Vergangene Woche ist die Philosophin Ágnes Heller gestorben, die einmal meinte: "Die Frauenbewegung ist die bisher größte Revolution der Menschheit. Und im Gegensatz zu allen anderen Revolutionen wird sie eines Tages vollendet sein." Schwer zu sagen, ob das optimistisch oder ernüchtert klingen sollte. "Wird sie" heißt jedenfalls auch: "Ist sie noch nicht."
Den andauernden Kampf zwischen Revolution und Reaktion konnte man in diesen Tagen an anderer Stelle gut beobachten. In denselben Zeitungen, in denen die Nachrufe auf Heller erschienen, stand auch etwas über einen Auftritt des amerikanischen Komikers Louis C.K. in Italien. Berichte über den Comebackversuch eines Geächteten.
Bis C.K. im November 2017 über Vorwürfe sexueller Belästigung stürzte, war er der vielleicht berühmteste, erfolgreichste Stand-up-Comedian der Welt gewesen. Mit dem Skandal aber stellte man seine (wie ich finde, teilweise unglaublich gute) Fernsehserie Louie ein, seine Auftritte wurden abgesagt, die Premiere eines Kinofilms (er war Hauptdarsteller, Regisseur, Autor und Produzent) wurde gestrichen. C.K.s Karriere war gewissermaßen über Nacht cancelled.
C.K. hatte mehrmals vor Frauen masturbiert, die man als seine Kolleginnen bezeichnen könnte, aber auch als seine Schützlinge. Sie waren jedenfalls eher seine Untergebenen denn seine Vorgesetzten. Im Zuge von #MeToo machten die Frauen diese Vorfälle öffentlich und bekannten, dass sie sich von C.K.s Verhalten sexuell belästigt gefühlt hatten, wobei "sexuelle Belästigung" im Zweifelsfalle ja immer harmloser klingt, als sie sich anfühlt.
Dieser Tage versucht also Louis C.K. wieder in sein Berufsleben zurückzufinden. Und viel interessanter als die Frage, ob man noch über seine Witze lachen kann, scheint mir die Frage, ob man es wieder darf. Wenn #MeToo eine gesellschaftliche Neuverhandlung der Grenzen unternahm, die zwischen den Geschlechtern zu wahren sind, dann geht es nun bei C.K. um die Frage, wie schwer die Konsequenzen vergangener Grenzüberschreitungen denn ausfallen sollen. Und es geht um die Frage, wer das denn eigentlich bestimmt.
Es gab kein Gericht, vor dem C.K. schuldig gesprochen wurde, es gab eher einen diffus bestimmten, aber relativ zügig gefundenen Konsens darüber, dass er keine Bühne mehr bekommen sollte. Es war, wenn man so will, die unsichtbare Hand, der Markt, der entschied. Die Nachfrage war deutlich gesunken.
Und weil noch nicht einmal die Frauen, die C.K.s Vergehen öffentlich machten, berechtigt sind, über die Frage zu entscheiden, ob er denn nun durch seinen tiefen Fall eigentlich genug gesühnt hat – diese Frauen können ihm zwar persönlich verzeihen oder nicht, sie können aber weder bestimmen, wie die Welt insgesamt über ihn denkt, noch seine Schuld von ihm nehmen –, liegt diese Frage, glaube ich, beim Konsumenten. Bei mir. Gucke ich mir Louis C.K. an, gehe ich zu seiner Show oder nicht?
C.K. erklärte damals, er habe gedacht, sein Verhalten sei okay gewesen, weil er nie einer Frau seinen Penis gezeigt habe, ohne zu fragen. Abgesehen davon, dass er es vielleicht doch hätte ahnen können, dass sein Masturbieren für diese Frauen belästigend sein könnte, ist meine Antwort auf die Frage, ob man wieder zu ihm gehen darf: leider nein. Leider, weil ich ihn in vielerlei Hinsicht wirklich für einen großen Künstler gehalten habe. Und nein, weil ich glaube, dass sein Comeback an sich bedeutet, dass er nichts verstanden hat.
Die ganze Pointe an #MeToo ist nämlich, dass C.K. selbst der Letzte ist, der über seinen Neuanfang bestimmen darf. Mag sein, dass er die Frage nach einer zweiten Chance nicht anders stellen kann als durch seine Rückkehr. Trotzdem hätte er sie unterlassen müssen. Dass er sich seiner Verfehlung nicht bewusst gewesen sei, bedeutet notgedrungen, dass er auch nicht bemessen kann, wann sie gesühnt ist.
Was C.K., was wir alle in den letzten Jahren gelernt haben sollten, ist, dass ein genuiner Universalismus der Rechte eben nicht nur bedeutet, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben, sondern auch, dass alle Menschen mitbestimmen darüber, was überhaupt Rechte seien. Und was Unrecht ist oder Privileg oder eben Belästigung oder Diskriminierung und Missbrauch. Dass die alten Definitionen hinfällig sind, weil sie nicht von allen getroffen worden sind.
Wann darf Louis C.K. wieder auftreten? Wissen kann er, wissen können wir Männer, wissen können wahrscheinlich wir alle das erst an dem Tag, an dem die größte Revolution der Menschheit beendet ist. Und der ist noch nicht gekommen.
Kommentare
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen. Danke, die Redaktion/vh
Entfernt. Bitte formulieren Sie Kritik sachlich und differenziert. Danke, die Redaktion/tg
Wenn, laut dem Autor, niemand entscheiden darf, außer dem Markt, dann ist es doch wunderbar wenn Louis C.K. wieder auftritt. Denn nur dann kann der Markt entscheiden, ob es wieder OK ist ihm eine Bühne zu bieten.
Ja, das war 1:1 auch mein Gedanke.
Und - finde ich - : mutig DER, der ihm dafür jetzt eine initiale Bühne geben sollte.
Ich bin keine der betroffenen Frauen und kann nicht beurteilen, wie schlimm es war.
Aber ein Typ, der sich vor Frauen einen runtergeholt hat, weil er keine Affäre anfangen wollte um seine Frau nicht zu betrügen, ist ja jetzt moralisch nicht völlig falsch gepolt. Und er hat die Frauen vor denen er onanierter hat sogar erst gefragt.
Ist als sexuelle Handlung etwas "unüblich" und mutet daher komisch an, aber ich weiß nicht ob das überhaupt so in den #metoo Rahmen passt.
Wenn Frauen solche sexuellen Handlungen nicht ablehnen und dann Jahre später, nur weil das Thema gerade in den Medien ist plötzlich damit rauskommen und ein Bedrohungsszenario herbeireden, weil sie zu dem Zeitpunkt beruflich dem Handelnden unterstellt waren, dann finde ich das schon sehr fragwürdig.
Das ist auch irgendwie unfair den Frauen gegenüber, die schon seit jeher nicht bereit waren, in irgendeiner Art und Weise ihre Sexualität einzusetzen um sich karrieretechnisch vor- oder zumindest keine Nachteile zu verschaffen.
Aber auch ich weiß nicht, ob ich mir Louis C.K. jetzt noch angucken kann. Denn wie sonst keiner balancierte er bei seinen Witzen immer auf Messers Schneide. Und wer ein solches, in meinen Augen lächerliches, Sexualverhalten an den Tag legt - den weiß ich bei den entsprechenden Witzen zum Thema nicht mehr einzuordnen. Um es mal ganz einfach zu sagen - irgendwie lässt ihn die ganze Aktion sehr uncool wirken.
Perfekt zusammengefasst!
Daraus folgte ein lebenslanges Berufsverbot für Menschen, die andere sexuell belästigt haben. Warum sollte ein Komiker nach so einer Tat schließlich nicht mehr auftreten dürfen, ein Bäcker aber weiter Brötchen verkaufen?
Sollen nach Meinung des Autors dann alle Gesetzbücher neu geschrieben werden, weil sie nur von einer Gruppe von Menschen geschrieben wurden? Was ist mit Bibel und Koran? Neu? Was ist mit den ganzen anderen Gruppen, die bis heute auch nicht gebührend in Entscheidungsprozesse integriert sind? Kinder, Migrant*innen, Radfahrer*innen, Ex-Kriminelle*innen...? Müssen die dann auch erst an den neuen Regeln mitverhandeln, bevor jemand seine Strafe verbüßt haben kann?
Gibt es überhaupt eine homogene Gruppe? Bin ich "die Männer"? Gibt es "die Frauen"? Vllt hätten sich einige Frauen auch nicht belästigt gefühlt, wenn er sie fragt, ob er sich vor ihnen befriedigen darf. Womöglich besuchen sogar einige Frauen wieder seine Shows und lachen über seine Clips. Ist das dann auch verwerflich, weil man einen Belästiger unterstützt?
Ich fürchte, so einfach ist das Ganze nicht.
Außerdem verbirgt sich in der Argumentation des Autors in meinen Augen auch noch der folgende Fehler: Wenn CK seine Schuld nicht sühnen kann, weil seit #metoo neue Regeln verhandelt werden müsen, dann hat er seine Taten im alten Rechtsraum begangen. Damit könnte man nicht die heute gültigen Maßstäbe anlegen. Er wäre also – und das würde ich als äußerst ungerecht empfinden – schuldfrei.
Dazu muss ich sagen, dass ich CKs Werk nicht kenne. Falls er wie der Kommentator vor mir andeutet, Witze über das Geschlechterrollen macht, geht das mit der Historie natürlich nicht mehr...
"Falls er wie der Kommentator vor mir andeutet, Witze über das Geschlechterrollen macht, geht das mit der Historie natürlich nicht mehr..."
?
Darf man keine Witze 'über das Geschlechterrollen' machen?
Es bestätigt sich immer wieder und wieder, dass die Deutsche im Durchschnitt keinen Sinn fürs Humor haben. Man sollte nachdenken, ob man Monty Pythons nicht verbieten soll...
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf unsachliche Vergleiche. Danke, die Redaktion/rc
Gratulation zur Selbsterkenntnis. Wäre in der Tat nicht verkehrt zu wissen, über was man schreibt. Vor allem ehe man C.K.s Comedy mit Brötchen oder auch Äpfel mit Birnen vergleicht.
Wieso geht das nicht mehr? Wer verbietet ihm das?
"Man" darf, natürlich, Witze über Geschlechterrollen machen. Auch C.K. "darf" Witze darüber machen. Die Frage ist, für jede*n Zuschauer*in, ob bestimmte Witze durch die Historie von C.K. geschmacklos sind.
Wenn ja, darf "man" darüber sogar Artikel in Onlinemedien schreiben, die Sie dann wieder kommentieren "dürfen".
Was übrigens moritz404 meinte...
na ja, Sie müssen den doofen Ausländer entschuldigen. Ich dachte, wenn man über etwas 'nicht geht' schreibt, bedeutet es, dass man dieses etwas 'nicht darf'.
Offensichtlich muss ich noch viel lernen.
Na, strengen Sie sich mehr an.
Ausländer alleine reicht nicht mehr als Entschuldigung, wie früher.
Dieses Alleinstellungsmerkmal schrumpft durch die ungeregelte Migration täglich.
Herzlichen Glückwunsch. Selbst bei diesem Thema schafft jemand wie Sie ganz fluffig das Thema Flüchtlinge irgendwie unterzubringen. Reife Leistung.
Wenn der Bäcker in den Brötchenteig gewichst hätte, wäre ich froh, er bekäme lebenslanges Berufsverbot.
Aber nur ein Gericht darf über so etwas entscheiden.
Meinungsfreiheit heißt, dass man (fast) alles sagen darf - aber eben nicht unwidersprochen. Der Bühnenkünstler ist in einer privilegierten Sprechsituation - Widerspruch ist in diesem Moment nicht möglich.
Übrigens: wenn eine Frau auf der Bühne onaniert, ist das Kunst.
Hätte C.K. auf der Bühne masturbiert, wäre das auch eine völlig andere Situation gewesen...
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und das bestimmt wer? Sie?
Nein. Ich bin der Meinung, dass selbst ein für Vergewaltigung verurteilter Comedian nach Verbüßung seiner Strafe wieder als Comedian arbeiten dürfen sollte. Macht er aber Witze über Frauen oder Rollenklischees, käme das einer Verhöhnung seiner Opfer gleich. Das geht für mein Empfinden nicht.
Die Ehre und Würde des Menschen wird in unserem Rechtssystem meistens auch höher bewertet als die Meinungsfreiheit (siehe Verbot von Beleidigungen usw). Von daher wäre eine Einschränkung der Meinungsfreiheit in einem solchen Fall aus meienr Sicht auch nicht nur eine Geschmacksfrage, sondern gerechtfertigt.
Jemanden aufgrund einer Straftat aus dem öffentlichen Leben zu verbannen oder ein Werk, das nichts mit seiner Tat zu tun hat, zu "verbrennen", halte ich dagegen für unangemessen und falsch.