Beim G20-Gipfel in Japan war Emmanuel Macron noch dabei. Der französische Präsident stand mit auf der Bühne, als Staats- und Regierungschefs der EU das Handelsabkommen mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur feierten, dem Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay angehören. Und er protestierte nicht, als EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker "das umfangreichste Handelsabkommen, das die EU je geschlossen hat", feierte. Macron schien sich auch darüber zu freuen, dass Europa ein Zeichen gegen den Protektionismus von Donald Trump gesetzt hat.
Tatsächlich kann durch das Abkommen nach 20 Jahren zähen Verhandelns eine der größten Freihandelszonen der Welt entstehen, ein Markt mit mehr als 772 Millionen Konsumenten. Beide Seiten wollen in den kommenden Jahren fast alle Einfuhrzölle für Produkte aus dem anderen Block senken. Die europäische Automobilindustrie, die Maschinenbauer und die chemische Industrie, aber auch die Textilindustrie würden künftig viel mehr Waren nach Lateinamerika liefern können. Entsprechend groß ist der Jubel in der Industrie.
Doch dann das: "Frankreich ist derzeit nicht bereit, das Abkommen zu ratifizieren", sagte Regierungssprecherin Sibeth Ndiaye am Dienstag im französischen Rundfunk. Man verlange zusätzliche "Garantien", etwa für den Schutz des Regenwaldes am Amazonas – und für die französischen Rinderzüchter. Was nun wiederum zu großer Freude bei den Grünen und den Umweltschützern führt. Denn die fürchten, dass durch das Abkommen noch schneller Bäume im brasilianischen Regenwald fallen. Dass noch mehr bisher unberührte Natur öden Monokulturen weichen muss, weil dort künftig Soja angebaut wird oder Pflanzen, die dann zu Treibstoff verarbeitet werden. Und dass das Abkommen ganz nebenbei auch noch der europäischen Landwirtschaft schadet. Weil die mit der Konkurrenz aus Südamerika nicht wird mithalten können.
Wieder prallen damit die zwei Erzählungen von der Welt und der Frage, wie sie am besten zum Wohle der Menschen genutzt werden sollte, aufeinander. Die Wirtschaft jubelt über neue Märkte. Umweltschützer warnen. Und Macron steht erst auf der einen und dann auf der anderen Seite. Welcher Macron hat also recht, der erste oder der zweite?
Um das zu klären, muss man kurz in die Vergangenheit schauen, in die Zeit, in der es um TTIP ging. Das Freihandelsabkommen sollte einst zwischen den USA und Europa geschlossen werden, dann aber wurde Donald Trump Präsident und verwarf das Projekt. Zuvor hatte die EU-Kommission wegen der heftigen Proteste gegen das Abkommen bereits versprochen, künftig in der Handelspolitik vieles besser zu machen. Sie blieb zwar beim Grundsatz, dass mehr Handel besser ist als weniger. Aber sie versprach auch: Bei neuen Abkommen werde darauf geachtet, dass Handelspartner ihre Produkte in Europa nicht deswegen billig verkaufen können, weil sie ihre Bürger ausbeuten und ihre Natur ruinieren.
Aus diesem Grund wurde erst das europäisch-kanadische Abkommen Ceta leicht nachgebessert. Wichtiger aber noch war der Plan, robuste Standards für die Handelspolitik insgesamt zu entwickeln. Wenn ein Land nachweislich Ökodumping betreibt oder Arbeiter ausbeutet und so seine Exporte verbilligt, dann soll die EU dagegen vorgehen können. Kanada baut so etwas inzwischen in Verträge ein. In Brüssel aber ist seither wenig geschehen. Und genau das rächt sich jetzt beim Abkommen mit dem Mercosur – womit der zweite Macron ins Spiel kommt, derjenige, der das Abkommen jetzt doch nicht ratifizieren will.
Auch der französische Präsident will weiterhin, dass die EU Handelsverträge schließt, schon um dem Nationalismus von Trump ein kooperatives Modell der internationalen Beziehungen entgegenzusetzen. Aber er will eben auch Verträge, die der Umwelt nicht massiv schaden. Und deswegen ist Macron zwar grundsätzlich für den Mercosur-Deal, will ihn aber nachbessern.
Das Ganze klingt zunächst nach dem typischen Protektionismus der Franzosen, die sich immer vor ihre Bauern stellen. Dieses Motiv indes verbindet Macron mit dem Schutz des brasilianischen Regenwaldes – und genau das macht seine Haltung dann doch interessant.
Seine Argumentation: Das Mercosur-Abkommen wird für ein verstärktes Angebot an Lebensmitteln in der EU sorgen, weil die in Südamerika billiger produziert werden. Allein der Fleischimport in die EU soll sich, so prognostiziert die EU-Kommission, in den kommenden Jahren verdreifachen. Um künftig noch mitzuhalten, müssen die europäischen Bauern also billiger werden. Das wiederum verträgt sich jedoch nur schlecht mit mehr Klimaschutz. Denn wer den ernst nimmt, der muss weniger Dünger auf die Felder bringen und wenigere Tiere halten. Das macht die Landwirtschaft teurer.
Besonders schwierig wird es, wenn die europäischen Bauern gegen Konkurrenten antreten, die nur deswegen billig sind, weil sie ausbeuterisch arbeiten. Und genau das könnte passieren: Schon in der kurzen Amtszeit von Präsident Jair Bolsonaro in Brasilien haben die politischen Morde massiv zugenommen, besonders Umweltschützer werden bedroht. Wenn die Südamerikaner ihre Lebensmittel künftig weitgehend zollfrei nach Europa liefern können, nimmt der Terror vielleicht noch zu, weil es sich mehr auszahlt, Urwälder abzuholzen. Auf der Fläche lässt sich schließlich alles Mögliche für den Export anbauen, nicht zuletzt das Soja, das dann an europäische Kühe verfüttert wird, deren Milch die EU nach China verkauft.
Früher hätte man dazu gesagt: Das ist eben Globalisierung. In Zeiten der Klimakrise aber ist das schwieriger. Deswegen fordert Macron zu Recht Nachbesserung oder konkret: die Möglichkeit, Importe zu stoppen. Auch im neu gewählten Europaparlament regt sich Widerstand gegen das Abkommen. In Verhandlungen mit den Regierungen und dem Parlament könnte tatsächlich nachgebessert werden.
Kommentare
"Früher hätte man dazu gesagt: Das ist eben Globalisierung. In Zeiten der Klimakrise aber ist das schwieriger. "
Richtig, andernfalls bleiben Klima- und Umweltschutz, Tierschutz und Menschenrechte weiterhin auf der Strecke!
Es ist schon in Europa nicht besonders gut um die Einhaltung von Tierschutz und Erhalt von Artenvielfalt in der Landwirtschaft und Agrarindustrie bestellt.
Noch billigere Importe bedeuten, wo anders Raubbau an der Natur durch Ausrottung von Flora und Fauna und Tierquälerei voran zu treiben, denn sonst wird es nicht billig.
Es sind nicht nur Arbeitskräfte und Bauern, die in ärmeren Ländern durch Ausbeutung leiden, sondern auch die Tiere!
So etwas darf nicht unterstützt werden!
Die Frage, die sich mir dabei stellt, ist doch wie verhält sich das Handelsabkommen mit der aktuellen Diskussion um CO2 Steuer?
Wenn Rindfleisch von Weiden kommt, die
- vorher radikal abgeholzt worden sind,
- die weit entfernt liegen, d.h. es ein energiereicher Transport und eine energiereiche Kühlkette vorliegt ,
dann dürfte hier das Steak mal eben 20 Euro mehr kosten (bei 50 Euro pro Tonne CO2)!
Die Frage ist also für mich sind CO2 Steuern nach dem Handelsabkommen möglich oder nicht, wenn ja habe ich kein Verständnis für Macron, denn dann hätte eine CO2 Steuer plötzlich für die Gelbwesten im Land einen positiven Effekt!
Aber langsam glaube ich bei Macron geht es nicht mehr um Inhalte sondern nur um machterhalt und PR!
Schade, ich hatte mich schon auf umweltfreundlichen Sprit aus dem Urwald gefreut.
Und die Amazonaskartoffeln sind eine Delikatesse, habe ich mir sagen lassen.
Es schmeckt ja alles dreimal so gut, wenn man weiß, dass es den Atlantik überquert hat.
>> Welcher Macron hat also recht, der erste oder der zweite? <<
Und vor allem: welcher Macron gewinnt am Ende den internen Machtkampf mit Macron? Es ist vollkommen müßig, auf Leute zu setzen, die heute dies und morgen das wollen, weil man nie weiß, was man am Ende unterstützt hat.
Insofern ist es bedauerlicherweise mal wieder vollkommen egal, welcher Macron recht hat.
Naja etwas strukturierter als Trump wirkt er schon.
Ich finde es vorbildlich, wenn Politiker ab und an Entscheidungen revidieren und zwar wenn sie merken, dass die frühere Entscheidend falsch war.
>> Naja etwas strukturierter als Trump wirkt er schon. <<
Unbedingt. Aber wir wollen Trump doch nicht zum Maßstab erheben ;-)
Ich sehe da keine zwei Macrons. Ich sehe einen, der den Vertrag will, nur eben besser. Schutz der eigenen Landwirtschaft sollte für jeden Staat wichtig sein und in der momentanen Situation nicht das Thema Umweltschutz mit aufzubringen, wäre fahrlässig.
Ich mag ihn nicht besonders, aber hier ist sein Nein zur aktuellen Vertragsversion eindeutig richtig.
>> Ich mag ihn nicht besonders, aber hier ist sein Nein zur aktuellen Vertragsversion eindeutig richtig. <<
Ohne Zweifel. Nur halt mit dem Wörtchen "wäre" statt "ist". Die Autorin weist ja dankenswerterweise darauf hin, dass "Macron ... erst auf der einen und dann auf der anderen Seite" steht.
Mal gucken, wo er diesmal stehen bleibt. Und wenn ja, wie lange. Das wüsste ich dann doch gern, bevor ich Beifall spende.
ich finde das bedenklich, es bedeutet das der/die politiker/in sich nicht seriös auf das geschäft vorbereitet hat. fatale fehler meines erachtens
Macron hat recht: Vereinbarungen, gar Verträge, mit Ländern abzuschliessen, die mit Absicht die Umwelt schädigen, passt nicht in eine Politik, die Klima und Umwelt schützt, bzw. vorgibt, dies zu tun.
Ach was Macron sind die Wälder scheissegal wenn er dafür Garantien für die französische Landwirtschaft bekäme
Warum nennt er beides in einem Atemzug? Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Und die Leute fallen auf Rhetorik und "Jugend" herein