Lesen Sie hier das türkische Original. Der Text ist für die deutsche Version redaktionell leicht bearbeitet worden.
Letzte Woche, mitten in der Syrienkrise, war ich in Washington. Als ich Trumps Texas-Rede hörte, sah ich Erdoğan in ihm. Dasselbe Agitationstalent, dieselbe diskriminierende Sprache, derselbe beleidigende Stil, derselbe Hass auf die Medien. Intoleranz gegen jede Opposition und alle, die anders sind. In Fahne, Nationalismus und Glauben verpacktes Protzen: "Ich bin der Größte." Ein polarisierender Politikstil, der sich mehr auf die Provinz denn auf Großstädte, mehr auf Bildungsferne denn auf Studierte stützt. Eine Haltung, die weniger einem Staatsmann als vielmehr einem Firmenboss entspricht. Eine Basta-Mentalität, wie sie autoritären Persönlichkeiten eigen ist. Die Abneigung gegenüber Teamarbeit, die Unfähigkeit, dazuzulernen, die Gewohnheit, die Bürokratie möglichst zu umgehen und lieber mit den eigenen Schwiegersöhnen zu arbeiten ...
Die beiden einander in Hassliebe verbundenen Männer änderten letzte Woche das Schicksal des Nahen Ostens, der eine mit dem Abzug von Soldaten aus Syrien, der andere mit dem Einmarsch in das Land. Beide hatten sich mit niemandem beraten. Der eine dirigierte mit seinen berühmten Tweets, der andere mit seiner nationalistischen Rhetorik. In den USA wehrten sich die – im Gegensatz zur Türkei noch lebendigen – Institutionen dagegen: Kongress, Senat, Medien, Justiz und Zivilgesellschaft wollen keinem die Alleinherrschaft überlassen. In der Türkei hingegen sahen sich Kriegsgegner dem Vorwurf des Verrats und Erdoğans Empörung ausgesetzt.
Trump interessierte diese Empörung allerdings nicht. Der US-Präsident prügelte per Tweet, Statement und Brief auf Erdoğan ein. Er drohte nicht nur damit, die türkische Wirtschaft zu zerstören, wenn man in Syrien die vereinbarten Grenzen überschritte, sondern schrieb zudem einen allen diplomatischen Gepflogenheiten widersprechenden, entsetzlichen Brief mit der Ermahnung: "Geben Sie nicht den harten Kerl! Seien Sie kein Narr!" Erdoğan, der im Land alle, die sich weit weniger trauen, umgehend ins Gefängnis schickt, nahm Trumps Beleidigung schweigend hin. Denn in den USA eingeleitete Ermittlungen hatten sein Vermögen und das seiner Familie aufs Tapet gebracht.
Doch Erdoğans Schweigen verhinderte nicht, dass Trump in der Türkei zum Hassobjekt wurde. Gleiches beobachtete ich in den USA in Bezug auf Erdoğan. In den letzten beiden Wochen wetteiferten Trump-Antipathie in der Türkei und Erdoğan-Antipathie in den USA miteinander.
Doch wie stehen beide im eigenen Land da?
Trump ist seit geraumer Zeit mit dem Impeachment-Bestreben des Kongresses beschäftigt. Nach dem Beschluss des Syrien-Rückzugs, der im Pentagon, im Außenministerium und selbst in seiner eigenen Partei auf Kritik stieß, nahm das Verfahren weiter Fahrt auf. Bei Erdoğan ist es umgekehrt: Nachdem er Istanbul verloren hatte, konnte er nun den beschleunigten Aderlass seiner Macht aufhalten mit dem Beschluss, nach Syrien einzumarschieren. Es gelang ihm, die Opposition aufzulösen, Parteineugründungen ehemaliger Weggefährten zu verzögern, seine Alleinherrschaft zu stabilisieren, ein neues Klima des Ausnahmezustands herzustellen und die Wirtschaftskrise hinter Kriegsgeschrei zu verbergen.
Giftige Frucht dieser Hassliebe ist, dass die Rolle des Spielmachers in Syrien wie auch im gesamten Nahen Osten Putin bleibt – und die Befreiung der IS-Banden, die von den Kurden mit Mühe in Gefängnissen unter Kontrolle gehalten wurden. Hinzu kommt noch die tiefe Enttäuschung der Kurden, die sich verraten fühlen, und ihre Suche nach neuen Verbündeten. Die Auswirkungen dieser Entwicklungen werden wir erst richtig in den nächsten Jahrzehnten spüren.
Aus dem Türkischen von Sabine Adatepe
Kommentare
Entfernt. Bitte beteiligen Sie sich nur, wenn Sie einen konstruktiven Beitrag zur Diskussion leisten möchten. Danke, die Redaktion/rc
Der Kommentar, auf den Sie Bezug nehmen, wurde bereits entfernt.
Feiner Text. Ich möchte anmerken, dass sich aus dem Irrwitz der narzisstischen Populisten allerdings mittlerweile auch erfreuliche Gegenreaktionen abzeichnen, sowohl gegen die Interessen der von ihnen vertretenen Länder, wie auch gegen die Geisteshaltung des narzisstischen Populismus. Und im besten Fall werden es diese Gegenreaktionen sein, die uns von der ganzen Episode in Erinnerung bleiben werden.
Und im besten Fall werden es diese Gegenreaktionen sein, die uns von der ganzen Episode in Erinnerung bleiben werden.
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jepp ...
politik ist in längeren zeiträumen immer eine art von kommunizierenden röhren, ein system von aktion und reaktion ...
und so werden auf erdogan, trump, bolsonaro, duterte, orban & co. dann politiker folgen, die das genaue gegenteil darstellen, die der demokratie und dem rechtsstaat wieder den wert geben der ihnen gebührt.
Was bringt solche Männertypen, die sich sicherlich gerne als Nachfolger Alexander des Großen sehen würden, immer wieder an die Macht?
Haben sie begriffen, dass sich eine große Fraktion der Menschheit mit solchen groben Manieren ihrer Führer offensichtlich sicher fühlt? Macher, fast egal was sie machen, versprühen wohl das was früher mit dicken Statdtmauer versucht wurde: Geborgenheit im Paradoxen. Wer sich im Offenen schnell erkältet greift zur nächstbesten Medizin. Er schaut nicht auf die Nebenwirkungen. Schwierig, mit solchen Menschheitsfraktionen und denen die dies schamlos ausnutzen zu leben. Gerade für die sozialen, vorsichtigen, abwägendere Fraktion auf der Welt. Was tun? Abwarten bis das Fieber vorbei ist oder sich härter sozial, weniger vorsichtig, nicht immer so abwägend sondern konsequenter mit offensiveren, sozialen Varianten der Weltverwaltung umgehen um diesem linguistischen Terror Parolie zu bieten.
"Was bringt solche Männertypen, die sich sicherlich gerne als Nachfolger Alexander des Großen sehen würden, immer wieder an die Macht?"
Die Diktatur der Idioten... ;-)
Ein weiser Mann sagte einst:
«Wahlen gehören den Menschen. Es ist ihre Entscheidung. Und wenn sie entscheiden, dem Feuer den Rücken zuzukehren und sich den Hintern zu verbrennen, dann müssen sie nachher eben auf ihren Blasen sitzen.»
Mögen die Sitzflächen hart, rauh und unbequem sein, wenn all der Spuk vorbei ist.
Entfernt. Bitte verzichten Sie auf Beleidigungen. Danke, die Redaktion/rc
Hä, von was bitte reden Sie. Lesen Sie bitte den Artikel. Ein differenziertes Bild wird von den Beiden gezeichnet. Es geht nicht gegen die Türkei. Es ist schlimm, wenn man die Türkei mit Erdogan verwechselt. Das kann kein Patriot sein.