Auch diesen Freitag hat Pastor Gottfried Martens wieder am Verwaltungsgericht Berlin in der Kirchstraße verbracht und wieder verlässt er es mit einem unguten Gefühl. Es ist Abend, als er zurück zu seiner Gemeinde im Süden Berlins kommt. Junge Männer tragen bereits weiße Plastikstühle in den Garten und große Töpfe aus der Küche in den Speisesaal. Über der Eingangstür zur Dreieinigkeits-Gemeinde baumelt eine bunte Girlande. Die evangelisch-lutherische Gemeinde bereitet sich vor auf das Nachbarfest, das einmal im Jahr im Berliner Stadtteil Steglitz stattfindet, nur der Gemeindepastor hat noch gefehlt.
Immer mehr seiner Zeit verbringt Martens auf den Fluren der Verwaltungsgerichte. "Auch am Montag, Dienstag und Mittwoch haben wir wieder Verfahren", klagt der promovierte Theologe Martens. Und mit "wir" meint er eines seiner über tausend Gemeindemitglieder und sich. Der 56-Jährige hat sich Farsi beigebracht und wen Martens auf den Gängen im Gemeindehaus trifft, der wird erst mal herzlich umarmt. Wer ihn in brüchigem Deutsch begrüßt, mit dem wechselt Martens schnell auch ein paar Sätze auf Farsi.
In seiner Gemeinde kommen rund 1.600 Menschen zusammen und fast 1.500 davon sind Flüchtlinge, die in Deutschland vom Islam zum Christentum übergetreten sind. Sie kommen vor allem aus dem Iran und Afghanistan. Länder, in denen sie als Neu-Christen Verfolgung befürchten müssten – und in die sie deshalb nicht abgeschoben werden dürften, sagt Martens. "Ich habe bestimmt schon über tausend Iraner und Afghanen getauft."
Für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), das auch für die Asylanträge aus Martens’ Gemeinde zuständig ist, bleibt aber eine entscheidende Frage: Wie ernsthaft ist der Glaubensübertritt der Neu-Christen? Und für welchen Flüchtling bedeutet er in erster Linie nur einen willkommenen Asylgrund? Bei der Dreieinigkeits-Gemeinde in Steglitz treffen stapelweise Ablehnungsbescheide des Bamf ein. Zum Teil mit "aberwitzigen Begründungen", so Martens. In einem aktuellen Fall habe der Bamf-Mitarbeiter den Fall einer Frau abgelehnt mit der Begründung, es gebe keine letzte Gewissheit, ob die Frau in Afghanistan auch an einem öffentlichen christlichen Gottesdienst teilnehmen werde. Martens schüttelt über solche Fälle nur den Kopf. Unwissenheit oder Zynismus, befürchtet er – in Afghanistan fänden überhaupt keine öffentlichen christlichen Gottesdienste statt.
Seine Schützlinge wollen die Ablehnungen nicht hinnehmen und klagen gegen die Bescheide. Und deshalb müssen sich nach den Bamf-Mitarbeitern nun auch immer stärker die Richter mit der Frage beschäftigen: Wie überprüfe ich, ob ein Mensch ernsthaft den christlichen Glauben angenommen hat?
"Das war heute wieder ein Fall, der einen zweifeln lässt, ob ein Gerichtsverfahren überhaupt die richtige Form ist, die Ernsthaftigkeit einer Konversion zu überprüfen", sagt Martens. Er hat einen Mann aus Afghanistan zur Verhandlung begleitet, einen Analphabeten. "Der saß da wie ein Kaninchen vor der Schlange, und dann stellt man ihm eine Frage wie: Welche Punkte sehen Sie im christlichen Glauben kritisch?" Martens zuckt mit den Schultern. Der Afghane sei ein Christ von Herzen, aber er könne eben leider nicht gut reden.
Martens’ Dreieinigkeits-Gemeinde gilt als eine der Gemeinden Deutschlands mit dem größten Anteil an Flüchtlingen, die nach ihrer Ankunft hier zum Christentum übergetreten sind. Aber die Fälle der nachträglichen Konversion beschäftigen die Verwaltungsgerichte in ganz Deutschland. Wie viele Fälle es genau sind, das weiß man auch beim Bamf in Nürnberg nicht. Hierzu würden keine Zahlen erfasst, teilt man auf Anfrage von Christ&Welt mit. Martens schätzt, dass es sich um eine vierstellige Zahl an Fällen handelt, allein in seiner Gemeinde gebe es Hunderte Gerichtsfälle.
Benjamin Karras, der als Verwaltungsrichter in Nordrhein-Westfalen arbeitet und zu religiöser Konversion als "Nachfluchtgrund" promoviert hat, geht davon aus, dass jedes deutsche Verwaltungsgericht zurzeit mit solchen Fällen beschäftigt ist. Er hat für seine Doktorarbeit Hunderte Gerichtsentscheidungen ausgewertet, bei denen als Fluchtgrund Konversion, also der Glaubensübertritt, angeführt wurde.
Kommentare
Sehr schwierige Entscheidungen.
Sicher nicht der Hauptaspekt, aber am Ende geht es auch um's Geld: Der Staat zahlt bei Arbeitslosigkeit. Die Kirche bekommt Kirchensteuer, wenn's mit der Arbeit klappt. Das Risiko trägt der Staat, bzw. der gemeine Steuerzahler. Ein Grund mehr für die Kirche alle durchzuwinken.
Sie haben doch alle Argumente aufgeführt. Deshalb: ganz einfache Entscheidung.
<Über Wissensabfragen kann man das Gewissen nicht prüfen und sollte dies überhaupt tunlichst unterlassen">
Als ob im Religionsunterricht an den staatlichen Schulen nur Wissen vermittelt und abgefragt würde....! Wenn ich den Religionsunterricht in meiner eigenen Schule und daran zurückdenke, was für hanebüchener Unsinn dort erzählt worden ist, kann ich über diese scheinheilige Einlassung nur lachen. Als ob im Religionsunterricht, vor allem in der Grundschule, nicht ins Gewissen der Kinder hineingepfuscht worden wäre!
Was wurde denn dort vermittelt, was Sie im Nachhinein als "ins Gewissen hineinpfuschen" ansehen?
Da ich gerade einen Enkel durch sein sehr schönes Konfi Jahr begleitet habe, finde ich so ein ganzes Jahr gehört auch dazu, die Fahrten, der Austausch.
Die Aussage meines Enkels 14, sein bester schwerst erkrankter Kumpel, werde nicht sterben (Krebs) , weil Gott barmherzig ist, hat sich bestätigt.
Nur hatten der Pfarrer und wir trotz Gebeten viel Bauchgrummeln bis der Bub gesund war.
Nur Taufe reicht nicht, finde ich.
Können Sie bitte erklären, was Ihre Geschichte mit konvertierten Flüchtlingen zu tun hat?
Wie sollen die denn Ihrer Ansicht nach ihren Glauben nachweisen, wenn Taufe nicht genügt?
Indem sie nach Hause zurückkehren und als "Märtyrer"sterben oder was schwebt Ihnen vor?
Wenn Sie wirklich so christlich gläubig sind, wissen Sie vielleicht auch, dass nicht nur Gott barmherzig sein sollte, sodern auch die Menschen gegenüber Ihren Mitmenschen in Not.
Vielleicht hat er auch nicht überlebt, weil Gott barmherzig ist, sondern weil wir eine sehr weit entwickelte Medizin haben.
Was wäre gewesen, wenn der Junge gestorben wäre? Wäre Gott dann böse gewesen? Hätte man auf der Flucht? Hätte man gesagt, dass er versagt hat?
was ist mit all den Menschen die den Krebs nicht überleben?
"Die Situation erinnert ein wenig an die Anerkennungsprüfung für Kriegsdienstverweigerer zu Zeiten der Wehrpflicht."
Das war auch mein erster Gedanke als ich den Artikel zur Hälfte gelesen hatte.
Ich habe das dann in meinem Fall durch den bayerischen Verwaltungsgerichtshof positiv für mich klären lassen, nachdem die Militärhansel nicht glaubten, dass ich über genügend Gewissen verfüge.
Ansonsten hätte ich noch anzumerken:
Nachdem den Kirchen ja schön langsam das Personal ausgeht, ist es doch schön, dass ihnen der Staat unter die Arme greift und die Rolle der Inquisition übernimmt.
"ist es doch schön, dass ihnen der Staat unter die Arme greift und die Rolle der Inquisition übernimmt."
Schön sarkastisch formuliert, aber wissen Sie, woran ich bei diesem Artikel schon die ganze Zeit denken muss? An die Marranen (zwangsgetaufte Juden auf der iberischen Halbinsel und später in Europa, https://de.wikipedia.org/wik…) . In dieser Situation sind Marranen die von der Ausweisung bedrohten Neuchristen. Die Inquisition ist dann wahlweise der Richter mit seiner laienhaften Täuflingsprüfung, oder dann die Religionspolizei im Heimatland...