des Reisens ist auch immer wieder seine Komfortzone zu verlassen und neue Erfahrungen zu machen. Das passiert im Alltag fast nie, außer Sie sind Extrembergsteiger.
Alleine zu reisen ist nicht das schlechteste Reisen. In den allermeisten zwischenmenschlichen Fällen halte ich es sogar für das beste reisen, weil ich kompromisslos machen kann was und wann ich es will. Das ist gerade beim reisen schön, weil so vieles mich in irgendwelche Richtungen zieht, von einer Minute zur anderen, da muss ich nicht diskutieren sondern meinem inneren Pfeil umgehend folgen. Menschen kann man doch sowieso überall treffen, andere Reisende und vor allem Einheimische. Kommen und gehen, nach gusto und völlig unverbindlich- beste Vorraussetzungen im Jetzt zu sein.
Alleinreisen hat den Vorteil, dass man auf niemand Rücksicht nehmen muss.
Da ist keiner müde,
Da hat keiner Hunger,
Da hat keiner keine Lust mehr,
Da will keiner weitergehen,
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