Wir haben in den vergangenen Jahren den rasanten Aufstieg einer politischen Idee beobachten können: der des bedingungslosen Grundeinkommens. Zwei von drei Menschen in Deutschland befürworteten es 2016, ebenso machen sich einzelne Konzernchefs, Philosophen und Parteivorsitzende für die Idee stark.
Warum hat das Grundeinkommen so viele Fans? Ich glaube, weil es eben nicht einfach eine weitere sozialpolitische Maßnahme ist, sondern Ausdruck eines fundamental neuen Paradigmas. In unserer arbeitsteiligen Gesellschaft brauchen Menschen Geld zum Überleben. Und die Grundeinkommensgesellschaft gibt es ihnen einfach, ohne Rückfragen, bedingungslos. Einfach so, weil sie Menschen sind. Das Grundeinkommen sagt ihnen jeden Monat: Du bist okay, du darfst sein, wir glauben an dich, wir vertrauen dir. Das ist etwas ganz Neues und verändert uns – von innen.
Mein eigenes Grundeinkommen
Ich habe das am eigenen Leib erfahren. Vor elf Jahren habe ich eine Internetfirma mitgegründet, Ende 2013 bin ich dort ausgestiegen. Die Firma zahlt mir seither jeden Monat eine "bedingungslose Gewinnausschüttung" von 1.000 Euro aus. Vor meinem Ausstieg hatte ich 3.000 Euro netto. Dann hatte ich plötzlich eine Art Grundeinkommen und viel Zeit. Nach zwei Tagen waren meine Bauchschmerzen weg, unter denen ich seit Jahren litt und von denen ich mittlerweile dachte, sie würden einfach zum Leben dazugehören.
Ich brauchte einige Monate, um zu realisieren, dass mich wirklich niemand aus der Arbeit anrufen würde und ich trotzdem jeden Monat Geld bekomme. Erst dann fand ich tatsächlich zur Ruhe – und veränderte mich: Ich habe öfter gelacht, wurde mutiger und empathischer. Die Beziehung zu meinem Kind verbesserte sich. Ich hatte zwar nur noch ein Drittel des Geldes zur Verfügung, aber es mangelte an nichts. Ich hatte nicht mehr das Gefühl, mich durch Konsum für die anstrengende Arbeit entschädigen zu müssen. Stattdessen wuchs in mir eine Neugier auf die Welt: auf Seminare, Bücher, Reisen. Nach einem halben Jahr mit Grundeinkommen schwirrte mein Kopf vor lauter Geschäftsideen und der Lust, etwas zu gründen.
Mein Grundeinkommen hat mich innerhalb weniger Monate zu einem neuen Menschen gemacht. Diese Erfahrung wollte ich teilen und startete die Initiative "Mein Grundeinkommen". Ich fragte nach Spenden mit dem Versprechen: Falls ich es schaffen würde, 12.000 Euro zu sammeln, würde ich diese als 1.000 Euro monatliches Grundeinkommen an eine zufällig ausgewählte Person verschenken. Innerhalb weniger Wochen hatte ich das Geld zusammen. Heute, drei Jahre später, ist aus dieser verrückten Idee ein Verein mit 23 Mitarbeitern und 2,5 Millionen Euro jährlichem Spendenvolumen geworden.
Wir haben bisher an 124 Menschen ein Jahresgrundeinkommen vergeben. Jeden Monat kommen sieben neue dazu. Vor Kurzem haben wir alle bisherigen Gewinner nach Hamburg eingeladen, um mit ihnen darüber zu sprechen, was sich für sie durch das Grundeinkommen verändert hat. Dabei haben wir bestimmte Muster entdeckt: Wer es bekommt, durchläuft nach seinem Gewinn meist die gleichen drei Phasen. Egal, ob jemand verbeamtet oder obdachlos, Student oder Rentnerin ist.
Die erste Phase: Abhängigkeit spüren
"Von wegen Freiheit!" sagen viele Gewinner am Anfang ihres Jahres. "Nun bin ich ja den Spendern verpflichtet, also auch wieder abhängig von anderen." "Ja", rufe ich ihnen zu. Wir sind alle abhängig. Heute schon und mit Grundeinkommen genauso. Jeder Mensch braucht die Gesellschaft. Ohne die anderen könnten wir kaum ein paar Tage überleben. Und dennoch reden wir uns allzu gern ein, dass wir uns unsere Freiheit selbst erarbeiten könnten. Dieser Freiheitsbegriff ist es, der den Kapitalismus so stark macht: die Vorstellung, wir könnten uns von den anderen erst freiarbeiten und dann freikaufen. Das Grundeinkommen macht sichtbar, dass das nicht stimmt.
Kommentare
Geld abschaffen.
Der Artikel ist leider zu idealistisch geschrieben, als dass es für die breite Masse je funktionieren könnte.
Für einen bestimmten Teil der Gesellschaft würde das so funktionieren, wie der Autor es beschreibt. Allerdings niemals für alle.
Es ist nun mal eine Tatsache, dass wir in unserer Gesellschaft genügend Drückeberger, Trittbrettfahrer, Schwänzer und Durchwurstler ohne jedes Verantwortungsgefühl haben. Die holen sich ihr Hartz IV ab und gucken das Unterschichtfernsehen am Nachmittag bei RTL 2.
Die würden das Grundeinkommen einfach verbraten: Zigaretten, Alkohol etc.
Abgesehen davon, dass im Artikel nicht gesagt wird, woher die Milliarden kommen sollen, das Ganze zu finanzieren. Wohl ja wieder von der Mittelschicht: Handwerker, Ingenieure, gut b ezahlte Facharbeiter: von denjenigen, die sich krumm legen und hart arbeiten und dabei deutlich mehr als das Grundeinkommen verdienen. Das soll ihnen dann weggesteuert werden oder an die, die nichts arbeiten, verteilt werden?
Nein, Danke !
Zu Beginn des Artikels merkt man: der Autor hätte wohl dringend zum Arzt gemusst, da er offensichtlich den falschen Job 11 Jahre gemacht hat. Da er jetzt mit 1.000€ netto klar kommt, hätte das Krankengeld auch genügt.
Zum Restartikel: interessant, ich stelle allerdings neben der Finanzierung und dem massiven Abbau von Staatsangestellten (grundsätzlich natürlich positiv, wird allerdings auch die Digitalisierung und Demografie in 10-20 Jahren erledigen) auch den Nutzen im System des Kapitalismus in Frage.
"hätte das Krankengeld auch genügt". Mich wundert, dass so viele Foristen geradezu darum betteln vom Staat knapp über Hartz 4 alimentiert zu werden. Ich hätte nicht gedacht, das dass der Traum so vieler Menschen in D. ist.
Bedingungsloses Grundeinkommen ist eine nette Idee. Weniger arbeiten, nur noch dann arbeiten, wenn man Lust drauf hat - klar setzt das Energien zur persönlichen Entfaltung frei! Nur... wer entfaltet sich beim Toiletten putzen? Wie funktioniert das System, wenn zu viele Leute sich lieber im privaten entwickeln, als zur Arbeit zu gehen? Dann bricht das Konstrukt ganz schnell in sich zusammen.
1000€ über ein Jahr mehr ist in meinen Augen übrigens alles, nur kein tragfähiger Gundeinkommens-Versuch. Sicher ändert das vielleicht erst mal einiges, aber wie rettet sich diese Veränderung über das Jahr hinaus? Gar nicht. Weil der Großteil der Empfänger danach eben doch wieder mehr arbeiten muss, um sich zu finanzieren und damit die Zeit für die Entfaltung, die man während dieses Jahres hatte, wegfällt. Im schlimmsten Fall kommt dann nur das Bedauern dazu, dass die Zeit des Müßiggangs vorbei ist. Danke, ich verzichte.
Nur... wer entfaltet sich beim Toiletten putzen? Wie funktioniert das System, wenn zu viele Leute sich lieber im privaten entwickeln, als zur Arbeit zu gehen?
Dafür sorgt der Preis- bzw. Lohnmechanismus. Diese Arbeit müsste dann besser vergütet werden, wobei die Lohnarbeit natürlich auch weiterhin attraktiv bliebe, da sich die meisten Personen (auch schon heute) mit einem niedrigen Grundeinkommen nicht zufrieden geben.
Kleine Frage an den Autor und Initiator: Wo waren, bzw. sind die Gewinner und Sie selbst eigentlich krankenversichert? Wer zahlt die KV-Beiträge und die Beiträge für die Pflegeversicherung? Übernimmt das die Allgemeinheit? Würde mich sehr über eine konkrete Antwort freuen?!
Konkrete Antworten werden Sie von Befürwortern des GE niemals kriegen.